FUNDRAISING-PRAXIS

Werbebrief ist en vogue

„Ohne Worte“
„Ohne Worte“

Was wird nicht über Werbung im Briefkasten geschimpft, doch der Brief ist als Werbemedium nicht zu verdrängen. Auch im Fundraising spielt er immer noch die dominierende Rolle. Aber es ist gut, Bewährtes auch immer wieder auf den Prüfstand zu stellen, denn auch Empfänger ändern ihr Verhalten, wenn auch langsam.

In einer aktuellen Studie hat der Weltpostverband (UPU) gemeinsam mit dem Digitalisierer von Briefpost Caya berechnet, wie viel Werbepost denn eigentlich wirklich in den Briefkäsen international landet. In Europa ist Deutschland klar vorn: 1,9 Millionen Tonnen Werbepost werden pro Jahr hier verteilt. Den zweiten Platz belegt die Schweiz. Ihr Werbeaufkommen von 295.000 Tonnen entspricht jedoch gerade einmal 16 Prozent des deutschen Aufkommens. Frankreich verteilt mit 280.000 Tonnen ähnlich viel. Den vierten und fünften Platz belegen Tschechien (152.000 t) und Ungarn (105.000 t).

Im globalen Vergleich liegt Deutschland auf dem zweiten Platz – nur die USA verteilen mehr. Hier wird jährlich Werbung mit einem Gegengewicht von rund acht Millionen Tonnen in die Briefkästen eingeworfen. Mit weitem Abstand belegt Kanada Platz drei: Die Nordamerikaner erhalten jährlich Werbepost mit einem Gegengewicht von rund 436.000 Tonnen. Zum Vergleich: Der Durchschnitt aller untersuchten 20 Nationen liegt bei 60.000 Tonnen.

Rechnet man das allerdings auf die Kilozahl pro Haushalt und Jahr, also sozusagen pro Briefkasten um, ändert sich das Bild. Der internationale Durchschnitt liegt bei 21 Kilogramm pro Haushalt. Die Deutschen liegen mit 46 Kilogramm deutlich darüber aber weit hinter den Schweizern mit sagenhaften 80 Kilogramm. Dicht dahinter liegt Slowenien mit 72 Kilogramm pro Haushalt. Platz drei und vier belegen die USA (62 kg) und Estland (48 kg).


Werbeverweigerung gering

Geschätzt wird Werbepost nicht unbedingt, aber die Anzahl der Werbeverweigerer ist immer noch gering, wie eine Studie der Universität Kassel ergab. Demnach verweigern nur 20 Prozent aller Haushalte Werbebriefe aktiv durch Aufkleber auf Briefkästen. Die aktive Zahl der Werbeverweigerer durch einen Eintrag in die sogenannte Robinson-Liste beim Deutschen Dialog-Marketingverband ist noch geringer. Nur 2,2 Prozent sind in die Robinsonliste eingetragen. Die Studie von Dr. Andreas Mann, Professor für Marketing, und Dr. Andrea Barkhof, Mitarbeiterin am Fachgebiet Marketing, untersuchte die Gründe, warum viele Personen keine Werbebriefe empfangen möchten. Das Ergebnis: Meist ist es nicht nur die Aufdringlichkeit der Werbung. Zusätzlich spielen soziale Normen die entscheidende Rolle. „Wer viele Werbeverweigerer in der Nachbarschaft hat, ist sehr wahrscheinlich selbst einer“, sagt Prof. Dr. Mann. Dies gilt besonders in großen Städten und Mehrfamilienhäusern. Als störend wird besonders der anfallende Papiermüll wahrgenommen. 41 Prozent der Befragten gaben an, sie seien von der Papierentsorgung zumindest etwas „genervt“.

Auch umweltbewusste Menschen sind häufiger Werbeverweigerer. Kein Wunder, denn trotz aller Nachhaltigkeit und der Verwendung von Altpapier ist die Papiererzeugung ein Rohstofffresser. Nach den Kennzahlen des Verbands Deutscher Papierfabriken werden für die 1,9 Millionen Tonnen Werbepost rund 1,08 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen. Auch der Wasserverbrauch ist gravierend. Bei einem Verbrauch von 9.000 Liter pro Tonne Papier werden für Werbepost demnach in nur einem Jahr 15 Milliarden Liter Wasser eingesetzt. So viel verbrauchen 30.000 Menschen in einem Jahr. Da hilft auch Recyclingpapier nur bedingt. Bei Spendenbriefen werden zusätzlich auch die Versand- und Druckkosten kritisch hinterfragt. Für Aufmerksamkeit sorgte deshalb kürzlich ein Mailing von Caritas International zu Gunsten der Hilfe in Syrien, das explizit die Kosten des Briefes mit 65 Cent im begleitenden Flyer abdruckte.


Werbebriefe werden geöffnet

Dass Masse nicht Klasse ist, sollte mittlerweile auch klar sein. Tatsächlich werden die meisten versandten Werbebriefe geöffnet, so Wirtschaftswissenschaftler Mann: „Trotz oft gegenteiliger Vorstellungen, öffnen – laut Ergebnissen aus Panelstudien von Marktforschungsinstituten – rund 70 Prozent aller Empfänger ihre erhaltenen Werbebriefe.“ In bestimmten Branchen, beispielsweise Kosmetik, seien es sogar über 90 Prozent. Die letzten Studien zu Spendenbriefen sind hier schon sehr alt und gingen damals von über 85 Prozent Öffnungsrate aus.

Nach Ansicht von Studienleiter Mann bieten Werbebriefe auch in Zeiten von E-Mail und Social Media Vorteile. Sie gelten im Vergleich zu E-Mails als glaubwürdiges Medium. Zudem müssen sie nicht zwangsläufig geöffnet werden, um Erfolg zu haben. „Auch ein ungeöffneter Brief kann eine Botschaft senden. Ein gut gestalteter Umschlag mit Logo und Slogan des Absenders hinterlässt oft einen Eindruck“, so Mann. Auch Jürgen Schrödl, Geschäftsführer bei J.S: Marketing, Leipzig, bringt die Überlebenschancen des Werbebriefes auf den Punkt: „Er hat beste Überlebenschancen. Als Instrument des Direktmarketings hat er nach wie vor geringe Streuverluste. Und im Zeitalter der beschleunigten Online-Kommunikation sendet ein Brief neue Achtungszeichen. Er bekommt einen neuen Wert. Er ist haptisch. Er ist greifbar. Vorausgesetzt, sein Inhalt ist begreifbar.“


Teures Medium clever einsetzen

Die Experten sind sich darüber einig, dass ein solch teures Medium deshalb mehr Besinnung auf den Inhalt braucht. Es ist eben kein Wegwerfartikel sondern zielgruppengerechte Information, im Fall eines Spendenbriefes eben verbunden mit de Wunsch, der Empfänger möge eine Spende tätigen. „Werbetreiber sollten zielgruppenorientierter werden“, sagt Mann. „Es bringt nichts, Autowerbung an Personen ohne Führerschein zu schicken.“ Ein Hinweis, der auch bei der Adressselektion und vor allem der Adressbereinigung vor dem Versand eines Spendenbriefs berücksichtigt werden sollte. Nach Ansicht von Adressbrokern können fünf bis 25 Prozent einer Spenderdatei, je nach Aktualität des Datenbestandes, allein durch einen Abgleich mit Umzugsdaten der Deutschen Post optimiert und damit die Retourquote und die Kosten gesenkt werden.

Die nahe Zukunft liegt momentan in Themen wie Neuromarketing bei der Konzeption von Werbebriefen und auch in Donor Journeys, mit deren Hilfe Spender identifiziert werden können, die sich gerade aktuell für ein Thema interessiert zeigen, sei es durch das Öffnen eines Newsletters oder den Besuch einer Landingpage. Das könnte der ideale Zeitpunkt für einen Spendenbrief sein.

(Bild: pxhere.com)

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Kommentar von Sabina Berger |

"1,9 Millionen Tonnen Werbepost (...) Bei einem Verbrauch von 9.000 Liter pro Tonne Papier werden für Werbepost demnach in nur einem Jahr 15 Milliarden Liter Wasser eingesetzt. So viel verbrauchen 30.000 Menschen in einem Jahr."

Eine spannende Rechnung, die den Verbrauch endlich in Zahlen fasst. Aber sind Sie sich dieser Angaben sicher? Das käme einem Pro-Kopf-Verbrauch von 1.500 Litern pro Tag gleich, was nicht stimmen kann (15.000.000.000/30.000/365) - sofern nicht der gesamte "Wasserabdruck" eines Menschen gemeint ist inkl. Aufwendungen für Landwirtschaft etc.

Können Sie Licht ins Dunkel bringen?

Antwort von Matthias Daberstiel

An dieser Stelle sind wir auch überfragt. Die genannte Studie von Caya und dem Weltpostverband hat diese Zahlen publiziert. Der Wasserverbrauch eines Haushalts ist tatsächlich geringer. Liegt in Europa zwischen 85 und 265 Litern. Eventuell könnte es sich also wirklich um einen Wasser-Foot-Print handeln und es ist nur ungenau formuliert.

Der Gesamtverbrauch eines Deutschen liegt nach wasserfussabdruck.org bei 1430 Kubikmetern, was 1.430.000 Litern entspricht - im Jahr. Also sogar 3.931 Litern pro Tag. Basis ist hier ein UNESCO-IHE-Bericht.

Das bringt zwar keine Klarheit, aber vielleicht eine neue Einordnung.

Viele Grüße

Matthias Daberstiel

Kommentar von Andreas Kneiphoff |

Vielen Dank für den thematisch sehr interessanten Artikel.

Allerdings fehlt mir eine deutliche Trennung zwischen un- bzw. teiladressierter Werbung zu volladressierten Werbebriefen. Letztere werden in der Regel von NGOs eingesetzt, um Spenden zu gewinnen.

Die Anzahl der volladressierten Werbebriefe hat in den letzten Jahren wohl eher abgenommen – was den verbleibenden Briefe hinsichtlich ihrer Wahrnehmung zu Gute kommt.

Die Trennung zwischen un-/teil-volladressierter Werbebriefe ist aber auch hinsichtlich der Werbeverweigerer wichtig, denn der Aufkleber am Briefkasten verhindert volladressierte Werbebriefe nicht, was einen weiterer Vorteil ist.