INTERVIEW

„Spender sind eigentlich Fundraising-Profis“

Kai Dörfner
Kai Dörfner

Kai Dörfner ist Soziologe, Fundraiser und Stiftungsmanager. Seit 2002 ist er bei der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart (eva) tätig, leitet den Bereich Kommunikation – Freunde und Förderer und ist Geschäftsführer der von ihm 2003 aufgebauten „eva's Stiftung“. Seine Schwerpunkte sind Spenderpflege, Großspender und Erbschaftsmarketing. Als Dozent ist er auch an der Fundraising Akademie tätig. Als Blogger auf fundraising-knigge.de legt er den Schwerpunkt auf Tipps zur lebendigen Gestaltung der Beziehung zwischen Förderern und Organisation.


NGO-Dialog:
Sie haben 2003 mit eva's Stiftung den Grundstein für eine langfristige Finanzierung gelegt, doch die aktuelle Zinssituation ist schwierig. Sind Sie immer noch vom Stiftungsmodell überzeugt?

Kai Dörfner: Also bei uns schon! Aber eine Stiftung innerhalb einer Organisation muss natürlich immer in deren Fundraising eingebunden sein. Für uns ist die Strategie, dass wir über die Stiftung Mittel erhalten und Menschen von uns begeistern, die über andere Fundraising-Instrumente nicht erreichbar wären. Zum Beispiel Mittel, die aus Ersparnissen, Erbschaften oder Verkäufen von Grundstücken kommen. Menschen haben dann schon manchmal das Gefühl, sie hätten das Geld nicht „verdient“, fühlen sich damit unwohl und wollen es sinnstiftend weitergeben. Andere wollen biographisch plötzlich Stifter oder Zustifter werden um etwas zu hinterlassen. Unsere Stiftung ist da ein langfristiges Angebot für Menschen die der schwäbischen Meinung sind, dass nicht alles gleich „verveschpert“ werden muss.


NGO-Dialog:
Aber die Zinsen sind auch für Ihre Stiftung niedrig, oder?

Kai Dörfner: Klar, das geht auch an uns nicht spurlos vorbei. Deshalb überlegen wir: Wo kann, jenseits der Erträge, auch das Stiftungskapital im Sinne des Stiftungszwecks für uns arbeiten? Wir geben zum Beispiel intern Darlehen an unsere Tochtergesellschaften, wenn diese eine Immobilie erwerben wollen. Oder kürzlich kauften wir ein Zweifamilienhaus, welches nun intern an die eva-Jugendhilfe vermietet wurde. Das ist ein Weg für etwas kapitalkräftigere Stiftungen, Mission Investing im eigenen Haus zu betreiben und nicht alles an Banken herauszugeben. Das kommt bei der jährlichen Stifterversammlung auch sehr gut an. Die Stifterinnen und Stifter sehen ja auch selber, was sie am Kapitalmarkt für ihr Vermögen heute bekommen und sind froh, wenn wir gut wirtschaften.


NGO-Dialog: Geht eva‘s Stiftung im Fundraising aber auch aktiv auf Menschen zu oder ist es eher ein passives Angebot?

Kai Dörfner: Die Erfahrung ist schon die, dass wir mindestens einmal im Jahr für die Stiftung explizit werben müssen. Wir machen zum Beispiel jedes Jahr eine Stiftungsbeilage in unserem Spendermagazin und dem Evangelischen Gemeindeblatt für Württemberg. Weil Stifterin oder Stifter zu werden eben auch eine lebensgeschichtliche Frage ist sind jedes Jahr andere Menschen in dieser biographischen Situation, dass es jetzt eben gerade passt. Mittlerweile versammeln wir 214 Stifterinnen und Stifter mit 15,5 Millionen Euro Kapital in der 2003 gegründeten Stiftung. Auch das Thema Erbschaft und Nachlass ist da wachsendes Thema, und da merke ich, dass die Stiftung einen ganz anderen Reiz ausübt, gerade wenn es um zu vererbende Immobilien geht.


NGO-Dialog: Sie legen viel Wert auf eine intensive Spenderbeziehung. Wie halten Sie trotzdem Abstand und können Übergriffigkeit von Spenderinnen und Spendern, die es ja durchaus gibt, abwehren?

Kai Dörfner: Na gut, es gibt schon Spenderinnen und Spender, die der Meinung sind: Jetzt habe ich euch jahrelang unterstützt, und jetzt könnt ihr da etwas für mich tun. Unser Ansatz ist dann der, für einen solchen Hilfebedarf eine professionelle Lösung zu finden. Durch die Vielfalt unserer Hilfsdienste innerhalb der eva haben wir da viele Möglichkeiten. Aber ich vermittle auch an anderen soziale Träger. Es gibt aber auch Anfragen, ob ich als Vertreter in der Vorsorgevollmacht drinstehen kann. Das muss ich ganz klar ablehnen, weil ich dort in einen Interessenkonflikt kommen könnte und das hat mit einer gelingenden Fördererbeziehung nichts zu tun. Aber das kommt eher selten vor.


NGO-Dialog: Und die Frage der Mitbestimmung?

Kai Dörfner: Die Mitbestimmung fängt ja damit an, dass wir zum Beispiel 2016 für 133 verschiedene Spendenzwecke Spenden bekamen und diese Vielfalt ermöglichen. Dass jemand inhaltlich mitbestimmen will, hat man ja bei Stiftungsfonds und natürlich auch bei Freundeskreisen. Hier müssen wir individuell definieren, wie weit die Mitbestimmung gehen kann. Und wir müssen Grenzen ziehen können. Ich kann dem Stifter oder Spender nicht immer nach dem Mund reden, wenn es um inhaltliche Fragen geht. Da braucht eine Organisation eine freundliche-stringente Haltung.


NGO-Dialog: Muss sich das Fundraising der eva auch weiterentwickeln, zum Beispiel in Richtung Online-Fundraising?

Kai Dörfner: Vieles entwickelt sich weiter. Wir machen ja schon seit 187 Jahren Fundraising. Das ist eher ein evolutionärer Prozess. Man hört und sieht viel auf Tagungen und Kongressen und beginnt das zu bewerten und zu überlegen, ob es sinnvoll ist. Online haben wir gute Erfahrungen, nicht nur mit Spenden-Tools. Kern ist aber, auf unsere Website sehr breit darzustellen, wie man uns durch Spenden unterstützen kann. Wir haben zum Beispiel vor zwei oder drei Jahren angefangen, explizit auch einen Ansprechpartner für Firmenspendenaktionen auf die Website zu schreiben. Seitdem klingelt hier regelmäßig das Telefon, und es melden sich Unternehmen, die eine Aktion mit uns machen wollen oder sehr hochwertige Sachspenden haben. So kamen wir kürzlich zu einer LKW-Ladung Büromöbel oder kistenweise neuen Spielsachen. Die finden uns samt und sonders über die Website, kannten uns meist vorher nicht. Was wir dann allerdings auch immer wieder hören, ist, dass sie auch schon bei anderen sozialen Organisationen angerufen haben. Aber die hatten dann gar kein Interesse an Sachspenden oder an gemeinsamen individuell geplanten Spendenaktionen. Da haben wir einen anderen Ansatz und versuchen schon, eine Lösung zu finden. 1:1 ist das natürlich nicht immer erfüllbar. Wir können nicht jeder Firma einen Wunschbaum für bedürftige Kinder zu Weihnachten hinstellen – so viele Kinder gibt es gar nicht, also versuchen wir sie zum Beispiel in die Wohnungslosenhilfe zu unserer Weihnachtsfeier „eva’s Stall“ umzuleiten. Das macht natürlich Arbeit, mit den Leuten zu reden und sie fachlich zu überzeugen, aber unterm Strich lohnt sich das, wenn beide Seiten zufrieden sind.


NGO-Dialog: Die Website also eher als Orientierung für Engagement?

Kai Dörfner: Ja, es geht um Präsenz und darum, sich gut und verlässlich darzustellen. Wir haben auf unserer Website auf jeder Seite auch Ansprechpartner mit Namen, Bild und direkter Durchwahl aufgeführt, was uns ein wenig nahbarer macht als manche andere Organisationen.


NGO-Dialog: Muss sich da im Bewusstsein anderer Organisationen etwas ändern? Viele Menschen wollen ja helfen!

Kai Dörfner: Es kommt häufiger vor, dass Menschen zu uns kommen und erzählen, dass sie woanders eher störend wahrgenommen wurden. Ich glaube, wir müssen persönliche Anfragen, egal über welchen Kommunikationskanal sie kommen, sehr ernst nehmen. Und Beziehungspflege beginnt bei uns beim Danken. So beantworten wir jede Spende über zehn Euro, auch wenn sie online kommt, per Brief. Das wird schon wohlwollend wahrgenommen. Die meisten Spender spenden ja einem Dutzend anderer Organisationen auch. Das heißt, sie haben durchaus den Vergleich. Spender sind eigentlich Fundraising-Profis, sehen weit mehr Spendenaufrufe als jeder von uns. Gerade die regional tätigen Organisationen können da mit Persönlichkeit punkten. Jeder, der erstmals für uns spendet, bekommt zum Beispiel einen Flyer auf dem alle Ansprechpartner unserer Abteilung „Freunde und Förderer“ mit Foto, Durchwahl und Zuständigkeit genannt sind.


NGO-Dialog: Haben andere Organisationen die sich hinter info@-Adressen verstecken also Angst vor Arbeit oder Angst vor dem Spender?

Kai Dörfner: Wir sind jetzt hier zu dritt in der Fundraisingabteilung. Ingrid Nicklaus und Clemens Matern haben auch die große Fundraising-Ausbildung der Akademie absolviert. Das ist natürlich toll, weil wir bei aller Aufgabenteilung ständig uns austauschen und bei Bedarf unterstützen bzw. vertreten können. Aber es gibt natürlich auch viele Einzelkämpfer in den lokalen und regionalen Organisationen und da verstehe ich, dass die sich manchmal scheuen, eine Telefonnummer ins Netz zu stellen. Ich sehe diese Transparenz als Chance für die Arbeit der eva. Wir bekommen zum Beispiel viele, von anderen unbeliebte, Anrufe von Spendern, welche Sachspenden anbieten. Diese Angebote streuen wir per Mail an alle unsere 150 Dienste und die meisten Sachspenden landen dann auch innerhalb weniger Tage bei Bedürftigen und unseren Hilfeangeboten. Für die Spender sind wir dann diejenigen, welchen es nicht nur ums Geld geht und den Bedürftigen ist geholfen. Das sehe ich natürlich in keiner Spendenauswertung. Aber, wie es schön heißt: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Und da ist es besser, beim ersten Mal einen guten Eindruck hinterlassen zu haben.


NGO-Dialog: Das ist aber sehr hoffungsvoll.

Kai Dörfner: Es geht um die Grundhaltung, die dahinter steht. Es sind Menschen die wollen Gutes tun, also muss ich dies wertschätzen und sie ordentlich behandeln, unabhängig von einem RoI im Hinterkopf. Da bin ich froh, dass wir im Fundraising der eva nicht so kurzfristig-zahlengetrieben sind wie manche große Organisation. Denn der Fokus auf Zahlen hemmt die Konzentration auf den einzelnen Spender und das finde ich für ein gutes Fundraising schwierig. Und dass dieser Ansatz erfolgreich ist, sehen wir an unseren jährlichen Ergebnissen. Seit ich 2002 zu eva kam und wir das Fundraising weiterentwickelten, haben sich die jährlichen Spenden und Zustiftungen von rund 1,5 Mio. Euro auf mittlerweile durchschnittlich 4–5 Mio. Euro erhöht.

(Bild: privat)

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