FUNDRAISING-PRAXIS

„Money comes from paper“

Unsere Kommunikation wird immer digitaler. Welche Auswirkungen hat das für den klassischen Spendenbrief? Gehört er (bald) zum alten Eisen oder gilt die Weisheit „Money comes from paper“ weiterhin? Sebastian Carp wirft als Gastautor einen Blick auf verschiedene Studienergebnisse.

Es gibt Augenblicke, die brennen sich unmittelbar ins Gedächtnis ein. Ein solcher Moment war für mich ein Vortrag von Steven Pidgeon beim International Fundraising Congress (IFC) 2014. Da hob dieser Experte die Stimme und sagte: „Don’t forget!“, und es folgte eine Pause, „Money comes from paper.“ Pidgeon verkürzte damit eine bekannte Redewendung („Money comes from paper and paper comes from trees.“) und deutete sie auf Spendenbriefe um. „Money comes from paper“ war für ihn die Schlussfolgerung aus einem Fallbeispiel.

Pidgeon hatte als temporärer Berater eine crossmediale Kampagne einer NGO in Dänemark begleitet. Es gelang via Social Media, TV und out of home-Werbung, jede Menge Aufmerksamkeit zu generieren. Doch das Spendenergebnis blieb deutlich unter dem Erwartbaren und vergleichbarer Aktionen. Was war passiert? Die Verantwortlichen in der NGO hatten auf Direct Mail, die klassischen Spendenbriefe, im Maßnahmenmix verzichtet. Ob das aus Kostengründen oder einer euphorischen Technikbegeisterung geschah, kann ich nicht mehr erinnern. Die Gründe sind auch nicht wichtig, was interessiert, ist das Resultat.


Stirbt der Spendenbrief aus?

Ein Marketingberater aus dem Profitbereich erzählte mir vor Weihnachten von einem seiner Kunden. Ein national tätiges Einzelhandelsunternehmen, das als Internet-Startup begonnen hatte. Es gewinnt inzwischen den weit überwiegenden Teil seiner Neukunden via Direct-Mail. Nun darf man nicht von Einzelfällen auf allgemeine Aussagen schließen. Die Erfahrungen meiner eigenen Fundraisingpraxis für die Evangelische Kirche in Mannheim und ihre Diakonie scheinen diese Weisheit jedoch ebenfalls zu stützen. Die Ergebnisse der Spendenbriefkampagnen und die Zahl der verschickten Mailings wachsen Jahr um Jahr. Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung nun tatsächlich auf das Werkzeug der Spendenbriefe? Sind sie im Aussterben begriffen oder doch ein bleibender Bestandteil jedes Fundraising-Mixes?


Ein Blick in die Studien

Also ziehe ich einige Studien und Statistiken zu Rate. Michael Urselmann untersuchte für seinen Vortrag „Wandel der (Spender)Generationen“, gehalten beim Bad Honnefer Fundraising Forum 2018 die Nutzung des Spendenbriefs für die Neuspendergewinnung via Kaltadress-Mailings der Kunden des Dienstleisters GFS. 82 Prozent der so gewonnenen Neuspender gehören gemäß einer Vornamenanalyse der Generation der Wiederaufbauer (66+ Jahre) an. Nur 15 Prozent sind Babyboomer (51–65 Jahre) und nur drei Prozent Angehörige der Generation X (36–50 Jahre) Nun sind diese Zahlen mit etwas Vorsicht zu genießen, schließlich wurden sie als Durchschnitt über alle Kunden der GFS gebildet. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die ausgewerteten Adressdaten gemäß der statistischen Verteilung der Altersgruppen in der Bevölkerung oder der spendenden Personen in Deutschland gewichtet wurden.


Mailings sind bei der Neuspendergewinnung eine Generationenfrage

Als nächstes nehme ich den Dialogmarketing Monitor der Deutschen Post AG zur Hand. Nach Anzeigenwerbung und Onlinemarketing belegen die Werbesendungen Platz 3 bei den beliebtesten Werbemedien Deutscher Unternehmen (NPOs sind nicht berücksichtigt). Dabei haben die Werbesendungen 2017 sogar das größte Wachstum im Vergleich zum Vorjahr (+0,4 Mrd. €) aufzuweisen. Volladressierte Werbesendungen machen hier den Großteil aus (6,5 Mrd. € total; ebd. S. 14). „Jedes dritte deutsche Unternehmen macht gezielte Bestandskundenwerbung, also Werbung, die sich speziell an bereits vorhandene Kunden des Unternehmens richtet. Für 28 Prozent dieser Unternehmen ist die papierbasierte, volladressierte Werbesendung das wichtigste Medium ihrer Bestandskundenwerbung.“ (ebd. S. 7)


Mailings sind unverzichtbar für Spenderbindung

Dann schaue ich mir noch die Presseinformation für die Bilanz des Helfens 2018 von der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und des Deutschen Spendenrats an. Auf die Frage „Was hat den (Haupt-) Anstoß zur Spende gegeben?“ antworteten 22,7 Prozent der Befragten, dass dies ein persönlich adressierter Brief war (ebd. S. 18). Dieser Wert schwankte in den Jahren 2014 bis 2017 zwischen 20,8 Prozent und 24,7 Prozent. Im gleichen Zeitraum gaben zwischen 22,0 Prozent und 27,5 Prozent der Befragten an, dass sie regelmäßig spenden, das heißt „im Sinne von, ich spende immer für diese Organisation“. Was für diese regelmäßigen Spenden ursprünglich einmal den Anstoß gegeben hat, bleibt ebenso unklar wie der Umstand, ob die so antwortenden Personen auch einen Spendenbrief erhalten haben. Mutmaßlich spielt bei dieser Gruppe der Spenderinnen und Spender das Mailing eine Rolle. Auf jeden Fall sind der Spendenbrief und die regelmäßigen Spenden mit weitem Abstand die wichtigsten Spendenanlässe für die Befragten. Soziale Medien (0,3 Prozent) und das Internet (2,1 Prozent) rangieren noch weit am Ende der Skala.


Mailings sind weiterhin der wichtigste Spendenanstoß

Dass die Deutsche Post AG in ihren Äußerungen den Eindruck erweckt, dass die Zahl der in Deutschland verschickten Briefe drastisch sinkt und die Zeit der Briefpost sich dem Ende neigt, ist nicht haltbar. Auch wenn die Deutsche Post AG selbst weniger Briefsendungen verschickt, versenden ihre Konkurrenten mehr. Es ist, wie man dem Tätigkeitsbericht 2016/17 der Bundesnetzagentur entnehmen kann (ebd. S. 14), seit Jahren ein stabiles Aufkommen von ca. 16 Mrd. Briefsendungen pro Jahr zu verzeichnen.


Mein Fazit: Die Weisheit gilt weiterhin

Die Weisheit „Money comes from paper“ gilt bis auf weiteres weiterhin. Der analoge Spendenbrief ist nach wie vor unverzichtbar im Fundraising-Mix. Insbesondere für die Pflege von Spenderinnen und Spendern ist er das Mittel der Wahl. Der Papierbrief ist in einer mehr und mehr digitalisierten Welt ein Medium, das die persönliche Wertschätzung und Ansprache überzeugend transportieren kann. Zudem entgeht er der Gefahr, in der Flut elektronischer Nachrichten unterzugehen, sticht durch seine physische Präsenz im Briefkasten hervor. Mit der Physis ist auch die Haptik verbunden, eine weitere kategoriale Unterscheidung zu den elektronischen Medien.

Auch für die Neuspendergewinnung mittels gemieteter Kaltadressen wird der Spendenbrief noch einige Jahre, zumindest für die Wiederaufbauergeneration, eine Rolle spielen. Zweifel daran, dass sich die Babyboomer oder die Generation X in Zukunft von diesem Medium noch als Neuspender ansprechen lassen, scheinen nicht unbegründet zu sein. Es wird mehr und mehr darum gehen, den Fundraising-Mix an die gewandelten Kommunikationsgewohnheiten anzupassen und damit auszuweiten. Ob dann der Spendenbrief im Rahmen der Spenderpflege für diese Generationen ein probates Mittel bleiben wird, muss sich erst zeigen.

Für große Mitgliederorganisationen wie den Kirchen oder bestimmte Wohlfahrtsverbände macht die Neuspendergewinnung per Brief weiterhin sehr viel Sinn. Die Responsequoten und der ROI bei Mailings an Mitglieder, die bislang nicht spendeten, liegen i.d.R. weit über den Zahlen von gemieteten Adressen für die Kaltaquise. Meist schaffte man mit Mitgliedermailings auf Anhieb den break-even. So gilt hier von Beginn an: „Money comes from paper.“

Dieser Beitrag erschien bereits im Blog Fundraising-Weisheiten von Sebastian Carp.

Sebastian Carp (Jg. 1971) ist evangelischer Pfarrer und leitet seit 2009 die Stabs- und Servicestelle Fundraising der Evangelischen Kirche und des Diakonischen Werks in Mannheim. Arbeitsschwerpunkte sind Fundraisingstrategien, Direct-Mailing und Databases. Er ist Lehrbeauftragter an der PH Heidelberg, Mitorganisator der Fachtagung faith+funds im DFRV und bloggt zu Fundraising-Weisheiten unter www.sebastian-carp.de.

(Bilder: StefanHoffmann/pixabay.de, privat)

Zurück

Einen Kommentar schreiben