INTERVIEW

Wie sich über die haptische Wahrnehmung die Spendenbereitschaft steigern lässt

Olaf HartmannWissenschaftliche Studien zeigen, dass haptische Erfahrungen bei der Auswahl von Produkten eine entscheidende Rolle spielen. Es konnte sogar nachgewiesen werden, dass die Möglichkeit, Produkte zu „begreifen“ die Kaufbereitschaft der Kunden steigert. Für viele Menschen ist es wichtig ist, ein Produkt erst anzufassen, bevor sie eine Kaufentscheidung treffen. Doch welche Rolle spielt die multisensorische Kommunikation im Fundraising? Wie lassen sich die Erkenntnisse des Neuro-Marketings einsetzen, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen? Wir fragten den Spezialisten für multisensorische Kommunikation, Olaf Hartmann.

NGO-Dialog: Herr Hartmann, Sie produzieren mit Ihrem Unternehmen haptische Verkaufshilfen und sind selbst Spezialist auf dem Gebiet des „Multisensorischen Marketings“. Was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Multisensorisches Marketing bedeutet die konsequente Ausrichtung aller sensorisch wahrnehmbaren Signale auf den Kunden bzw. die strukturierte Steuerung all jener Signale, die wir als Menschen mit unseren Sinnen empfangen. Das heißt, dass sich im Produktdesign alles an der Frage orientiert, was die Qualitätswahrnehmung des Produkts beeinflusst. Letztlich geht es im Kommunikationsbereich immer um die folgenden Fragen: Welche sensorischen Signale werden vom Menschen wie verarbeitet? Und wie beeinflusst das die Wertschätzung, Wahrnehmung und Erinnerung? Für den Verkaufsprozess sind folgende Fragestellungen ausschlaggebend: Welche sensorischen Signale beeinflussen z.B. unseren Glauben an die Wahrhaftigkeit von Aussagen bzw. wie entsteht Überzeugung? Und da spielen unsere menschlichen Sinne unterschiedliche Rollen.

Um erfolgreiches Marketing zu betreiben, müssen sich Unternehmen fragen, wie können wir multisensorische Muster schaffen, die in unserem Sinne kommunizieren, in unserem Sinne Wertwahrnehmung und Wertschätzung erzeugen und in unserem Sinne überzeugen? Wie es schon Watzlawick sagte: Man kann nicht nicht kommunizieren. Und ein Unternehmen kann nicht nicht multisensorisch kommunizieren. Weil der Mensch alle Signale die er empfängt, sofort mit seiner Sozialisierung abgleicht. In unserer Evolutionsgeschichte war es für uns überlebenswichtig, ständig alle relevanten Signale wahrzunehmen und daraus nötige Reaktionen abzuleiten. Dieses Muster zeigt sich heute noch in unserem Verhalten. Dazu kommen unsere eigenen Erfahrungen. Bezeichnungen für Gegenstände, mit denen wir sensorische Erfahrungen haben, erzeugen stärkere Bilder in unserem Kopf und wir können uns diese auch besser merken.

Bei den Marketing-Erfolgen in der Vergangenheit und in der Gegenwart sieht man, dass derjenige am erfolgreichsten ist, der sein Nutzenversprechen und sein Anliegen so kommuniziert, dass es möglichst viele Sinne anspricht. Je mehr Sinne sie adressieren, desto glaubwürdiger und erfolgreicher sind Unternehmen. Multisensorisch identifizierbare Marken (bekanntes Beispiel Telekom: Farbe Magenta + Dreiklang) also Marken, die in mehreren Dimensionen kommuniziert wurden, zeigten in markenpsychologischen Studien eine doppelte Wiederkaufrate gegenüber Marken, die nur eine Dimension hatten.

NGO-Dialog: Herr Hartmann, nach Ihrer Aussage spielen Tastsinn und Motorik eine Schlüsselrolle, wenn es um Kaufentscheidungen geht. Haben Sie ein Beispiel aus der Praxis?

Das Menschen eher die Entscheidung treffen, Produkte zu erwerben, wenn sie diese vorher in die Hand nehmen durften, hat etwas mit psychologischer Inbesitznahme bzw. dem sogenannten Endowment-Effekt zu tun. Menschen schätzen Dinge, die sie selbst besitzen immer mehr als die Dinge, die sie besitzen könnten. Dieses Phänomen lässt sich künstlich produzieren. Wenn ihnen z.B. der Autohändler das Cabrio übers Wochenende mitgibt und sie fahren die ganze Zeit damit, dann fällt es ihnen schwer, es danach wieder abzugeben. Die Kaufentscheidung wird massiv dadurch unterstützt, dass sie sich psychologisch schon in der Position des Besitzers wähnen. Ein Experiment an der University of Ohio, zeigte den Zusammenhang zwischen haptischer Wahrnehmung und Preissensibilität. Menschen, die eine Kaffeetasse 30 Sekunden berühren durften, waren bereit, mehr für diesen Gegenstand zu bezahlen als diejenigen, die die Kaffeetasse nur 10 Sekunden berühren durften. Man muss es also schaffen, ein konkretes Erlebnis des jeweiligen Produkts möglich zu machen.

NGO-Dialog: Der Zusammenhang zwischen „greifen und begreifen“, zwischen Denken und Körperlichkeit, wurde ja bereits in der verhaltenspsychologischen und  neurologischen Forschung von vielen Seiten beleuchtet. Welche Forschungsergebnisse machen die Haptik so spannend für das Neuro-Marketing?

Im „Konzert der Sinne“ spielt die Haptik eine unglaublich wichtige Rolle für uns Menschen, weil die Haptik auch unser Überleben in der Evolution gesichert hat. Vor allen Dingen ist sie in der Wahrnehmung unser „Wahrheitssinn". Wenn wir etwas auf seine Echtheit überprüfen möchten, dann wollen wir es berühren, nehmen wir es in die Hand. Wir „versehen uns“ umgangssprachlich gesprochen, wir „verhören uns“, aber wir „verfühlen uns“ nicht.

Verkaufspsychologische Studien zeigen, dass schon allein das Berühren eines Gegenstandes die Preissensibilität senkt und die Kaufbereitschaft fördert, weil es sich sozusagen um eine psychologische Inbesitznahme handelt. Aber was noch viel wichtiger ist: was wir berühren, ist für uns wahr. Das hat einen Priming-Effekt auf die Wahrnehmung, die dadurch für weitere Reize sensibilisiert wird. Lassen Sie mich das an einem Beispiel verdeutlichen: Stellen Sie sich vor, Sie interviewen jemanden mit einem schweren Klemmbrett in der Hand. Oder sie interviewen die gleiche Person mit einem leichten Klemmbrett in der Hand. Dann ist das haptische Priming, das unterhalb der Bewusstseinsfläche stattfindet, die Wahrnehmung des Gewichts: also einmal leicht, einmal schwer. Ein entsprechendes Experiment zeigte, dass die Interviewer die Menschen für kompetenter hielten, die sie mit einem schweren Klemmbrett in der Hand interviewt hatten. Das bedeutet, dass wir Kompetenz mit Gewicht assoziieren. Und warum ist das so? Weil ein schwerer Gegenstand meistens stabil ist. Wenn er stabil ist, dann erfüllt er seine Funktion gut und lange. Und ein Mensch, der seine Funktion gut und lange erfüllt, ist kompetent. Und so hat der haptische Kode „Gewicht" direkten Einfluss auf unsere Wahrnehmung von Kompetenz.

Die Motorik, zweiter Sinn der haptischen Wahrnehmung, funktioniert nach ähnlichen Mustern. Gelernte Kodes in unseren Bewegungen steuern bestimmte mentale Konzepte an. Lassen Sie mich das erklären: Der Psychologe Paul Eckmann hat in allen Kulturkreisen Emotionen in den Gesichtern erforscht und z.B. festgestellt, dass der Augenmuskel aktiviert ist, wenn die Leute froh sind. Erstaunlich, denn es funktionierte auch umgekehrt. Wenn der Augenringmuskel elektrisch stimuliert wurde, wurden die Probanden fröhlicher. Das bedeutet, in der Muskelspannung des Augenringmuskels wird das Konzept der Freude angesteuert. Weil er ständig aktiviert wird, wenn wir froh sind, lernen wir daraus, dieser Muskel hat was mit Freude zu tun. Und genauso umgekehrt, wenn er künstlich aktiviert wird, denken wir: Oh, wir müssen ja froh sein. Ein anderes Experiment zeigt die Auswirkung einer ablehnenden bzw. annehmenden Geste auf unser Verhalten. Probanden waren angehalten, von oben auf eine Tischplatte zu drücken (ablehnend, vom Körper weg) bzw. von unten dagegen zu drücken (annehmend, zum Körper hin) und dabei eine Aufgabe zu lösen. Dabei durften sie Kekse essen. Die Personen mit der ablehnenden Geste aßen deutlich weniger Kekse, als die mit der annehmenden Geste.

NGO-Dialog: Verkaufspsychologische Studien belegen, dass das Berühren der Ware die Kaufbereitschaft der Kunden steigert. Wie lässt sich diese Erkenntnis auf Produkte übertragen, die nicht berührbar sind, mit denen wir es ja auch im Fundraising zu tun haben?

Ja, was macht man mit Produkten, die man nicht Probe fahren, die man nicht berühren kann? Hier muss man alternative Erlebniswelten aufbauen, d.h. man muss eine übertragende Erfahrung schaffen, wie in dem oben genannten Beispiel mit dem Klemmbrett. Die Lösung könnte ein Mehrwertkontenmodell sein. Ich habe auf der letzten kollekta z.B. meine „Endlosfaltkarte logoloop ®" präsentiert, die sich auf überraschende Weise immer wieder neu falten lässt. Die Karte bietet also mehr, als man ursprünglich erwartet. In diesem Fall ist die Überraschung psychologisch gesehen das Probefahren. Sie erleben etwas und es ist für sie wahr. Dieses „mehr als erwartet“ ist die körperliche Erfahrung, die psychologisch auf das Produkt übertragen wird.

Beim Fundraising muss man überlegen, welche haptischen Impulse oder Konzepte relevant sind. Und welche davon sind haptisch sendbar? Welche Motive sind eigentlich der Treiber für jemanden, der spendet? Ein Spender kauft etwas immaterielles, z.B. das Selbstverständnis ein guter Mensch zu sein. Für den Großspender hingegen ist es oft eine Statusfrage. Vielleicht will er sich als jemand „outen", der reich und in der Lage ist, zu geben. Das sind schon mal zwei unterschiedliche Motivstrukturen. Dem einen muss man vielleicht ein großes Spendenzertifikat schenken, damit er das an die Wand hängen kann, um sein Motiv zu bedienen. Die Frage lautet dann: Welche haptischen Signale können dieses Gefühl transportieren? Für den dominanten, vom Status getriebenen Menschen, der Gutes tut, wäre z.B. eine schwarz glänzende schwere Einladung zu einem Charity-Dinner das Richtige. Die Kommunikation mit so einem Menschen müsste anders aufgebaut werden, als mit einem Menschen, der aus einem ethischen Pflichtgefühl heraus spenden möchte.

NGO-Dialog: Bei welchen Kommunikationskanälen des Fundraising spielt die Haptik, Ihrer Meinung nach, eine entscheidende Rolle und wie können hier haptische Verkaufshilfen zum Einsatz kommen?

Mailing-Verstärker und hauptsächlich das Papier sind wichtige haptische Medien. Schon allein die Wahl des richtigen Papiers hat großen Einfluss auf die Wahrnehmung. Auch hierzu gab es ein interessantes Experiment, bei dem es um die Kooperationsbereitschaft von Menschen ging. Zwei Testgruppen mussten ein einfaches Puzzle lösen, der Unterschied war lediglich, eines hatte eine raue, das andere eine glatte Oberfläche. Untersucht wurde, wie sich das Verhalten der Personen in der nachfolgenden Verhandlungssituation änderte. Das Ergebnis war erstaunlich: diejenigen, die mit der rauen Oberfläche konfrontiert waren, zeigten sich in der Verhandlung viel kooperativer, als diejenigen mit der glatten Oberfläche. Was steckt dahinter? Das Konzept „Glatt" signalisiert: alles wird glatt laufen. Und raue Oberflächen kodieren Gefahr. Wenn man in Gefahr ist, sucht man sich besser Verbündete. Das bedeutet, man ist auch im Gespräch mit seinem Verhandlungspartner weniger konfrontativ, man sucht nach einer Lösung, die möglichst wenig Konflikt erzeugt. Solche Konzepte könnte man überprüfen: Inwiefern wäre es möglich, über bestimmte Materialien das Konzept „Gefahr" zu nutzen, um das Anliegen noch konkreter zu machen? So könnte man z.B., wenn man von Überschwemmungen spricht, getrockneten Schlamm als Mailing-Verstärker nutzen. Das würde das Anliegen enorm dramatisieren, zeigen was tatsächlich passiert ist, es erlebbar machen. Der getrocknete Schlamm auf dem Papier ist das haptische Werbemedium, das eine konkrete Botschaft übermittelt.

NGO-Dialog: Wie lässt sich die Vermittlung von Botschaften durch haptische Werbemedien steigern und vertiefen?

Man kann mit Objekten arbeiten, die die Leute wie ein Geschenk empfinden, die aber trotzdem kostengünstig sind. Wichtig ist es, das Gefühl zu erzeugen: Oh, die haben sich aber Mühe gemacht oder oh, das ist aber nett – beispielsweise mit einer kleinen Überraschung. Man muss also überlegen, welches Objekt das Anliegen auf haptische Weise transportieren kann. Man kann z.B. das Ergebnis einer Spende inszenieren, wie etwa mit einem Kalender, der wunderschöne Bilder von glücklichen Kindern zeigt, die dank dieser Spende ein besseres Leben haben. Je nach Spendenzweck muss man schauen, was man authentisches schicken kann, wie etwa Objekte, die mit dem Anlass verbunden sind. Wenn man Entwicklungsprojekte in Afrika fördert und mit den Spendengeldern Nahrungsmittel produziert werden, könnte als Mailing-Verstärker eine Ähre beigelegt werden. Die Botschaft dahinter: das wächst mit ihrem Geld, dort wo es gebraucht wird. Oder man verschickt Samen, das ist eine schöne Metapher, denn was man als Spender sät, soll ja Ergebnisse bringen. Und wenn die Spender die Samen aus dem Mailing in die Erde stecken, gießen und die Pflanze wachsen sehen, dann versinnbildlicht es das, was man sich als Spender eigentlich wünscht: Ergebnisse. Denn man möchte ja das, was man tut, nicht verpuffen sehen.

NGO-Dialog: Haben Sie vielleicht noch ein Beispiel für den Einsatz haptischer Hilfen für unsere Dialog-Marketing-Entscheider?

Beim Face to Face-Marketing besteht natürlich auch immer die Möglichkeit, haptische Hilfen einzusetzen. Je konkreter und „anfassbarer“ man den Anlass inszenieren kann, desto überzeugender wird das Anliegen transportiert. Wenn Sie z.B. über ein Frauenprojekt in Bangladesch sprechen, wo die Frauen selbstständig Textilien fertigen, um ihre Unabhängigkeit zu erlangen, dann wäre es das Beste, den Menschen eines dieser Produkte in die Hand zu geben. Und dann darüber zu sprechen. Das ist das Produkt, das dort produziert wird und das ist der Grund, warum das unterstützenswert ist.

Herr Hartmann, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Olaf Hartmann ist Geschäftsführer der Agentur Touchmore und Gründungsgesellschafter des Multisense Instituts für multisensorisches Marketing. Er entwickelt und implementiert mit Touchmore 15 Jahren haptische Verkaufs-förderungskonzepte. Als Experte für multisensorisches Marketing referierte er u.a. auf der kollekta über die Bedeutung der Haptik im Dialog-Marketing.m

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