INTERVIEW

Klassische Werbung versus Web 2.0: was Spender motiviert

Roland AdlerRund 2,3 Milliarden Euro, knapp 9% mehr als im Vorjahr, spendeten die Deutschen im Jahr 2010. Das ist das Ergebnis der im Auftrag des Deutschen Spendenrates von GfK Panel Services durchgeführten Studie „Bilanz des Helfens“, die regelmäßig den Spendenmarkt analysiert. Der Spendenmarkt war im letzten Jahr vor allem von zwei Naturkatastrophen nie dagewesenen Ausmaßes beeinflusst. Ob man dennoch von einer Steigerung des Spendenvolumens sprechen kann, was Spender von heute motiviert und mit welcher Altersgruppe wir es in Zukunft zu tun haben werden, darüber sprachen wir mit Roland Adler, Senior Marketing Consultant von GfK Panel Services.

NGO-Dialog: Herr Adler, absolut betrachtet stieg das Geldspendenvolumen 2010 um 8,8% im Vergleich zum Vorjahr. Doch ein differenzierter Blick in die Spendenstatistik zeigt, dass - rechnet man die Gelder raus, die im Kontext der beiden großen Katastrophen geflossen sind - insgesamt ein Rückgang an Spenden zu verzeichnen ist. Der stärkste Spendenmonat der Dezember wird, so sagen Sie, immer „schwächer“. Welche Gründe vermuten Sie für den Spendenrückgang in Deutschland?

Voranstellen möchte ich zunächst die positive Entwicklung: 2010 hatten wir, wie von Ihnen bereits erwähnt, 8,8% Spendenzuwachs, zum zweiten Halbjahr waren es 19%. Ich bin im Prinzip, nach Pakistan, auch davon ausgegangen, dass wir in diesem Jahr auf jeden Fall im zweistelligen Bereich abschließen, also mit einem Plus von über 10%. Tatsächlich ist es so, dass der Dezember einen Wert hatte von minus 11%. Das ist natürlich tragisch, da es sich um den spendenstärksten Monat handelt. Herausrechnen lassen sich die Katastrophen immer nur schwer, weil tatsächlich doch immer wieder etwas passiert, denken wir an Myanmar oder ähnliche Dinge in den vergangenen Jahren. Es hat schon seine Berechtigung, das mit reinzunehmen. Vor allen Dingen haben die Katastrophen weniger Menschen in Deutschland erreicht. Wir hatten im Jahr 2005 - dem „Tsunami-Jahr“ - in Deutschland eine Spenderquote von 26,5 %. Im Jahr 2010 waren es 21%.

Das ist, in Anbetracht der großen medialen Präsenz dieser zwei Naturkatastrophen, erstaunlich. Da hätte ich persönlich mit mehr Spendern gerechnet. Da drängt sich für mich die Frage auf: Wie kann man denn Spender langfristig oder auch mittelfristig noch zum Spenden motivieren, wenn solche „Großereignisse“, mit diesem medialen Hintergrund, in derart armen Ländern, nicht dazu führen, dass das Spendenvolumen deutlicher nach oben geht?

Des Weiteren müssen wir uns den Spenden-Rückgang im Dezember genauer ansehen. Wir sehen im zweiten Jahr ein Minus von 11% der Einnahmen im Dezember, d.h. wenn man dies über zwei Jahre betrachtet, haben wir ein Minus von 20%. Das ist ein Fünftel. Für die meisten Organisationen ist der Dezember der einnahmestärkste Monat. Und wenn sich abzeichnet, dass es im Dezember weiter zurückgeht, begleitet von einer gewissen Zähigkeit der deutschen Bevölkerung bei Großereignissen zu spenden, dann müssen sich die Organisationen darauf einstellen, dass sie wahrscheinlich mittelfristig bereits deutlich weniger Einnahmen haben werden. Vielleicht verringert sich die Anzahl der Spender nicht absolut, aber eben deren Spendeverhalten.

NGO-Dialog: Die Frage, welche Fundraising-Tools mit welcher Durchschlagkraft auf dem Spendenmarkt wirken, hat Erstaunliches zutage gebracht. Tatsächlich war eine überproportionale Steigerung der Spender-Motivation durch den Einsatz klassischer Werbung zu verzeichnen. Lohnen sich also langfristig die Investitionen in PR, TV-Werbung, Radiobeiträge und Spendengalas, die viele Organisationen zunehmend tätigen?

Die mediale Landschaft hat innerhalb der letzten zehn Jahre deutliche Veränderungen erfahren. Ein Smartphone ist heute selbstverständlich. Die Menschen unter 40 Jahren gehen aller Wahrscheinlichkeit nach mehrmals am Tag ins Internet, lesen weniger Zeitungen. Es gibt immer weniger Menschen, die Zeit haben, überhaupt fernzusehen. Also stellt sich die Frage: wo erreicht man denn diese Gruppe?

Der zweite Punkt ist: wir haben bei den privaten Spenden einen Anteil von über 50% der Spender, die älter als 50 Jahre alt sind und traditionell auch einen deutlich höheren TV-Konsum haben und diese Personen ließen sich im letzten Jahr deutlich überdurchschnittlich durch Spendengalas und Berichte im TV, also in den Nachrichten usw. ansprechen. Wir haben das untersucht und uns die Alt- und Neuspender getrennt angeschaut: Menschen, die in den letzten Jahren gespendet haben und Spender, die nur 2010, zu den Katastrophen, gespendet haben. Die „Katastrophenspender“ waren vor allem Jüngere, sprich hauptsächlich unter 50 Jahre alt. Gleichzeitig eher mit höherem Bildungsabschluss, mit Abitur oder Universitätsabschluss und aus höheren Einkommensgruppen. Das heißt, diese Neuspender haben sich überdurchschnittlich auch durch die Beiträge im TV motivieren lassen. Wohingegen der Anteil der Motivation durch Mailings konstant geblieben ist, im Vergleich zum letzten Jahr. Das heißt, was wir hier sehen ist die Quintessenz differenzierter Spenderansprache. Ich muss die Gruppen altersgerecht ansprechen. In der Altersgruppe 70 plus ist es nach wie vor das Mailing, in der Altersgruppe 40 Jahre und jünger muss es die Präsenz im Internet sein, mit Bannerwerbung oder Google Adwords usw.. Bei der Altersgruppe dazwischen, also zwischen 40 und 60 Jahren, hängt es sicherlich vom Lebensstil der Personen ab. Was ich damit sagen möchte ist: Es besteht, wie für alle anderen Produkte auf dieser Welt auch, die Notwendigkeit einer zielgruppenadäquaten Ansprache und wir müssen dafür auch die entsprechenden Medien nutzen.

NGO-Dialog: Den Anteil der Spender, die durch E-Mail und Internet gewonnen wurden, kann man als verschwindend gering ansehen, in diesem Bereich war fast keine Steigerung zu verzeichnen. Was sagt uns das in Bezug auf den Web 2.0 - Hype in der Fundraising-Branche, sind wir da auf dem Holzweg?

Schön, dass wir genau darüber sprechen. Nein, ich glaube nicht, dass wir da auf dem Holzweg sind. Es ist ganz klar die richtige Richtung. Allerdings anders gedacht. Mein Eindruck ist, dass die Homepage einer Organisation eine Grundvoraussetzung geworden ist, wobei über die optimale Gestaltung und die richtigen Inhalte noch diskutiert wird. So wie ein Mailing eben Farbe braucht.

Ich sehe in diesem Kontext eine ganz andere Gefahr. Nämlich die, was dem Fundraiser rund um das Thema Internet zugemutet wird. Dass er sich neben all den anderen Dingen, die er tut, zusätzlich auch noch nebenher, sozusagen „on top“, sich da auch engagieren „darf". Nach dem Motto: Das ist doch alles easy und wir haben hier E-Mail-Adressen usw. und nun muss mal schnell auf diese Art und Weise Geld eingeworben werden. So geht es natürlich nicht.

Warum die Zahlen sich insgesamt nicht sehr verändert haben, das liegt an dem Gesamtmarkt (wie wir ihn betrachten), wo z. B. auch Straßensammlungen, Kollekten usw. mit reinfallen. Wenn wir hingegen einzelne Organisationen anschauen, die speziell die junge Zielgruppe im Fokus haben, dann haben die sehr wohl eine hohe Spendenmotivation über das Internet entwickelt. Ich kann jetzt hier keine Namen nennen, aber bei manchen Organisationen sind das 21-23%. Und wenn wir uns die klassischen Werbeausgaben anschauen, dann sehen wir, dass der Anteil fürs Internet, also die bezahlte Schaltung von Bannern usw., bereits auf 11% gestiegen ist. Das waren vor 4-5 Jahren noch 5%. Das nimmt also zu. Das heißt, es gibt Organisationen, in der Regel sind das die großen, die inzwischen ganz klar Mitarbeiter beschäftigen, die nur für das Online-Fundraising verantwortlich sind. Die einen kümmern sich um die Google Adwords, die anderen kümmern sich tatsächlich um die adäquate Zielgruppenansprache über das Internet und versuchen hier, über Bannerwerbung, die jüngere Klientel gezielt anzusprechen und vor allen Dingen auf die eigene Homepage zu verlinken. Zusammenfassend heißt das für mich: Ich sehe keinen Web 2.0-Hype, sondern den Auf- und Ausbau eines zielgerichteten Zielgruppen-Marketings im Internet.

NGO-Dialog: Fast die Hälfte der Spender ist über 60 Jahre alt. Nur ein Viertel der Neuspender kam im letzten Jahr aus diesem Altersspektrum. Wie würden Sie das im Kontext der demografischen Entwicklung werten? Sterben uns die Spender weg?

Ja, klar. Das eine ist die biologische Fluktuation. Wir sehen, dass wir durch Katastrophen, wie jetzt in Haiti und Pakistan, sehr viele junge Spender akquirieren. Der größte Zuwachs an Neuspendern kam aus der Altersgruppe 10 -19 Jahre. Allerdings ist in dieser Altersgruppe die Durchschnittspende deutlich geringer. Das ist auch noch nicht die Altersgruppe, die man mittelfristig binden kann.

Wir sehen eine gewisse Trägheit, vor allen Dingen in der Altersgruppe der 50-60 Jährigen. Aus dieser Altersgruppe hätte ich deutlich mehr Neuspender erwartet. Die über 70-Jährigen werden natürlich auch mal sterben, wie wir alle, und dann rutschen die jüngeren Altersgruppen nach. Jetzt haben wir eine Bevölkerungs-Pyramide, die auf dem Kopf steht. Das heißt, die Spitze ist unten und der breite Teil ist oben. Das hat zur Folge, dass auf Grund der demografischen Entwicklung nicht mehr so viele 60- oder 50-Jährige nachkommen, wie wir das aus der Vergangenheit kennen. Zweitens sind das Generationen, die nicht so wie die heute 70-Jährigen gelernt haben, zu spenden. Diese Menschen muss man ganz neu ansprechen und auch, so wie jeder Markenproduzent das macht, langfristig aufbauen. Ich muss jetzt bereits anfangen, Bekanntheit über die neuen Medien aufzubauen. Dann muss ich die Menschen zielgerichtet ansprechen. Die 30 -Jährigen denken anders, als das ein 70-Jähriger tut. Da muss ich einen anderen Text verwenden, andere Bilder. Ich muss mir eine andere Form der Betreuung überlegen. Das heißt, durch die Differenzierung wird das Fundraising aufwändiger, macht mehr Arbeit und das Geschäft wird härter.

NGO-Dialog: Also eine Veränderung der Fundraising-Kultur, wenn man so will?

Gezwungenermaßen. Die Struktur ändert sich, die jüngeren Menschen, die nachkommen, haben das Spenden nicht so gelernt. Die muss man anders ansprechen. Ich glaube, dass das einfache Bitten in der Zukunft nicht mehr reichen wird. Wir sehen ja jetzt bei großen Patenschaftsorganisationen, wie differenziert und anders die das zum Teil machen.

NGO-Dialog: Herr Adler, eine letzte Frage: wenn Sie in die Zukunft des deutschen Spendenmarktes schauen – was sehen Sie? Könnten Sie für uns eine vorsichtige Prognose für den Trend bis 2020 wagen?

Ich glaube, dass die Organisationen, die den Begriff Spenderbindung ernst nehmen, ihre Positionen behaupten und Spender weiter betreuen können. Wenn man von einem sinkenden Spendenvolumen ausgeht, dann sind die Themen Spenderbindung und Spenderbetreuung die Schlüsselfunktionen für den Erfolg in den nächsten Jahren. Organisationen, die in diesen Bereichen nicht verstärkt investieren, werden ihre Position in 2020 nicht mehr haben. Zumindest was die privaten Geldspenden angeht.

NGO-Dialog: Herr Adler, ich danke Ihnen sehr herzlich für das freundliche Gespräch!

Zur Methode: Die verwendeten Zahlen stammen aus dem Spendenpanel GfK CharityScope, in dem 10.000 Deutsche ab 10 Jahren (repräsentativ) Monat für Monat Auskunft über ihre freiwilligen Spenden geben. Vollständige Zeitreihen liegen seit 2005 vor.

Roland Adler ist Diplom-Kaufmann (Univ.) mit jahrelanger Erfahrung in der Durchführung von nationalen und internationalen Marktforschungsprojekten, sowohl Ad-hoc-Marktforschung als auch Panelanalysen. Schwerpunkt seiner Datenanalyse ist die umsetzungsorientierte Ergebnisdarstellung für Spendenorganisationen, Ableitung klarer Handlungsanweisungen, Feedback zur Positionierung gegenüber dem Wettbewerb. Seit Anfang 2009 berät Roland Adler große und mittlere Organisationen in Deutschland in Bezug auf die strategische und operative Ausrichtung ihrer Fundraising-Aktivitäten.

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