FUNDRAISING-PRAXIS

Kirche vs. Mitglied?

Auf die Kirche kommen schwere Zeiten zu.
Auf die Kirche kommen schwere Zeiten zu.

Die diesjährige faith & funds, das Treffen von Fundraiserinnen und Fundraisern aus Kirche und kirchlichen Einrichtungen machte wieder deutlich, wie unterschiedlich das Thema Mittelbeschaffung von den einzelnen Landeskirchen und Diözesen gesehen wird. Dabei drängt die Zeit, denn die fetten Jahre sind bald vorbei.

Ein ehemaliger Controller als Key-Note-Speaker bei einem Fachtreffen zu kirchlichem Fundraising? Das war schon außergewöhnlich. Aber es gab einen guten Grund, David Gutmann, der mittlerweile für das „Forschungszentrum Generationenverträge“ an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg arbeitet, den Eröffnungsvortrag halten zu lassen. Er war nämlich an der Zukunftsstudie beteiligt, welche die demographischen Veränderungen bei den Kirchenmitgliedern bis 2060 untersucht. Kurzgesagt: Ab 2035 sind die fetten Jahre vorbei. Dann nämlich verabschieden sich die geburtenstarken Jahrgänge aus dem Arbeitsleben und zahlen damit wesentlich weniger Kirchensteuer. Aber schon der demographische Faktor wird bei den Kirchen zu starken Mitgliedsverlusten von schätzungsweise 21 Prozent bis 2060 führen. Von aktuell 43 Millionen Mitgliedern werden beide Kirchen nach aktuellen Prognosen sogar auf 22,7 Millionen Mitglieder durch Austritte und fehlende Taufen schrumpfen.


Den Austritt der Jungen stoppen

Besonders weh tut da die große Quote der Austritte der 20- bis 35-Jährigen. Für Gutmann kein Wunder, denn dann erscheint das Thema erstmal groß auf dem Lohnzettel, ohne dass dies die Kirche vorab hinreichend kommuniziert. Aber er macht auch einen Entfremdungsprozess von der Kirche dafür verantwortlich, dem die Kirche durch eine stärkere Mitgliederorientierung entgegenwirken müsste. Seiner Ansicht nach wirkt sich der Verlust dieser jungen Menschen doppelt aus, denn wenn die so früh, noch vor ihrer Familiengründung, die Kirche verlassen, sorgen sie auch nicht für getaufte Kinder. Aus seiner Sicht spielt die Kirche gerade in der Konfirmationszeit kaum eine Rolle im Leben dieser Zielgruppe und versucht es auch zu wenig. „Es fehlt an Willkommenskultur, die von Aufmerksamkeit, Wertschätzung und Dankbarkeit geprägt ist“, sagte er unter dem Beifall der fundraisenden Kirchenzunft, um dann noch an die Verwaltung gerichtet anzufügen: „Es braucht mehr Service! Mitglieder sind kein störender Faktor im Betriebsablauf“.

Das Thema Mitgliederbindung wird für die Kirche in den nächsten 20 Jahren entscheidend sein. Waren 1990 in der BRD noch 94 Prozent Kirchenmitglied, werden es, wenn nichts passiert, 2060 nur noch 31 Prozent sein. Ein großer Teil davon könnte aber gehalten werden. Dafür brauche es aber eine neue Sicht auf die Mitglieder und zentrale Marketing- und Kommunikationsentscheidungen. Diese könnten aber bereits auf Gemeindeebene beginnen.

Die Mitgliederverluste der Kirchen in den nächsten Jahren sind dramatisch, können aber zum Teil aufgehalten werden.
Die Mitgliederverluste der Kirchen in den nächsten Jahren sind dramatisch,
können aber zum Teil aufgehalten werden.

Kirche ohne Kirchensteuer

Wie die Welt ohne Kirchensteuer aussieht, wissen die Niederländer schon lange. Pfarrer Kees den Hertog konnte sich an das Ende der staatlichen Finanzierung gar nicht mehr genau erinnern. „Irgendwann in den 70er Jahren“, wagte er eine Vermutung. Fakt ist, dass im Königreich Niederlande die Kirche kein bestimmender Faktor mehr ist. Von den 17 Millionen Holländern sind nur 5,5 Millionen in Kirchen organisiert, die sich aus eigener Kraft tragen müssen. Die Säkularisierung ist also deutlich weiter vorangeschritten als in Deutschland. Den Hertog berichtete über die alljährliche Fundraisingaktion mit dem wenig blumigen Titel „Aktion Kirchenbilanz“, die Mitte bis Ende Januar stattfindet und die Gemeindemitglieder dazu aufruft ihrer Kirche einen deutlichen Betrag zu versprechen. Ja richtig, zu versprechen, nicht gleich zu spenden. Auf dieser Basis bilden die meisten Gemeinden dann ihren Haushalt, auch für Personalkosten und fragen bei ausbleibenden Zahlungen „schon mal freundlich aber bestimmt nach“. Das führt natürlich auch zu einer deutlichen Aufwertung der Gemeinden gegenüber der Landeskirche, die nur einen kleinen Anteil pro Mitglied überwiesen bekommt. Die Gemeinden finanzieren sich selbst und bestimmen auch selbst.


Handeln kurz vor dem Abgrund

Diese beiden Modelle gegeneinandergestellt, ist es nicht verwunderlich, dass sich in Deutschland erst etwas tut, wenn es keinen Ausweg mehr gibt. So in Hamburg, wo das Erzbistum erst seine Fundraising-Abteilung fast auflöste und dann durch die drohende Schließung seiner katholischen Schulen zum Handeln gezwungen wurde. Dank einer Kooperation mit den Beratern von Schomerus warb man vor kurzem mehrere Millionen Euro bei Mäzenen ein. Doch muss es erst soweit kommen? Eigentlich nicht, denn Christen sind in Deutschland immer noch eine bestimmende Spenderzielgruppe. Doch nicht nur für kirchliche Spendenprojekte. Aber selbst im deutlich stärker säkularisierten Osten Deutschlands sind Spendenerfolge möglich, was das Beispiel der Schlosskirchgemeinde Dresden-Lockwitz zeigte. Innerhalb von acht Monaten warb die Kirchengemeinde mit lächerlichen 1500 Euro Budget fast 32.000 Euro ein. Schlüssel zum Erfolg war eine Nachbarschaftskampagne, an der sich die Gemeinde aktiv und ehrenamtlich beteiligte und so auch weltliche Spenderinnen und Spender überzeugte. Am Ende kamen fast 60 Prozent der Spenden von nicht konfessionell gebundenen Spendern, weil es dem Fundraisingteam um Kirchenvorstand Cornelius Neumann und Pfarrerin Antje Hinze gelang, diese Zielgruppe mit Themen wie Heimatstolz, Geschichte, Kultur und regionaler Nähe von einer Spende für die Innensanierung der Kirche nicht nur vor Ort sondern auch über Facebook und über die Internetseite www.Bring-Licht-herein.de zu überzeugen.


Fundraising als Beziehung verstehen

Die Frage, wie Spendenerfolge verstetigt werden können, und wie man gerade auch in die Spenderbindung investieren kann, trieb viele der Anwesenden auf der faith & funds um. Denn gerade im nachhaltigen Fundraising hat die Kirche trotz Innovationen wie dem digitalen Klingelbeutel (siehe Interview mit Hannah Wolff) noch großen strukturellen Nachholbedarf. Das es immer noch Landeskirchen und Diözesen ohne Fundraiser gibt, und das Bitten um Geld sogar als Schwäche gesehen wird, wie unter der Hand erzählt wurde, zeugt von einer ziemlichen Selbstüberschätzung und einer Definition von Fundraising als Notnagel, aber nicht als Beziehungsmanagement. Das wird sich spätesten 2035 dramatisch rächen, wenn die kommunikativen Schwächen der Kirchen gegenüber ihren Mitgliedern und Förderern nicht behoben werden. Gesundschrumpfen ist zwar auch eine Lösung, aber aus Sicht von David Gutmann könnten 28 Prozent des aktuell prognostizierten Mitgliederschwundes aufgehalten werden, wenn sich die Kirche deutlicher zu ihren Mitgliedern in allen Altersklassen bekennt. Das können die Fundraiserinnen und Fundraiser der Kirchen aber nicht allein erledigen, darin war man sich am Ende einig.

(Bild 1: congerdesign Pixabay; Bild 2: David Gutmann, Vortrag Faith&Funds 2019)

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Kommentar von Schulz Lothar |

Danke für die interessanten Daten. Bitte Korrektur: Es muss heißen
PhilaNthropie.

Antwort von Matthias Daberstiel

Lieber Herr Schulz,

da haben Sie völlig Recht und wir haben das sofort geändert! Danke!

Mehr Daten zum Thema hat die EKD übrigens bereits veröffentlicht.