FUNDRAISING-PRAXIS

Meinungssturm besser als Shitstorm

Ein Meinungssturm bündelt die berechtigte Kritik von Konsumenten an einem Produkt oder der Politik eines Unternehmens und soll dabei helfen, ein Problem wieder ins Blickfeld eines Konzerns zu rücken. Dadurch kann er zu einem wertvollen taktischen Element einer Kampagne werden.

Von Volker Gaßner

Der Meinungssturm ist ein legitimes und demokratisches Mittel, um im Rahmen einer Kampagne für einen begrenzten Zeitraum die Aufmerksamkeit eines Gegners auf ein bestehendes, aber ungelöstes Problem zu lenken. Er ist vor allem ein Versuch und ein Angebot, wieder in einen lösungsorientierten Dialog zu treten. Organisationen haben oft nur sehr kurze Aufmerksamkeitsmomente im Web. Diese gilt es gezielt und effektiv zu nutzen.
Im Fall der KitKat-Kampagne von Greenpeace nutzten die kritischen Verbraucher die Social Media-Kanäle des Schweizer Schokoladenherstellers Nestlé, um einen kritischen Dialog zu starten und gegen die Produktionsbedingungen der KitKat-Riegel zu protestieren. Mit dem gezielten „Kidnapping“ fremder Communities lässt sich die Kommunikationshoheit auf den Fan-Seiten von Unternehmen für einen begrenzten Zeitraum übernehmen. Das ist der Moment, der für die meisten Unternehmen sehr unangenehm ist, denn Aktivisten können so direkt ihre Fans oder Follower ihrer Marken ansprechen. Im Fall von Nestlé waren das 2010 immerhin schon über 600.000 Fans auf Facebook.

Berechtigte Kritik statt Diffamierung

Die Auslöser eines Meinungssturms sollten allerdings darauf achten, dass der Meinungssturm nicht zu einem Shitstorm mutiert, also der Dialog nicht zu weit von der inhaltlichen Dimension der Diskussion abschweift. Wenn der Ton zu sehr an Schärfe gewinnt und der Dialog von einigen Diskutanten auf unangemessene, etwa diffamierende Weise geführt wird, kann dies für NGOs kontraproduktiv sein, da es die eigentliche Kritik gewissermaßen diskreditiert. Die mediale Wahrnehmung kann umschlagen und sich gegen die berechtigte Kritik wenden, weil die Kommunikationsform als unangemessen bewertet wird. Ein Meinungssturm sollte vom Auslöser aktiv begleitet und moderiert werden. Das Ziel ist es schließlich, in einen Dialog zu treten.

Unterschied zum Shitstorm

Das Wort Shitstorm wurde vor allem durch Sascha Lobo, Web-Vordenker und Blogger, in Deutschland bekannt und populär. „Der Shitstorm bezeichnet eine unvorhergesehene, anhaltende, über soziale Netzwerke und Blogs transportierte Welle der Entrüstung über das Verhalten öffentlicher Personen oder Institutionen, die sich schnell verselbstständigt und vom sachlichen Kern entfernt und häufig auch in die traditionellen Medien hinüber schwappt“ (Jury Anglizismus des Jahres 2011). Entscheidend ist hier der zweite Teil des Satzes: „… und vom sachlichen Kern entfernt“. Der Shitstorm hat also keine inhaltliche Relevanz mehr, sondern es geht nur noch um die Attacke als solche. Sascha Lobo ging 2010 auf der re:publica sogar so weit, dass er Konzernen augenzwinkernd geraten hat, bei Bedarf Shitstorms selbst durch heftiges Kommentieren auszulösen und so die echte Kritik zu verdrängen.

Juristische Mittel verstärken Meinungsstürme

Diesen Ratschlag scheinen sich einige Konzernlenker, Juristen und Agenturen für ihr Krisenmanagement zu Herzen genommen zu haben. Tatsächlich passiert es fast wöchentlich, dass gebündelte Kritik an einem Ort fast reflexartig als Shitstorm abgestempelt wird. In Konfliktfällen ziehen die Kommunikationsverantwortlichen oft die Notbremse – sie schalten ihre Facebookseite blind oder die Kommentarfunktionen in ihrem Blog ab. Sehr gerne wird NGOs auch mit juristischen Mitteln gedroht. Doch die Kritik verschwindet durch diese Maßnahmen nicht, im Gegenteil: Diese Reaktionen verstärken nur die Diskussionen, die sich dann nur auf andere Social Media-Kanäle verlagern und sich somit der eigenen Kommunikationsreichweite entziehen. Gerade von den ersten Reaktionen eines Unternehmens hängt es vielfach ab, ob und wie sich aus dem Meinungssturm ein möglicher Shitstorm entwickelt. Die ersten Minuten, vielleicht auch noch Stunden, sind entscheidend, um erfolgreich in einen – zugegebenermaßen aufgezwungenen – Dialog zu treten. Zögert der Konzern zu lange und wartet ab, verliert er zunehmend die Kontrolle über die Kommunikation. „Das größte Risiko ist Schweigen“, sagte Hartmut Gahmann, Leiter Unternehmenskommunikation von Nestlé Deutschland im Interview mit „Capital“, ein Jahr nach der KitKat-Kampagne von Greenpeace.

Dialog und Lösung

KitKat-Kampagne von Greenpeace 2010
KitKat-Kampagne von Greenpeace, 2010

Die kritisierten Unternehmen vergessen bei ihrem Umgang mit ihren Kritikern vor allem eines: Sie stehen unter Beobachtung. In erfolgreichen und reichweitenstarken Kampagnen wird jeder Schritt – Aktion und Reaktion – aufmerksam verfolgt und von Bloggern analysiert und kommentiert. Betroffene Unternehmen sollten das Angebot zu einem kritischen Dialog annehmen, zuhören und die kommunizierten Probleme ernst nehmen. Es ist wichtig, NGOs als Stakeholder und wichtigen Gesprächspartner wahrzunehmen, mit ihnen in einen offenen Dialog zu treten – und zu handeln. Der Einsatz von juristischen Mitteln ist dagegen nicht hilfreich, sondern kann das Problem sogar verschärfen. Das hat nicht nur die KitKat-Kampagne von Greenpeace 2010 gezeigt. Der durch die Umweltorganisation ausgelöste Meinungssturm zeigte Wirkung: Nach zweieinhalb Monaten Kampagne versprach Nestlé seinen KitKat-Schokoriegel nicht mehr mit Palmöl aus Regenwaldgebieten zu produzieren.

Volker Gaßner leitet seit Januar 2008 das Team Presse, Recherche und Neue Medien von Greenpeace e.V. in Hamburg. Der Bankkaufmann und Diplom-Biologe ist Gründer der Campaigning Academy Berlin, die am 27./28. Mai 2016 ein Seminar Kampagnenstrategie anbietet.


(Bild: privat)

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