INTERVIEW

„Zuviele fischen im selben Teich“

Dr. Kai Fischer
Dr. Kai Fischer

Dr. Kai Fischer kennen viele Fundraiserinnen und Fundraiser von Kongressen und Tagungen. Aktuell gibt er einen Fundraising-Workshop an der Fundraising-Akademie. Mit seiner praktischen Erfahrung stößt er bei gemeinnützigen Organisationen immer wieder auf die Themenaspekte Strategie und Positionierung. Wir sprachen mit ihm unter anderem über die Frage, wie viel Potenzial im deutschen Spendenmarkt steckt.


NGO-Dialog: In Ihrem Fundraising-Workshop geht es eigentlich viel stärker um Positionierung und Strategie als um Methoden und Maßnahmen. Sollte das nicht eigentlich Standard sein, bevor man mit Fundraising anfängt?

Dr. Kai Fischer: Das sollte Standard sein, aber die Frage ist, ob wir alle zum Schluss doch in ähnlichen Teichen nach Spendern fischen und ein sehr ähnliches Fundraising haben. In Deutschland spenden etwa 40 Prozent der Bevölkerung und das seit 20 Jahren. Im Grunde stagnieren die Zahlen beziehungsweise gehen sogar leicht zurück. Bei unseren europäischen Nachbarn, die uns ja sozialstrukturell sehr ähnlich sind, wie die Niederlande, Dänemark oder Österreich dagegen haben wir Spenderquoten von 65 bis 85 Prozent. Warum erschließen wir also dieses Potenzial von 30–40 Prozent Unterschied eigentlich nicht? Klar ist doch, wenn die Anzahl der Spender stagniert und die Zahl der Organisationen, die Fundraising professionell betreiben, steigt, stehen wir uns bei den 40 Prozent, die spenden, irgendwann auf den Füßen. Deswegen lautet die Frage auch in meinem Workshop an der Fundraising-Akademie: Wo gibt es weitere Teiche, und wie können wir die erschließen?


NGO-Dialog:
Sind wir da alle zu bequem indem wir sagen, die Spender kennen wir und nur an die gehen wir ran?

Dr. Kai Fischer: Vermutlich ja, weil an andere Teiche zu gehen, um in dem Bild zu bleiben, kostet natürlich Überwindung, weil wir zu wenig über den Teich wissen. Die müssen erschlossen, da müssen Erfahrungen gemacht werden. Das kann auch 3–4 Jahre dauern, und wenn man dann nicht die Bereitschaft aufbringt, diesen Weg zu gehen, bleibt man eher an dem Teich, an dem man sitzt. Das geht natürlich auch, aber wenn man sich die Wirtschaft anschaut, sind die blauen Ozeane lukrativer und nicht rote Ozeane, wo permanent die Konkurrenz herrscht.


NGO-Dialog: Scheuen wir also das Risiko den anderen Teich zu befahren?

Dr. Kai Fischer: Ja, natürlich ist das ein Risiko. Es kann schief gehen, denn es gibt weniger Informationen und jeder neue Teich stellt auch neue Anforderungen an die Organisation. Es braucht dann Veränderungen: andere Mitarbeiter, andere Strukturen, andere Anspruchsgruppen mit anderen Erwartungen. Und es kann Fehlschläge geben. Das alles ist nicht unbedingt beliebt bei NGOs und führt wenig zum Wunsch nach Veränderung.


NGO-Dialog: Es gibt aber Organisationen, die sich in den letzten Jahren strategisch neu aufgestellt und durch Fokussierung auf ein Thema an Profil gewonnen haben. Plan International oder Charity: Water sind zwei Beispiele. Funktioniert dieser Ansatz aber nicht auch gerade für kleinere Organisationen?

Dr. Kai Fischer: Diese Beispiele zeigen ja sehr genau, wie durch eine Konzentration auf ein Kernthema und dadurch auch auf bestimmte Gebergruppen, Ressourcen erschlossen werden können. Das ist aber keine Frage von Größe der Organisation, sondern von Strategie.


NGO-Dialog: Viele haben Angst davor, weil sie denken, Sie vergeben sich etwas. Wenn man sich die Gastro-Sendungen im Fernsehen anschaut, stellt man fest, dass die schlechtesten Restaurants immer die mit der umfangreichsten Speisekarte sind. Sind wir im Fundraising zu breit aufgestellt?

Dr. Kai Fischer: Diese Entscheidung, sich zu konzentrieren, ist kontra-intuitiv. Weil die Intuition uns sagt, wir müssen uns möglichst breit aufstellen, um möglichst alles abzufischen. Das Problem ist: Je breiter wir uns aufstellen, desto weiter sind die Maschen unseres Netzes und desto mehr Fische gehen durch. Je konzentrierte und je spitzer wir uns aufstellen, desto einfacher die Kommunikation, desto besser die Marktdurchdringung und damit auch ein höherer ökonomischer Erfolg.


NGO-Dialog: Viele neue Organisationen kommen mit einer Idee auf den Spendenmarkt, die es schon gibt. Müsste Positionierung also viel eher beginnen, um Scheitern zu vermeiden?

Dr. Kai Fischer: Das ist richtig, aber die Frage die ich mir in diesem Zusammenhang stelle lautet: Wie viele Organisationen werden zum Schluss professionell? Einen Verein zu gründen geht ja leicht. Eine Markteintrittsbarriere existiert ja nicht. Man kann einfach loslegen. Doch dann kommt die Frage auf: Wann ist die Organisation mit dem, was sie ehrenamtlich an Wirkung erzeugen kann, zufrieden oder nicht? Und es gibt Vereine, die sind damit zufrieden zwei Spendenveranstaltungen im Jahr zu machen. Das ist Ok. Aber andere wollen sich weiterentwicklen und die gesellschaftliche Wirkung erhöhen, und dafür brauchen sie professionellere Strukturen. Wenn wir uns die Zahlen von ZIVIZ anschauen, haben 80 Prozent der gemeinnützigen Organisationen in Deutschland weniger als 20.000 Euro Umsatz, das heißt, nur 20 Prozent schaffen diesen Umstieg. Und nicht alle Organisationen werden überleben. Sie werden scheitern und verschwinden.


NGO-Dialog: Schade eigentlich...

Dr. Kai Fischer: Aber das ist auch gut so, denn es ist ja Sinn und Zweck des Kapitalismus, dass Organisationen, die weniger gut geführt werden, vom Markt verschwinden, weil sie Platz machen für Bessere. Das hört sich zunächst brutal an, weil es ja auch um Hoffnungen, Wünsche, Arbeitsplätze geht, aber den großen Vorteil kapitalistischer Wirtschaft sehe ich darin, dass unrentable, ineffiziente Strukturen tatsächlich aus dem Markt ausscheiden können und Platz machen für etwas Besseres.

(Bild: privat)

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