FUNDRAISING-PRAXIS

Sagen Sie jetzt nichts (Falsches)!

Unicef, ADAC, Treberhilfe: Wenn eine gemeinnützige Organisation in die Krise stürzt, wird es schnell emotional. Viel hängt davon ab, wie sie auf die Vorwürfe reagiert. Wenn das Führungsteam die Nerven verliert, kann das alles noch schlimmer machen. Wenn es dagegen Disziplin übt, kann die Organisation sogar gestärkt aus einer Krise hervorgehen.

Von Sarah Benecke

Der größte Fehler ist es, sich zu schnell festzulegen. Stellen Sie sich vor, Sie sind der Vorsitzende eines großen Vereins. Plötzlich wird Ihnen vorgeworfen, Spendengelder zu verschleudern. Sie überblicken das Geschehen zwar noch nicht, fühlen aber Panik in sich aufsteigen. Und wenn die Kamerateams heranstürmen, streiten Sie erstmal alles ab. Oder, möglicherweise ebenso fatal, weil ein verfrühtes Schuldeingeständnis: Sie entschuldigen sich.

Das klingt absurd, ist aber gar nicht so selten. Ein prominentes Beispiel ist der ADAC-Skandal im vergangenen Jahr, bei dem Geschäftsführer Karl Obermair sich zunächst empört über „Unterstellungen“ gab, bevor er die Manipulationen bei der Leserwahl zum „Lieblingsauto der Deutschen“ einräumen musste.

Adrian Teetz weiß, wie schnell eine Krise eine wohltätige Organisation aus der Bahn werfen kann – weil viele nicht darauf vorbereitet sind. „Wenn ich erstmal dementiere und zwei Tage später von den Medien eines Besseren belehrt werde, habe ich es schwer, dass mir danach noch jemand zuhört“, warnt er. Teetz ist Kommunikationstrainer und auf Krisen spezialisiert; sein Buch zu dem Thema wird auch in NGO-Kreisen empfohlen. Auf der diesjährigen ConSozial in Nürnberg ist er als Redner gebucht, im kommenden Jahr erscheint zudem ein Handbuch zur NGO-Kommunikation bei Springer Science, an dem er mitgearbeitet hat. Seine Brötchen verdient er derweil bei einem Arbeitgeber, der ebenfalls skandalgeprüft ist: Bei der Bundeswehr leitet er den Fachbereich Kommunikation am Zentrum Informationsarbeit.

NGOs im Ausnahmezustand

Im Unterschied zur Bundeswehr oder zu Konzernen wie VW, der gerade die Schlagzeilen füllt, haben es gemeinnützige Organisationen aber oft schwerer, die Folgen einer Situation abzuschätzen. Vor allem, weil mehr Faktoren als Wirtschaftlichkeit im Spiel seien, erklärt Teetz, der auch einmal für das Deutsche Rote Kreuz gearbeitet hat. Außerdem seien die Entscheidungsprozesse politisch geprägt und damit langwierig. Ehrenamtliche Führungskräfte, die vorbereitete Gremiensitzungen gewohnt sind, müssten plötzlich „im Ausnahmezustand“ Entscheidungen fällen.

Trotzdem können auch NGOs in einer Krise, die sich anbahnt, professionell handeln. Zu den ersten Regeln gehört: Nichts übers Knie brechen. Da hilft oft erstmal nichts anderes, als der Standard-Satz, der jedem Journalisten inzwischen zu den Ohren wieder rauskommt: „Wir sind dabei, die Situation zu überprüfen.“ Und das dann tatsächlich tun.

So viel Zurückhaltung erfordert viel Nerven und Disziplin. Und meist folgt zu allem Überfluss der Vorwurf, zu spät reagiert zu haben. „Aber das muss man aushalten“, sagt Teetz schlicht. Sinnvoll sei es zudem, vorab ein kleines Handbuch zu erarbeiten, an dem Führungskräfte sich in Krisen orientieren können.

Romantisierte Vorstellung

Denn nichts ist so wichtig und so schwer wieder aufzupolieren wie ein angeschlagenes Image. Für Hilfsorganisationen ist es allerdings ein zweischneidiges Schwert. „Viele Menschen haben immer noch das Klischee von ein paar Leuten auf Bastmatten vor Augen, die versuchen, die Welt zu retten“, meint Adrian Teetz. „Dass da viele sehr professionell arbeiten, wird oft von einer romantisierenden Vorstellung überdeckt.“ Die Deutschen haben also großes Vertrauen in ihre Wohltätigkeitsorganisationen. Aber zugleich sind die moralischen Ansprüche hoch.

Schon ein Vorwurf, an dem nichts dran ist, kann immensen Schaden anrichten. Viele ehrenamtliche Helfer investieren ihr Herzblut und Spender ihr Geld für die gute Sache – und sind bitter enttäuscht, wenn „ihr“ Verein von ihren Erwartungen abweicht. Das kann ganz dramatisch ausgehen, wie bei der Treberhilfe Berlin, die pleite ging, nachdem bekannt wurde, dass der Geschäftsführer in einem 100.000-Euro-Maserati unterwegs war. Oder zumindest dramatisch, wie bei Unicef, von der sich viele Spender abwandten, nachdem dem UN-Kinderhilfswerk vorgeworfen wurde, Geld zu verschleudern – was ein Gutachten später nicht bestätigte.

Auf „shitstorms“ trainieren

Besonders nervenaufreibend ist ein „shitstorm“ in den sozialen Netzwerken, der häufig prompt auf die ersten Vorwürfe folgt. Eine Diskussionsgruppe mit ein paar Teilnehmern kann sich schnell auf tausende Kommentare ausweiten. Ein einzelner Online-Moderator ist da schnell überfordert. Die entscheidende Frage, sagt Teetz, sei also: Wie kriege ich kurzfristig qualifizierte Mitarbeiter zusammen, um auf Facebook oder Twitter reagieren zu können? Finanzstarke Firmen helfen sich in solchen Fällen mit externen Dienstleistern. Eine NGO, die jeden Euro dreimal umdreht, kann stattdessen zum Beispiel eigene Leute aus anderen Funktionen für solche Fälle trainieren.

Wer professionell kommuniziert und gründlich aufarbeitet, kann eine Krise also zumindest entschärfen – und im besten Fall gestärkt daraus hervorgehen. Unicef zum Beispiel nutzte sie als Antrieb, um besonders transparent zu werden. Ein paar Jahre später gewann das Hilfswerk sogar den Transparenz-Preis der Wirtschaftsprüfer von PriceWaterhouseCoopers (PwC). Damit kann es sogar werben. Und heute redet kaum noch jemand von dem Skandal.

Adrian Teetz wird am 22. Oktober 2015 auf der Consozial in Nürnberg einen Vortrag zum Thema „Maximale Fallhöhe – Krisenmanagement und -kommunikation in der digitalen Mediengesellschaft“ halten.

(Bild: Griesch)

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Kommentar von Jooleo |

Ich kann noch nicht verstehen, warum ein shitstorm so wichtig genommen werden muß.
Ist es etwas anderes als Stammtisch-Gespräche?
Ich erkenne da Menschen, die sich freuen ihre Meinung stehen zu sehen um sich vermeintlich vielfach bestätigt zu sehen von Gleichartigen.
Wenn ich eine kritische Meinung äußern möchte, dann tue ich das qualifiziert und an entsprechender Stelle und nicht im shitstorm.
Wird dieses Phänomen nicht einfach überbewertet?