INTERVIEW

„Die jungen Leute sind das leid.“

Annette Zimmer
Annette Zimmer

Annette Zimmer hat die Forschung im Blut. Seit drei Jahrzehnten beschäftigt sie sich mit der Zivilgesellschaft: angefangen beim Stiftungs- und Vereinswesen, über ehrenamtliches Engagement bis hin zum Thema Social Business. Im Interview, das Paul Stadelhofer vom Fundraiser-Magazin für den ngo-dialog führte, erklärt die neu gewählte Präsidentin der International Society for Third Sector Research (ISTR) welche Trends sie in der Zivilgesellschaft sieht und was aktuelle Forschungsergebnisse für Fundraiser bedeuten.

NGO-Dialog: Frau Zimmer, vor welchen Herausforderungen steht die internationale Zivilgesellschaft und damit auch die internationale NPO-Forschung?

Annette Zimmer: Das ist im internationalen Bereich die Zunahme von Gewalt. Zivilgesellschaft ist ein Raum oder eine gesellschaftliche Sphäre, wo Probleme und Konflikte gewaltfrei gelöst werden. So, dass man sich zusammensetzt und versucht eine Lösung zu finden, ohne dass man den anderen niederbügelt. Forschungsfragen lauten: Wie verhält sich die Zivilgesellschaft gegenüber dieser Zunahme von Gewalt? Was kann Zivilgesellschaft dagegen tun? Ist Zivilgesellschaft noch dazu in der Lage, dagegen zu steuern oder vorzubeugen?
Die nächste große Herausforderung für die Zivilgesellschaft ist eine soziale. Wir erleben in allen Ländern ein Auseinanderdriften von Reich und Arm. Wir erleben in Europa eine Spaltung zwischen Norden und Süden. Diese Spaltung war immer schon da, wird jetzt aber akzentuiert. Was kann die Zivilgesellschaft dagegen tun? Ist sie dabei überfordert entgegenzuwirken, Lösungen zu finden und ein Forum für sozialen Zusammenhalt zu bieten, indem man sich über Konzepte austauscht, wie man etwas dagegen unternehmen kann. Dass man versucht einen Bereich zu haben, wo alle partizipieren können, sodass zumindest im Sinne von Beteiligung Gerechtigkeit herrscht – Beteiligungsgerechtigkeit.

NGO-Dialog: Wie definieren Sie dabei die Zivilgesellschaft?

Annette Zimmer: Es gibt natürlich unterschiedliche Zugänge und Definitionen. In der Regel sagt man aber, es ist zunächst der engagierte Einzelne, die Bürgerin, der Bürger, wobei ich Schülerinnen und Schüler mit einschließe. Teil der Zivilgesellschaft sind aber auch Gruppen und Bewegungen, die durch eine Idee zusammengehalten werden und die sich gewaltfrei für positive Dinge einsetzen. Klassische Beispiele sind die Ökologie-Bewegung, die Arbeiterbewegungen oder die Frauenbewegung. Der dritte Bereich ist das breite Spektrum von gemeinnützigen Organisationen. Nach Rechtsform sind das unsere Vereine, aber auch die Stiftungen. Man streitet sich darüber, inwieweit das Modell des gemeinsamen etwas Erwirtschaftens, wie beispielsweise in einer Genossenschaft, auch dazu gehört.

NGO-Dialog: Seit einigen Jahren ist ein Trend zur Ökonomisierung in Non-Profit-Organisationen zu konstatieren. Was widerspricht dem Versuch, Non-Profits anhand von deren Einnahmen oder deren Wirkung einzuschätzen?

Annette Zimmer: Man kann den Erfolg von gemeinnützigen Organisationen nicht so leicht quantifizieren. Wenn beispielsweise eine Hochschule ihren Output an Absolventen um zehn Prozent steigert, ist noch nicht gesagt, ob die zehn Prozent gut sind oder schlecht. Wenn jemand sein Krankenhaus lobt, weil es pro Monat 1000 Patienten mehr behandelt, sagt das nichts darüber aus, ob die Behandelten auch gesund sind.

 
NGO-Dialog: Wie würden Sie Wirkung dann erforschen?

Annette Zimmer: Man kann sie nicht kurzfristig erforschen. Das ist ein Problem. In der Regel dauert es eine Weile, bis das was gemeinnützige Organisationen machen wirkungsmächtig wird: Von der neuen Idee über die kleinen Anfänge, die größere Umsetzung und letztlich zur Wirkung. Ein Beispiel aus meinem sozialpolitischen Bereich ist die Einführung der Sozialversicherung. Das war eine großartige Innovation. Bis man aber die Regelung einführte, brauchte man vierzig Jahre Vorlauf. Man hat es erst mit kleinen freiwilligen Solidarkassen probiert und mit Solidaritätsgeschichten, die auf kleinere Gruppen bezogen waren.
Nun soll alles sehr schnell gehen. Sie machen etwas Neues, und dann soll das gleich in Wirkungen messbar sein. Das ist schwierig. Eine wichtige Wirkung des gemeinnützigen Bereichs und der Zivilgesellschaft ist ja, dass sie die Art verändern, wie man Dinge angeht, wie Probleme angepackt werden. Das war auch mein Argument zum Anfang unseres Gesprächs: Bei dem Versuch, Probleme gewaltlos zu lösen, steht derzeit die Zivilgesellschaft vor großen Schwierigkeiten. Dazu ist eine mentale Veränderung notwendig. Es ist notwendig, den anderen Part zu akzeptieren, der das Recht hat, ein Argument vorzubringen, das nicht Ihren Argumenten entspricht. Das zu tolerieren und zuzuhören und darüber nachzudenken, ob vielleicht doch etwas daran ist. Es gibt ja auch andere Legitimationsformen. Zum Beispiel zeichnet sich Zivilgesellschaft dadurch aus, dass versucht wird, Menschen in die Lage zu versetzen, selbstständig zu handeln und aktiv Verantwortung zu übernehmen. Auch dies kann man zeigen. Aber heutzutage ist es Mode, alles zu quantifizieren. Es ist fast wie in der ehemaligen DDR.

 
NGO-Dialog: Im Fundraising ist es immer noch Gang und Gäbe mit Sinus-Milieus zu arbeiten, um so Spender-Gruppen zu finden, für die bestimmte Werbemittel oder Ziele gut passen. Halten Sie es für sinnvoll, die Gesellschaft derart zu segmentieren?

Annette Zimmer: Meine Antwort ist aus der Perspektive der Forschung nicht vollkommen abgesichert: Ich habe den Eindruck, dass diese Sinus-Milieus an Zugriff verlieren und dass ein Wandel geschieht. Unsere jungen Studierenden verhalten sich je nachdem, wie es der Kontext verlangt. Es gibt nicht mehr den Typ an sich. Beispielsweise haben sie jemanden, der ist flippig und hat ein Loch im Hosenbein. Wenn es aber die Situation erfordert, sieht dieser Student aus als käme er aus einem Männermagazin, mit tollem Anzug, wunderbarem Hemd und Schlips.

 
NGO-Dialog: Also greifen die alten Schemata nicht mehr?

Annette Zimmer: Es scheint mir so zu sein. Es gibt auch eine zunehmende Kritik daran, dass man bestimmten Gruppierungen zugeordnet wird. Die jungen Leute gehen auch sehr kritisch mit dem Internet um. Facebook beispielsweise ist etwas für Leute wie mich, die schon auf der Rentenspur sind. Die Studierenden wollen das nicht haben, weil alles mit Werbung überfrachtet ist und weil die Werbung sehr segmentiert eingesetzt wird. Bei einem Internetdienstleister bestellen Sie ein Buch oder eine CD und beim nächsten Besuch bekommen Sie gleich fünf Bücher angeboten, die neu auf dem Markt sind und die genau „ihrem Milieu" entsprechen. Die jungen Leute sind das Leid. Wahrscheinlich wird man künftig versuchen, die eigene Privatheit und die eigene Persönlichkeit zu schützen. Für das Fundraising kann das auch eine Chance sein. Man braucht sich nicht mehr für jede Gruppe einen neuen Slogan auszudenken, sondern man steht für die Sache an sich und fertig.

Das ausführliche Interview mit Annette Zimmer lesen Sie im Fundraiser-Magazin online

(Foto: PR)

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