INTERVIEW

„Spenden lässt uns länger leben“

Dave Erasmus
Dave Erasmus

Über 1,5 Millionen US Dollar konnten gemeinnützige Organisationen bereits über die Spendenplattform Givey.com einwerben. Paul Stadelhofer sprach mit Dave Erasmus, dem Gründer und Geschäftsführer der Plattform, was das Geben eigentlich für Mensch und Gesellschaft bedeutet.

NGO-Dialog: Sie beschäftigen sich mit der Wissenschaft des Gebens. Was bedeutet das und woher kommt Ihr Interesse an dem Thema?

Dave Erasmus: Während ich aufgewachsen bin, wurde mir immer gesagt, dass es gut ist zu geben. Ich habe beobachtet, dass viele Menschen spenden, während andere das nicht tun. Ich wusste nie warum die Menschen das tun und welche untersuchbaren Verhaltensweisen und Effekte existieren. Ich habe also angefangen zu recherchieren und bin bald auf einige spannende Artikel gestoßen, die ich anschließend mit deren Autoren diskutiert habe.


NGO-Dialog:
Und was sind die Ergebnisse?

Dave Erasmus: Eine interdisziplinäre Betrachtung verschiedener Gedanken zum Geben, aus den Bereichen der Neurowissenschaften, der Verhaltensökonomie und der Makroökonomie. Die Betrachtungen der Verhaltensökonomie enden oft damit, dass beim Geben das Potenzial existiert, dass ein warmes Glühen (Warm-glow giving) auftritt. Dass wir nicht nur rational helfen, sondern auch ein positives emotionales Gefühl dabei erhalten, ist der Schlusspunkt der Untersuchung der Ökonomen. Für die Neurowissenschaftler ist diese Beobachtung erst der Anfang, und sie versuchen herauszufinden, was dieses positive Gefühl bedeutet. Im Vergleich verschiedener Forschungsfelder entwickelt sich ein Verständnis, warum das Geben wichtig für unsere Gesellschaft ist. Es ist eine einzigartige Methode zur Transaktion von Werten. Beim Geben passiert deutlich mehr als bei jeder anderen Form von Transaktion.


NGO-Dialog:
Drei Effekte des Gebens konnten Sie beobachten: den „true effect“, den „social effect“ und den „capital effect“. Fangen wir vorn an: Was ist der „true effect“?

Dave Erasmus: Beim Geben werden biochemische Substanzen freigesetzt, wie Serotonin. Das gibt uns ein gutes Gefühl, genau wie beim Sex, beim Schokolade essen oder beim Drogen nehmen. Das passiert dann, wenn wir mit einer besonders altruistischen Motivation spenden. Vom Altruismus kommt auch der Name „true effect“. Dieser Belohnungskreislauf setzt Chemikalien frei, die gut für uns sind, unser Wohlbefinden fördern. Laut dem Greater Good Science Centre der Berkley University lässt uns ein aktiv gebender Lebensstil sogar länger leben.


NGO-Dialog: Was ist der „social effect“?

Dave Erasmus: In der Verhaltensökonomie wird oft der sogenannte „social proof“ beobachtet. Das bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Sie spenden deutlich höher ist, wenn Sie wissen, dass ich gespendet habe. Dieses Phänomen ist bei emotionalen Herzensangelegenheiten deutlich stärker zu beobachten als beispielsweise beim Schuhkauf. In Großbritannien tun wir uns schwer damit, unsere Gaben mitzuteilen, und wir denken es sei am besten im Privaten getan. Das kann zwar nobel wirken, doch wird der meiste Wert geschaffen, wenn wir unsere Spenden anderen mitteilen. Das sehen wir auch bei der Ice Bucket Challenge, wo es eine intrinsische Eigenschaft des Modells war, die Spende mitzuteilen.


NGO-Dialog: Und da kommen wir zum „capital effect“.

Dave Erasmus: Den beobachten wir in allen Modellen von Transaktion und er beschreibt, wie viel Geld eingesetzt wird, um ein Problem zu lösen. Nachdem ich mit Givey.com über eine Million Dollar für gemeinnützige Organisationen gesammelt habe, wusste ich nicht wofür das Geld eigentlich verwendet wird, und ich wollte mehr darüber wissen, wie wir Kapital sinnvoll einsetzen können. Wir machen Innovationen der Innovation wegen, und wir sammeln Geld des Fundraisings wegen. Das reicht nicht. Philanthropisches Kapital ist am besten für die Gesellschaft, wenn es in riskanten Projekten verwendet wird, in Projekten aus Leidenschaft. Das Kapital von Unternehmen, von Fördermittelgebern und der Regierung ist nutzbar, wenn es um eine Idee geht, die gut etabliert ist, aufgeschlüsselt und nachverfolgt wurde. Das sind genau die Projekte, in denen das Kapital nicht gebraucht wird. Kleine Initiativen mit großen Ideen sind die besten Projekte für wirkungsvolle Investitionen.


NGO-Dialog: Sie wehren sich aber gegen einen starken Fokus auf den Wert einzelner Transaktionen.

Dave Erasmus: Denken wir an das menschliche Verhalten beim Spenden. In einer Gesellschaft funktioniert das Geben so: Ich gebe Ihnen etwas und erwarte keine unmittelbare Gegenleistung. Ich hoffe und erwarte aber, dass Sie ab irgendeinem Punkt für jemand anderen in der Gemeinschaft etwas tun und dass meine Hilfe irgendwann eine Art Schmetterlingseffekt auslöst. Das schöne an diesem Ansatz ist, dass jeder – ganz gleich wie wenig er hat – die Welt verändern kann. Wenn ich Ihnen einen Euro gebe, wenn Sie ihn brauchen, könnte das später ein deutlich größeres Geschenk für andere auslösen. Wenn sich die Spenden-Industrie nur auf den Wert individueller Transaktionen konzentriert, begrenzt sie diese Möglichkeit. Die Wirtschaftsprofessorin Sarah Smith von der University Bristol hat das an Spendenplattformen intensiv untersucht. Wenn die erste Spende auf einer Seite hoch ist, werden alle anderen Spenden hoch sein. Wenn die erste Spende niedrig ist, werden es auch alle anderen sein.

 

Mehr über Dave Erasmus erfahren Sie auf dessen Internetseite. Mehr über sein Buchprojekt Giving Frequency erfahren Sie hier.

(Bild: : Paul Stadelhofer/Fundraiser-Magazin)

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