INTERVIEW

„Wir dürfen Afrika nicht unterschätzen!“

Thomas Rubatscher
Thomas Rubatscher

Alle sprechen über Digitalisierung. Thomas Rubatscher hat als International Director for Information and Communication Technology beim Generalsekretariat der SOS Kinderdörfer in Innsbruck täglich damit zu tun. Matthias Daberstiel sprach mit dem IT-Fachmann über Online-Fundraising, heiße Computer und gute digitale Ideen in der Programmarbeit.

NGO-Dialog: Sie haben vor Ihrem Job bei den SOS-Kinderdörfern in ganz anderen Bereichen gearbeitet. Was hat denn Ihre Perspektive auf das Thema Entwicklungszusammenarbeit geprägt?

Thomas Rubatscher: Die Lehrer in einem Dorf im Senegal haben mich zum Beispiel total überrascht. Die unterrichteten Schüler schon vor zehn Jahren mit IT-Unterstützung und sprachen darüber mit einem Eifer und einer Motivation, das hat mich schon fasziniert und auch zu Veränderungen meines Weltbildes geführt. Bis dahin haben wir im IT-Bereich vor allem das Fundraising, den administrativen Bereich oder die Buchhaltung unterstützt. Nach dem Erlebnis war mir und den mich begleitenden Kollegen klar, dass wir auch bei der Programmarbeit digitaler werden müssen. Im Austausch mit vielen NGOs stellten wir fest, dass wir da eher hintendran als vorneweg sind. Das haben wir versucht aufzuholen und liegen heute im guten Mittelfeld.

NGO-Dialog: Entstehen also digitale Innovationen eher vor Ort als bei Ihnen in der Zentrale?

Thomas Rubatscher: Das kann ich hundertprozentig unterschreiben. Natürlich haben wir in Innsbruck auch Ideen, aber wir nehmen gerade die vielen regionalen Anregungen auf, um sie zentral zu unterstützen und global zu verbreiten. Da hat sich auch eine Menge getan. Ich bin sehr froh, dass unser Generalsekretariat dies aktiv zum Thema macht, und das hilft denen, die das in den Landesorganisationen umsetzen. Der Begriff „digital village“ ist beispielsweise in Osteuropa geboren worden. SMS-basiertes Lernen kommt aus Asien. Bezüglich „YouthLinks“, wo wir jobsuchende Jugendliche mit digitalen Netzwerken unterstützen, wurden wir von einer spanischen Organisation inspiriert, die das eigentlich für Seniorinnen entwickelt hatte. Die Idee, das dann mit Facebook-Workgroups umzusetzen, kam von Mitarbeitern, ich glaube, aus Estland. So was kann man nicht immer zentral steuern oder vorhersehen.

NGO-Dialog: Unterstützen auch Spenderinnen und Spender diese Philosophie?

Thomas Rubatscher: Bis jetzt sind es eher Unternehmen wie zum Beispiel British Telekom, DHL und andere, die uns da unterstützen. Aber wir versuchen auch, potente Einzelspenderinnen und -spender von der Notwendigkeit zu überzeugen. Eine Umfrage in Österreich hat schon vor einigen Jahren große Zustimmung gezeigt, und ich glaube, dass vor allem junge Einzelspender eher bereit sind, dafür Geld zu geben.

NGO-Dialog: Und wie sieht es mit Hardware vor Ort aus?

Thomas Rubatscher: Naja, Afrika ist nun mal heißer und staubiger. Mit einem normalen Computer kommen Sie da oft nicht weit. Auch, weil es oft Stromausfälle gibt. Notebooks mit guten Akkus sind da geeigneter. Aber wir bräuchten energiesparendere Modelle, Betriebssysteme und Software, und das Ganze müsste wartungsfrei, robust und einfacher in der Handhabung sein.

NGO-Dialog: Sie müssen also auf eine bessere Infrastruktur warten?

Thomas Rubatscher: Nun, wir gehen natürlich auch auf die Hersteller zu, um sie für diese Problematik zu sensibilisieren. Microsoft versucht inzwischen zum Beispiel, mit dem Programm „Tech for Social Impact“ technische Lösungen zu schaffen, die NGO-kompatibler sind.

NGO-Dialog: Was bringt das den Kindern vor Ort?

Thomas Rubatscher: Wir von den SOS-Kinderdörfern wollen unseren Kindern in der digitalen Welt zu den gleichen Chancen verhelfen wie den „normalen“ Kindern. Chancen in der Bildung, Chancen in der Vernetzung, Chancen im Berufsleben. Gleichzeitig wollen wir sie aber auch vor den Gefahren und Stolpersteinen im Internet beschützen, so wie das alle verantwortungsvollen Eltern tun. Dazu haben wir eine Reihe von Programmen wie Digital Village, YouthLinks, Text2Change oder Open Space Literacy gestartet, mittels denen wir unseren Kindern und Jugendlichen sowie deren Betreuern Zugang zum Internet und zu Computern geben und ihnen den sicheren Umgang damit lehren. Ganz im Sinne des UNICEF Berichts „Children in a Digital World“. Wir dürfen da zum Beispiel auch Afrika nicht unterschätzen. Dort läuft schon so viel mobil und digital über einfache Applikationen. Mobile-Banking gibt es dort schon viel länger als bei uns.

NGO-Dialog: Wie sehen Sie die Zukunft des Online-Fundraising?

Thomas Rubatscher: Das wird sich sicher entwickeln und auch hier noch stärker Fuß fassen. Ich denke, es ist nur eine Zeitfrage. Die Welt wird immer digitaler werden. Das ist Fakt.

NGO-Dialog: Wird sich auch das Fundraising internationalisieren? Werden afrikanische Projekte bald bei uns online um Spenden bitten?

Thomas Rubatscher: Ich denke, das ist sicher in den nächsten fünf Jahren so weit. Es gibt bereits einzelne Organisationen, die das schon so machen, die aber noch nicht groß genug sind, um aufzufallen. Es gibt ja schon das „Diaspora-Funding“. Das heißt, dass wir beispielsweise vermögende Asiaten in den USA und Großbritannien ansprechen, sich für ihre Heimatländer zu engagieren. Warum soll das mit Online-Fundraising nicht auch von den Empfängerländern her funktionieren? Die Organisation „pro mujer“ zum Beispiel wurde in Bolivien gegründet und macht mit einem Ableger Fundraising in den USA. Am Ende geht es um Vertrauen. Spendengütesiegel können da helfen, aber die gibt es bisher nur national. Deshalb und auch wegen steuerlicher Fragen muss man in Geberländern noch Organisationen gründen. Aber die Idee wird sich im digitalen Fundraising durchsetzen. Wir versuchen in Ländern, wo wir Potenziale sehen, das Fundraising zu entwickeln. SOS Polen ist zum Beispiel kurz davor, nicht nur seinen eigenen Bedarf zu decken, sondern auch in anderen Ländern zu helfen. Pakistan ist bereits sehr erfolgreich. Länder wie Brasilien und Argentinien werden die nächsten sein.

(Bild: privat)

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