INTERVIEW

„Viele Menschen möchten heute auf einfache und spielerische Art spenden.“

Nicolaus Stadeler

Nicolaus Stadeler ist seit November 2010 Mitglied der Geschäftsführung der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) und für die Finanzen verantwortlich. Bevor der Diplom-Volkswirt zur DGzRS kam, war er bereits zehn Jahre lang im gemeinnützigen Sektor tätig. Als kaufmännischer Leiter bei der HGR Verwaltungsgesellschaft mit Sitz in Hamburg betreute der 46-Jährige einige Jahre verschiedene Stiftungen, unter anderem die Deutsche Wildtier-Stiftung. Im Interview spricht er über die Fundraisingstrategie der Seenotretter und über Innovationen im Fundraising wie Near Field Communication. Ein System, das die Seenotretter gerade an ihren Spendenschiffchen testen und das Smartphone-Nutzern die Chance gibt, bargeldlos zu spenden.

NGO-Dialog: Die Seenotretter zählen zu den ältesten Non-Profit-Organisationen in Deutschland. Wie finanzieren Sie sich eigentlich?

Jenseits aller politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen der vergangenen 150 Jahre ist es der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger stets gelungen, ihre Eigenständigkeit zu bewahren. Heute wie schon zur Zeit der Gründung 1865 verzichten wir bewusst auf staatlich-öffentliche Mittel und sind damit unabhängig von politischen Konstellationen. Dies setzt kontinuierliche Werbung voraus, um die notwendigen Mittel allein aus freiwilligen Zuwendungen decken zu können.
Unsere 60 Rettungseinheiten fahren Jahr für Jahr mehr als 2.000 Einsätze. Ein so leistungsstarker Rettungsdienst erfordert qualifiziertes Personal und modernste Technik – und kostet viel Geld. Im Gegensatz zu vielen anderen Hilfsorganisationen ergeben sich unsere Kosten weniger situationsbedingt, etwa aus Hungersnöten oder Naturkatastrophen, sondern zwangsläufig und kontinuierlich. Die DGzRS muss stets für den extremen Notfall gerüstet sein.
Die Seenotretter genießen seit Generationen hohes Ansehen in allen Teilen unseres Landes. Zu keiner Zeit in den vergangenen 150 Jahren hat sich die DGzRS allerdings auf dem Erreichten ausgeruht. Auch wir wissen heute, dass wir ständig neue Ideen entwickeln müssen, um die Zukunft der Seenotretter zu sichern.

NGO-Dialog: Ihre Spendenbox gehört zweifelsohne zu den bekanntesten in Deutschland. Ein weißes Schiff mit rotem Kiel. Können Sie uns sagen, ob sich das eigentlich noch lohnt?

Aber natürlich! Hinter unseren bekannten Sammelschiffchen steht eine große, erfolgreiche Tradition. Es gibt sie bereits seit 1875, sie sind damit nur zehn Jahre jünger als die DGzRS selbst. Damals wie heute beweisen sie, dass viele kleine Spenden zusammen Großes bewirken. Knapp eine Million Euro landet Jahr für Jahr in unseren rund 15.000 Sammelschiffchen. Sie allein können unsere Arbeit allerdings nicht finanzieren. Wichtigste Grundlage der DGzRS sind regelmäßige Spenden. Rund 300.000 Menschen unterstützen die Seenotretter regelmäßig nach eigenem Ermessen – so freiwillig wie auch die Seenotretter selbst rausfahren, um andere Menschen zu retten. Unsere Sammelschiffchen sind jedoch viel mehr als eine bloße Einnahmequelle: Sie sind ein großer Sympathieträger mit unverwechselbarer Symbolkraft für den oft gefahrvollen uneigennützigen Einsatz der Seenotretter.

NGO-Dialog: Wie kamen Sie auf die Idee, Ihre Seenotretter-Schiffchen mit mobilem Spenden zu verknüpfen?

Mit der neuen Funktion passen wir unsere Sammelschiffchen an das geänderte Nutzerverhalten an: Viele Menschen möchten heute auf einfache und spielerische Art spenden können. Dies ist jetzt über die Near Field Communication-Technik möglich. Zudem waren wir der Meinung, dass auch unsere „kleinste Bootsklasse“ genauso wie unsere leistungsfähigen Rettungseinheiten mit modernsten „Kommunikations- und Navigationseinrichtungen“ ausgestattet sein sollte.

NGO-Dialog: Wie und wo läuft dieser Pilotversuch?

In Bremen haben wir ausgewählte Sammelschiffchen mit der neuen Technologie ausgestattet, um Erfahrungen zu sammeln. Jeder NFC-Chip ist einem Sammelschiffchen zugeordnet. Dadurch können wir nachvollziehen, wie die Funktion angenommen wird. Verläuft dieser Versuch erfolgreich, sollen möglichst viele unserer Sammelschiffchen entsprechend ausgerüstet werden.

NGO-Dialog: Und wie funktioniert Near Field Communication?

Ganz einfach: Man berührt mit einem NFC-fähigen Smartphone kurz den neuen Aufkleber auf dem Deck der Sammelschiffchen. Er enthält den NFC-Chip zur kabellosen Datenübertragung auf kürzesten Entfernungen. Automatisch öffnet sich unsere Spendenseite auf dem Handy. Je nach Wahl werden fünf oder zehn Euro über die Telefonrechnung abgebucht. Gebühren fallen für den Nutzer nicht an. Die Spende landet direkt bei den Seenotrettern. Von Vorteil ist auch, dass man keine App installieren oder starten muss.

NGO-Dialog: Fünf oder zehn Euro ist deutlich mehr als das, was normalerweise im Schiffchen landet. Ist das nicht zu viel?

Nein, weil unsere Sammelschiffchen seit jeher auch mit Geldscheinen „beladen“ werden. Wir sind deshalb davon überzeugt, genau die richtigen Beträge ausgewählt zu haben.

NGO-Dialog: Was versprechen Sie sich von dem mobilen Ansatz?

Wir bieten damit einfache und sehr moderne Möglichkeiten an, die Seenotretter mit kleinen Beiträgen zu unterstützen – auch ohne Bargeld in der Tasche. Nicht zuletzt hoffen wir, so noch mehr jüngere Menschen zu erreichen und für die DGzRS zu begeistern. Jeder, der auf diesem Wege spendet, erhält eine kleine Danke-Nachricht mit weiteren Informationen über unsere Arbeit.

NGO-Dialog: Wird also die anonyme Kleinspende im Schiffchen durch dieses mobile Spenden plötzlich mit einem Namen verbunden sein? Welche Daten können Sie nutzen?

Nein, wir können die Spende nicht mit dem Namen des Handybesitzers oder anderen personenbezogenen Daten verbinden. Auch über die neue Technik können uns die Menschen also weiterhin anonym spenden. Wir bekommen aber wichtige Zusatzinformationen: So können wir beispielsweise sehen, wann, wo und wie viel Geld gespendet worden ist und ob bestimmte Dankesseiten dazu führen, dass sich der Nutzer in unseren Newsletter einträgt.

NGO-Dialog: Also ändert sich auch nichts in der Spendenverwaltung?

Nein, in der Pilotphase müssen wir unsere Spendenverwaltung nicht verändern.

NGO-Dialog: Near Field Communication ist auf vielen Smartphones noch nicht mal eingestellt. Greifen Sie der Zeit nicht deutlich voraus?

Auf keinen Fall: Als einer der modernsten Seenotrettungsdienste der Welt statten wir unsere Seenotretter für ihre oft gefahrvollen Einsätze mit der besten Ausrüstung und besonders leistungsfähigen, modernen Schiffen aus, um ihren Einsätzen größtmögliche Aussicht auf Erfolg zu geben. Warum sollten wir im Fundraising auf moderne Technologie verzichten? Zumal wir davon ausgehen, dass sich dieser Zahlungsweg in Zukunft zunehmend etablieren wird.

NGO-Dialog: Ihre Überzeugung für den technologischen Fortschritt in Ehren, aber wie sieht es mit der Kosten-Nutzen-Arithmetik aus?

Sehr gut, denn Kosten entstehen uns während der Testphase nicht. Wir sind Referenz des Berliner Dienstleisters „twingle“, der die Online-Plattform für die Spenden per NFC-Chip bereitstellt. Seine Kooperationspartner wie der Halbleiterhersteller NXP Semiconductors und das Unternehmen Identive schreiben ebenfalls keine Rechnungen für die verwendeten NFC-Chips und Aufkleber. Wir freuen uns über diese großartige Unterstützung!

NGO-Dialog: Wird ein erfolgreicher Einsatz mobiler Spenden auch das Fundraising der Seenotretter verändern? Worauf setzen Sie zukünftig?

Der Einsatz mobiler Spendenmöglichkeiten wird unserer Ansicht nach immer wichtiger. Dennoch werden wir auf keinen Fall den direkten Kontakt zu unseren Förderern sowie die klassischen Wege wie Mailings und herkömmliche Online-Spenden vernachlässigen und uns auch weiterhin um Zuwendungen aus Nachlässen oder auch aus Bußgeldern bemühen. Alle diese Bausteine bleiben unverzichtbare Instrumente für die Finanzierung der Arbeit der Seenotretter.

 

(Foto: PR)

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