INTERVIEW

„Berichte über Spenden beinhalten oft Klischees“

Tyark Thumann erwartet weniger Skandalisierung von den Medien.
Tyark Thumann erwartet weniger Skandalisierung von den Medien.

Medien berichten immer wieder gern über Vereine und Stiftungen. Der Tenor hat sich nach Meinung von Tyark Thumann, langjähriger Fundraiser und Berater, aber immer mehr auf Skandale und negative Berichterstattung verschoben. Er führte eine vierjährige Inhaltsanalyse der Presseberichterstattung durch. Wir sprachen mit ihm über das schwierige Verhältnis von Journalisten zum Fundraising und wie er das Bild von NGOs in der Öffentlichkeit stärken würde.


NGO-Dialog:
Herr Thumann, seit 2012 analysieren und kommentieren Sie Berichte über Non-Profit-Organisationen (NGOs), Fundraising, Spenden und Spender. Welche Medien berichten besonders gern über Spendenwerbung?

Tyark Thumann: Die Leitmedien. Mir ist aufgefallen, dass regionale Medien regelmäßig vor den typischen Trickbetrügern und Sammelbanden auf der Straße warnen, sie kündigen aber auch Sammelaktionen an, und sie berichten gern über Spenden und ihren Nutzen. Berichte über Spendenwerbung habe ich vor allem in überregionalen beziehungsweise in den Leitmedien gefunden, also von der ARD bis zur ZEIT. Diese Berichte basieren allzu oft auf negativen Klischees und erstaunlicher Unkenntnis. In Österreich und in der Schweiz ist das Phänomen ähnlich, aber weniger drastisch als in Deutschland. In den USA wurde der Charity Defense Council gegründet, um NGOs gegen Desinformationen zu verteidigen.


Journalisten wissen wenig über Fundraising

NGO-Dialog: Was motiviert diese Journalisten dazu, gemeinnützige Organisationen negativ darzustellen?

Tyark Thumann: Diese Frage sollten wir den Journalisten stellen. Der Trend zur Skandalisierung ist nicht mehr neu, und er beschränkt sich nicht auf NGOs. Inzwischen gibt es auch journalistischen Widerstand, zum Beispiel die medienkritische Redaktion von „Zapp“ und den konstruktiven Journalismus von „perspective-daily“. Soweit ich es circa 400 Berichten über NGOs und Spenden aus den letzten vier Jahren entnehmen kann, wissen diese Autoren sehr wenig über Fundraising. Verständnis für grundlegende Zusammenhänge ist kaum erkennbar. Autorenteams sind selten. Kaum jemand hat mehr als einen Artikel zum Thema geschrieben. Ich frage mich, woher diese Experten ihre Expertise haben. Arne Peper, Geschäftsführer des Deutschen Fundraisingverbands, berichtet, dass viele Autoren dieser Artikel sehr jung sind. Im Sinne des eigenen Erlebens ist also auch fraglich, wie viel eigene Erfahrung die Autoren mit dem Spenden haben.


NGO-Dialog: Liegt es nur an der fehlenden Erfahrung oder gibt es noch andere Gründe?

Tyark Thumann: Sicher ist, dass NGOs keine Juristenteams haben, um sich gegen Pseudoskandale zu wehren. Vermutlich birgt es wenig Risiko, wenn man behauptet, dass Greenpeace viele Millionen Euro mit Finanzspekulationen verzockt. Wer würde es wagen, einen derartigen Pseudoskandal über einen großen Konzern zu verbreiten? Deren juristische Abteilungen würden dem Verlag sofort den wirtschaftlichen Schaden der Falschmeldung in Rechnung stellen. Mir scheint, NGOs zu skandalisieren, ist relativ ungefährlich und kostet nicht viel Zeit. Es ist leicht verdientes Geld.


Leitmedien berichten vornehmlich negativ

NGO-Dialog: Was kritisieren die Leitmedien am Fundraising?

Tyark Thumann: Sie kritisieren, dass gute Arbeit für gemeinnützige Ziele nicht kostenlos ist. Erinnern Sie sich an die Podiumsdiskussion unseres letzten Fundraisingkongresses in Berlin? Die Moderatorin wollte die Ehrenamtlichen gegen die Hauptamtlichen ausspielen. Sie hat sich sehr um Bestätigung dafür bemüht, dass Ehrenamtliche bessere Menschen sind. Eine Phoenix-Moderatorin! Das hat mich wirklich verblüfft. Den typischen Klischees zufolge, sind Organisation, Management und Fundraising nur „Verwaltung“ und Verwaltung ist Verschwendung. Die Klischees zeigen sich schon in der Sprache. ARD: „Wenn Models auf Spendenjagd gehen“, Arte: „Im Dickicht der Spendenindustrie“, Die ZEIT: „Betteln will gelernt sein“ und so weiter. Die Liste der bizarren Berichte ist lang. Sogar gegen das Spenden wird polemisiert. Die Süddeutsche Zeitung berichtete 2016 über Fehler in der Entwicklungspolitik und Probleme der Katastrophenhilfe. Statt einer Headline zum Thema lesen wir in großen Lettern: „Wenn Spenden schadet“.


NGO-Dialog: Was macht das Thema Spendenwerbung für die Medien interessant?

Tyark Thumann: Da es keine wissenschaftlichen Fakten zur Motivation dieser Journalisten gibt, kann ich nur mutmaßen. Interessant ist das große Publikum von mehr als 20 Millionen Spendern in Deutschland. Plausibel ist das geringe juristische und ökonomische Risiko. Plausibel ist die zurückhaltende Kritik kultivierter Fundraiser und die Tatsache, dass die Kollateralschäden der Berichte noch nicht quantifiziert sind. Vielleicht ist das Thema interessant, weil sich auch Journalisten manchmal fragen, warum sie noch nicht spenden? Wir wissen es nicht. Ganz sicher ist: Das Erzählmotiv ist sehr sexy! Es ist der Glaube an den Wolf im Schafspelz und die Lust, diesen Wolf zu enthüllen. Die Geschichte ist märchenhaft. Helden entzaubern und Wölfe enthüllen ist journalistische Erotik.


Klischees verunsichern Nichtspender

NGO-Dialog: Wie sehr beeinflussen die negativen Klischees das Spendenverhalten?

Tyark Thumann: Leider gibt es dazu noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen. Erfahrene Spender lassen sich von den Skandalisierungen anscheinend nicht so leicht beeindrucken. Aber auf Nichtspender hat die ewige Wiederholung der negativen Klischees wahrscheinlich eine große Wirkung. Wer Gespräche mit Nichtspendern führt, ist mit diesen Klischees konfrontiert: Das Geld kommt nicht an. Verwaltung ist Verschwendung. Spendenwerbung ist nutzlos. An Ihre Frage schließt sich deshalb die Frage an: Woher kommt die drastische Kostensteigerung in der Neuspender-Gewinnung? Dienstleister, Lohnkosten und Rohstoffe sind meines Wissen nicht die Ursache. Also stellt sich die Frage: Können Hunderte von Negativberichten in seriösen Leitmedien bei einem so großen Publikum ohne Wirkung bleiben? Zumal die übelsten Klischees auch von der Unterhaltungsindustrie adaptiert und multipliziert werden. In Spielfilmen erscheinen NGOs als Betrüger, saufende Luxusluder, Kinderschänder, Mörder und Terroristen. Wie viele Menschen werden abgeschreckt? Ein paar tausend, ein paar hunderttausend oder mehr?


Mehr Aufklärung tut Not

NGO-Dialog: Wie könnte man die Skandalisierungen stoppen und die Kultur des Gebens fördern?

Tyark Thumann: Mit Aufklärung. Redaktionen, die über NGOs und Fundraising schreiben, müssen deutlich mehr darüber wissen, wie NGOs funktionieren. Immerhin: Nach der Kritik des Fundraisingverbands wurde in keinem Leitmedium das Totschlagwort „Spendenindustrie“ wieder verwendet. Wenn die Redaktionen ihrer Verantwortung gerecht werden und unserer Zivilgesellschaft nicht schaden wollen, müssen Fakten und grundlegende Erkenntnisse in ihren Berichten eine größere Rolle spielen.


NGO-Dialog: Also Whitepapers, FAQ-Texte, Pressemeldungen und Pressekonferenzen. Wird das ausreichen?

Tyark Thumann: Vermutlich nicht. Die Klischees sind mindestens so alt wie der „Neue Heimat“-Skandal. Ich glaube, ohne eine mehrjährige Kampagne werden wir die alten Bilder nicht verdrängen können. Ich glaube auch, dass wir den Unterhaltungssektor nicht ignorieren sollten. Ich weiß nicht, ob wir einen Charity Defense Council brauchen, aber eine starke Kampagne brauchen wir sicherlich, um den Blickwinkel von Journalisten und Drehbuchautoren auf NGOs zu verändern.

(Bild: privat)

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