INTERVIEW

50 Jahre Welthungerhilfe – Unternehmenskooperationen gehören dazu

Katharina WerthenbruchDie Welthungerhilfe ist eine der größten privaten Hilfsorganisationen in Deutschland. Sie leistet Hilfe aus einer Hand: von der schnellen Katastrophenhilfe über den Wiederaufbau bis zu langfristig angelegten Projekten der Entwicklungshilfe mit einheimischen Partnerorganisationen nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Seit der Gründung im Jahr 1962 wurden rund 6.800 Projekte in 70 Ländern mit 2,39 Milliarden Euro gefördert – für eine Welt ohne Hunger und Armut. Nach dem Motto „Gemeinsam handeln und nachhaltig wirken“ geht die Hilfsorganisation auch in Deutschland partnerschaftliche Wege mit den Unternehmen, die sich engagieren wollen. Dabei bietet sie unterschiedliche Möglichkeiten an, um im Rahmen unternehmerischer Tätigkeit soziale und ökologische Verantwortung zu übernehmen. Langfristig möchte die Welthungerhilfe insbesondere die beratende Funktion der Unternehmer in den Projektländern ausbauen. Grundlage für die Zusammenarbeit sind die Leitlinien für Unternehmenskooperationen, die die Welthungerhilfe an den zehn Prinzipien des „Global Compact“ der Vereinten Nationen ausgerichtet hat.

NGO-Dialog: Frau Wertenbruch, die Welthungerhilfe beteiligt sich am United Nations Global Compact. Können Sie kurz die Bedeutung dieses weltweiten CSR-Netzwerkes erläutern?

Der United Nations Global Compact verfolgt zwei sich ergänzende Ziele: Zum einen will er die zehn universell anerkannten Prinzipien aus den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsnormen, Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung weltweit in unternehmerisches Handeln verankern. Zum anderen will er Impulse geben und Maßnahmen anregen, welche u.a. die Millennium-Entwicklungsziele der Vereinten Nationen unterstützen. Den interessierten Unternehmen, NGOs und Stakeholdern bietet das weltweite CSR-Netzwerk zahlreiche Möglichkeiten an, um in den Dialog zu treten, beispielsweise im Rahmen weltweiter Netzwerktreffen. Dort können sie ihre Erfahrungen auszutauschen und Kontakte knüpfen.

NGO-Dialog: Für die Zusammenarbeit mit Unternehmen hat die Welthungerhilfe eigene Leitlinien entwickelt. Welche Schwerpunkte wurden dabei gesetzt?

Die Welthungerhilfe, die sich seit 2006 an dem Programm beteiligt, lädt Unternehmen ein, aus den gemeinsamen Zielen gemeinsames Handeln werden zu lassen. Unsere eigenen Leitlinien basieren auf den Prinzipien des Global Compact. Wir suchen den Dialog mit Unternehmen, die verantwortungsvoll, sozial und ökologisch handeln. Diese Leitlinien haben eine sehr große Bedeutung für die Ausrichtung unserer Arbeit. Denn sie definieren nicht nur den Rahmen für das Handeln der Unternehmen, sondern sind gleichzeitig auch die Richtlinie für unser Auftreten in der Öffentlichkeit. Die Unterstützung und Achtung der internationalen Menschenrechte steht dabei für uns ganz klar im Vordergrund. Gerade in der Projektarbeit ist es uns wichtig, gemeinsam mit den Unternehmen für die Abschaffung von Kinderarbeit, die Einhaltung von Arbeitsnormen und die Bekämpfung von Korruption einzutreten. Um den Umweltschutz zu fördern, achten wir auf das gesamte Handeln und die ganze Wertschöpfungskette der Unternehmen. Ziel ist es, dass die Unternehmen die Entwicklung und Verbreitung umweltfreundlicher Technologien beschleunigen. Unternehmen, die mit uns zusammenarbeiten möchten, müssen sich den zehn Prinzipien des Global Compact oder vergleichbaren Codizes im Bereich Nachhaltigkeit und Global Responsibility verpflichtet haben.

NGO-Dialog: Nach 50 Jahren blickt die Welthungerhilfe auf zahlreiche Unternehmenskooperationen zurück. Welche Form der Zusammenarbeit hat sich für Ihre Organisation als die erfolgreichste erwiesen?

Gemeinsam mit unseren Unternehmenspartnern haben wir innerhalb der letzten Jahre viel erreichen können. Wir können von zahlreichen Erfolgsstorys berichten. Welche Form der Kooperation wir mit den Unternehmen eingehen, hängt großenteils vom Engagement der Geschäftsführung sowie der Mitarbeiter ab. Es gibt die klassische Unternehmensspende, die meist direkt von der Geschäftsführung ausgeht. Oder die Anlassspende, bei der beispielsweise eine Weihnachtsfeier oder das Sommerfest genutzt wird, um einen Spendenaufruf im Unternehmen zu tätigen. Da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. Eine treibende Kraft sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst, die bei Sportwettbewerben oder Tombolas zugunsten der Welthungerhilfe zu Spenden aufrufen. Ein Beispiel dafür ist unsere Aktion Restgeld, die Sie in der Juni-Ausgabe Ihres Newsletters vorgestellt haben. Wichtig in unserem Fundraising-Mix sind auch die Cause Related Marketing (CRM)-Aktionen, bei denen ein Unternehmen ein Produkt aus seinem Angebot zum Benefiz-Produkt kürt. Für einen Mindestspendenbetrag erhält das Unternehmen die Erlaubnis das Welthungerhilfe-Logo für Marketing und Vertrieb, innerhalb des Vertrags-Zeitraumes, zu nutzen. Der Verkaufserlös kommt einem konkreten Projekt oder einer speziellen Initiative, beispielsweise der nachhaltigen Ernährungssicherung, zugute oder fließt als freie Spende in die generelle Unterstützung unserer Arbeit..

NGO-Dialog: Was ist das Erfolgsrezept einer guten Zusammenarbeit zwischen NGO und Unternehmen? Welche Kernkompetenzen sollten beide Partner mitbringen?

In erster Linie ist es uns wichtig, dass mögliche Unternehmenspartner unsere Leitlinien anerkennen. Eine gute Kooperation basiert immer auf den Grundwerten des gegenseitigen Respekts, auf gegenseitiger Achtung und transparenter Darstellung der zu verfolgenden Ziele. Nach unserer Erfahrung ist eine längerfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Regel erfolgreicher, deshalb versuchen wir, Unternehmenskooperationen auf Langfristigkeit auszurichten. Die Welthungerhilfe hat eine große Expertise in den Projektländern, diese nutzen wir für die Zusammenarbeit mit unseren Unternehmenspartnern.

Ein großer Erfolgsfaktor ist, unsere Arbeit möglichst greifbar und erlebbar machen zu können. Das kann z.B. auf einer Projektreise geschehen, wo wir die Wirksamkeit der Unterstützung des Unternehmens vor Ort direkt zeigen können. Aber auch durch Filme, Fotos oder persönliche Berichte unserer Projektmitarbeiter, die beispielsweise auf einer Mitarbeiterversammlung des Unternehmens über die Fortschritte in den Projekten berichten, wird unsere Arbeit für die Mitarbeiter bis hin zum Geschäftsführer greifbar. Die Unternehmen können in ihrem Intranet und in ihren Mitarbeiter-Zeitschriften ihr Engagement kundtun und wir berichten auf unserer Website und in unserem Spendermagazin. So können wir unsere Arbeit möglichst nahe an alle Beteiligten in einem Unternehmen, vom Mitarbeiter bis zum Geschäftsführer, heranbringen – erlebbar und sachlich fundiert. Wenn die Entscheider in der Führungsebene von der Unterstützung der Welthungerhilfe überzeugt sind, das Engagement ihrer Mitarbeiter zu schätzen wissen und es mittragen, sind das erfolgstreibende Impulse für eine Unternehmenskooperation.

NGO-Dialog: Wie definieren Sie in Bezug auf Unternehmenskooperationen Leistung und Gegenleistung?

Eine Unternehmensspende stellt eine klassische Win-win-Situation dar. Als NGO geht es uns um die Finanzierung unserer Projektarbeit, für das Unternehmen bedeutet es einen Image-Gewinn, welcher sich beispielsweise im Corporate Social Responsibility-Report niederschlägt. Bei einer Mitarbeiteraktion profitieren ebenfalls beide Seiten, denn motivierte Mitarbeiter sind ein wertvolles Potenzial für ein Unternehmen. Was die Mitarbeiter gemeinsam auf die Beine gestellt haben, kann sich im CSR-Report niederschlagen und öffentlichkeitswirksam vermarktet werden. Bei CrM-Aktionen profitieren wir als NGO, neben der Finanzierung der Projektarbeit, auch von einer erhöhten Bekanntheit durch die Abbildung unseres Logos auf dem Produkt. In dem Fall profitiert das Unternehmen durch erhöhten Abverkauf und Bekanntheit in Verbindung mit einem positiven Image.

Langfristig zielen wir bei der Zusammenarbeit mit Unternehmen zunehmend auf die Ebene gegenseitiger Beratung. Dabei wollen wir nach und nach unsere Expertise in den Projekt-Ländern mit dem Know-how der Unternehmen verknüpfen, um somit gemeinsam Verantwortung zu übernehmen und Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig zu gestalten.

NGO-Dialog: Wo sehen sie klassische Fallstricke bei der Zusammenarbeit zwischen NGO und Unternehmen? Wie kann man vermeiden, darüber zu stolpern?

Wichtig ist eine gründliche Recherche im Vorfeld. Damit lässt sich sondieren, ob das Unternehmen im Sinne der Leitlinien zu unserer Organisation passt. Sicherlich ist man nie ganz vor Überraschungen gefeit. Gerade weil persönliche Kontakte und die Erlebbarkeit unserer Arbeit so wichtige Erfolgstreiber sind, können beispielsweise Führungswechsel die Zusammenarbeit verzögern. Da wirkt es sich positiv aus, wenn die Mitarbeiter die Welthungerhilfe schon auf der Betriebsversammlung und durch Projektberichte kennengelernt haben und ihre Aktionen überzeugt weiterführen. CRM-Verträge sind auf einen bestimmten Zeitraum festgelegt, da gibt es weniger Probleme. Aber natürlich kann beispielsweise ein Produkt einbrechen, wogegen wir uns nur durch eine vertraglich vereinbarte Mindestsumme absichern können. Es gilt also, die Fallstricke schon im Vorfeld zu vermeiden und offen miteinander zu kommunizieren. Das Unternehmen sollte seine Produktionsketten offen darlegen und sich an unsere Leitlinien halten. Für uns gilt es, über die Wirksamkeit der Unterstützungen und über die Entwicklung im Projekt offen und ehrlich zu berichten.

NGO-Dialog: Für Ihr Jubiläumsjahr haben Sie eine außergewöhnliche Kampagne geplant. Mit „1 Stunde gegen den Hunger“ rufen Sie Einzelakteure, Städte und Unternehmen dazu auf, Arbeitszeit in eine Spende umzuwandeln. Wie können sich Unternehmen an dieser Aktion beteiligen?

Mit unserer aktuellen Kampagne rufen wir jeden einzelnen Menschen in Deutschland ebenso auf, wie alle uns verbundenen Unternehmen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, bei „1 Stunde gegen den Hunger" mitzumachen. Der einfachste Weg ist es, über den Stunden-Rechner auf unserer Website, einen Stundenlohn zu spenden. Beteiligt sich ein ganzes Unternehmen kann z.B. die Lohnbuchhaltung einen frei vereinbarten Betrag direkt vom Nettolohn einziehen und diesen an die Welthungerhilfe überweisen. Dazu ist selbstverständlich die Zustimmung des Mitarbeiters nötig. Wir freuen uns natürlich, wenn die Unternehmensleitung die Summe der Einzelspenden aufrundet oder gar verdoppelt. Jedes Unternehmen kann aber auch eine eigene individuelle Aktion starten. So hat beispielsweise ein Speditionsunternehmen einen bestimmten Beitrag pro bewegtem Lkw gespendet. Ein anderes Unternehmen spendete die gesamten Kantineneinnahmen einer Stunde. Da sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt. Highlight unserer Kampagne ist die Stunden-Aktion „Rent a Pilawa". Wir konnten Herrn Pilawa dafür gewinnen, seine individuelle Arbeitsstunde gegen den Hunger zu spenden. Unternehmen sind nun dazu aufgerufen, sich mit einer eigenen Idee um ihn zu bewerben. So wäre es denkbar, dass sie den Entertainer für eine Weihnachtsfeier oder die Moderation eines Führungskräfte-Meetings mieten oder ihn in eine Kundenveranstaltung einbinden. Für heute wurde Herr Pilawa von der Stadt Offenburg für ein Kugelstoß-Turnier gemietet.

Frau Wertenbruch, wir bedanken uns bei Ihnen für dieses Gespräch.

Katharina Wertenbruch, M.A. für Osteuropäische Geschichte und Slavische Philologie,leitet seit Juli 2012 die Abteilung Fundraising bei der Welthungerhilfe. Von 2008 bis 2012 arbeitete sie als freiberufliche Journalistin, Referentin für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit und Dozentin für die Bereiche Non-Profit-PR und Produktionsleitung/Newsproducer. Davor leitete sie als Newsproducerin Produktionen wie die Bundestagswahl, organisierte Kanzler- und Präsidenteninterviews und war für Nachrichtenredaktionen im Ausland tätig.

Zurück

Einen Kommentar schreiben