INTERVIEW

Ein Quantensprung im SMS-Fundraising

Andreas Häner
Andreas Häner

Freitag Morgen, 16. Mai 2014 – die Telefone des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) stehen nicht still. Die Hochwasserlage in Serbien, Bosnien und Kroatien hat sich extrem verschärft. Erste Anfragen treffen beim SRK nicht nur telefonisch, sondern auch über E-Mail und Facebook ein. Das SRK reagiert sofort. Es veröffentlicht eine Webseiten-News mit einem Link zum Online-Spendenwidget, das auch die SMS-Spende ermöglicht. Posts auf Facebook und Twitter folgen. Das Hilfswerk informiert die Menschen über die Lage auf dem Balkan und über erste Einsätze des Roten Kreuzes. Bereits am ersten Tag erlebte das Hilfswerk einen SMS-Spendenrekord.

Katja Prescher, Senior Consultant Online Fundraising und Campaigning bei der Kreativagentur getunik, sprach mit Andreas Häner, Leiter Public Fundraising beim SRK, für den NGO-Dialog über den SMS-Erfolg:


NGO-Dialog: Sie haben eine enorme Spendenresonanz über SMS erzielt. Wie wichtig ist es, als Hilfsorganisation im Katastrophenfall schnell reagieren zu können und welche Vorbereitungen müssen dafür getroffen werden?

Andreas Häner: Wir haben uns sehr gründlich darauf vorbereitet. Als Organisation, die vor allem bei Katastrophen tätig wird, müssen wir relativ schnell schauen, dass wir aktiv werden und auch im Fundraising bereit sind. Es geht vor allem auch darum, die wichtigsten Online-Tools zu beherrschen. Die Größe des Roten Kreuzes ist hier ein großer Vorteil. Dadurch können wir es uns leisten, Spezialisten einzusetzen.


NGO-Dialog: Oft hören und lesen wir, dass die mediale Präsenz der Schlüssel für den Erfolg ist. In diesem Fall trifft es nicht zu. Was war diesmal anders? Wie erklären Sie sich diesen überwältigenden Spendenerfolg ganz ohne Kommunikationsmaßnahmen ihrerseits?

Andreas Häner: Die Katastrophenkommunikation war im Grunde genommen erst ab Sonntag in den Medien. Andere wichtige Meldungen standen zuvor im Vordergrund – etwa eine wichtige Abstimmung in der Schweiz.
Das Zauberwort ist hier „Expat Community“ oder „Diaspora“. Wir haben enorm viele Menschen aus dem Balkan, die Schweizer sind oder in der Schweiz leben und arbeiten. Die Menschen aus den verschiedenen Balkanländern sind oft sehr gut miteinander vernetzt. Sie kennen die Details. Diese Menschen kontaktierten uns und wollten helfen.
Hinzu kommt, dass jedes dieser Länder ein eigenes Rotes Kreuz hat. So gibt es ein Bosnisches, ein Kroatisches und ein Serbisches Rotes Kreuz und mit allen sind wir vernetzt. Wir waren also ganz nah dran und konnten schnell berichten.


NGO-Dialog: Warum setzten Sie im Fundraising auf ein SMS-Spendentool? Normalerweise spenden die Schweizer ja eher gern über Einzahlungsschein.

Andreas Häner: Das Online-Spendenwidget von RaiseNow war das Schnellste, was wir anbieten konnten. Wir haben zudem viele junge Menschen, denen das Spendeninteresse online näher liegt als das Spenden über den Einzahlungsschein.
Freitag früh erhielten wir sehr viele Telefonanrufe, sodass wir auf die Situation im Balkan aufmerksam geworden sind. Die Anrufer haben uns gefragt, wie sie spenden können. Wir haben dann in kürzester Zeit die News auf der Homepage veröffentlicht und unter anderem auch den SMS-Kanal zum Spenden eröffnet. Danach hat es richtig gerauscht. Mittlerweile sind mehr als 300.000 Schweizer Franken eingegangen. Die Durchschnittsspende ist enorm hoch. Sie liegt etwa bei 45 Schweizer Franken.
So einen Erfolg hätten wir uns niemals vorstellen können. Es ist sehr überwältigend. Wenn wir eine SMS-Kampagne durchführen, dann nehmen wir im Jahr 30.000 bis 40.000 Schweizer Franken ein. In einem ganzen Jahr! Aber hier haben wir 300.000 in drei Tagen. Quantensprung würde es noch nicht einmal richtig beschreiben. Das ist unglaublich.


NGO-Dialog
: Welche Rolle spielten soziale Medien dabei?

Andreas Häner: Das Geheimnis dieses Erfolges liegt ganz klar auch bei Twitter und Facebook. Über diese Kanäle haben sich die Inhalte verbreitet, und so sind die Menschen auf die SRK-Homepage und auf die Online-Spendenmöglichkeit aufmerksam geworden.
Die Social-Media-Kanäle waren diesmal von sehr großer Bedeutung. Das Resultat wäre niemals das, was es ist, wenn wir im Social Media nicht professionell gearbeitet hätten.


NGO-Dialog
: Wie gehen Sie intern mit einem solch hohen Spendeneingang in kürzester Zeit um?

Andreas Häner: Auch da gilt es, vorbereitet zu sein. Wir müssen zum einen den technischen Ablauf sicherstellen. Die Real-Time-Transaktion kommt uns hier zu Gute. Und das hat sehr gut funktioniert. Das heißt, die eingehenden Daten werden sofort an die Fundraising-Datenbank übertragen. Dieser Prozess hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Struktur im administrativen Bereich. Allen berechtigten Mitarbeitern stehen die Informationen sofort zur Verfügung.
Inhalte und Bedankung müssen von uns in kürzester Zeit gemanagt werden. Wir müssen sicherstellen, dass alle Kommunikationskanäle mit den entsprechenden Inhalten bestückt sind. Das ist besonders wichtig, weil viele Leute verwandt oder verschwägert mit den Opfern sind. Sie erhalten aus erster Hand Informationen. Hier müssen wir dafür sorgen, dass die Inhalte einfach stimmen.


NGO-Dialog
:
Welchen Fundraising-Kanal haben Sie neben Online erfolgreich eingesetzt?

Andreas Häner: Am Montag, dem 26. Mai, haben wir ein Mailing konzipiert, am Dienstag gedruckt und verschickt, sodass es am Donnerstag, dem 29. Mai, bei ca. 6.000 Empfängern ankam. Die ersten Ergebnisse zeigen: Es lief sensationell gut. Weil es so schnell bei den Leuten ankam, können wir nun nachfassen.


NGO-Dialog
: Welche Empfängergruppen haben Sie mit Ihrem Mailing angeschrieben?

Andreas Häner: Wir haben Menschen, die aus der Balkan-Gegend kommen, Kaltadressen und Adressen von Nichtspendern, die aber Rot-Kreuz-affin sind, über eine entsprechende Adressrecherche angesprochen.
Einige der Angeschriebenen hatten einen Familienname, der aus der Balkan-Gegend stammt. Interessant ist, dass diese Menschen sieben Mal besser reagierten als „normale“ Spendergruppen. „Normale“ Spendergruppen reagieren trotzdem ausgezeichnet.


NGO-Dialog
:
Gelten Katastrophenhilfe-SMS-Spender als „normale“ Spender oder binden Sie langfristig diese Spender anders an Ihre Organisation?

Andreas Häner: Wir haben keine Erfahrung damit. Es ist das erste Mal, dass wir das in diesem Umfang erleben. Es hat auch etwas mit dem Spendengrund zu tun. Der Spendengrund ist hier: die Betroffenheit, der Verwandtheitsgrad. Wie wir genau damit umgehen können, ist noch nicht ganz klar. Damit müssen wir uns noch gedanklich auseinandersetzen.

 

Andreas Häner, herzlichen Dank für das Interview!

 

(Foto: privat)

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