INTERVIEW

Transparenz heißt nicht auf Emotionen zu verzichten.

Danielle Böhle
Danielle Böhle

Danielle Böhle unterstützt seit 2011 mit GOLDWIND als freiberufliche Expertin gemeinnützige Organisationen bei psychologischer Kommunikation. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich Spenderansprache, Spenderbefragung und Spenderbindung. Die Diplom-Psychologin lehrt seit 2013 an der Hochschule Fresenius in Köln das Fach „Entscheidungsverhalten und Urteilsbildung“ im Masterstudiengang „Corporate Communication“. Wir sprachen mit ihr über die Balance von Emotion und Information im Fundraising.

NGO-Dialog: Welchen Wert hat die Emotion im Fundraising?

Danielle Böhle: Aus psychologischer Sicht den höchsten! Wir halten uns alle für sehr rational und vernünftig. Aber bevor wir das Gehirn „anschalten“ können, um Argumente abzuwägen, hat das Gefühl schon zugeschlagen. Das Fatale ist, dass wir uns dessen nicht bewusst sind. Das macht es schwer, die Bedeutung darzustellen. Wenn Sie Spender fragen, wollen die natürlich informiert werden. Und wenn ich mit Fundraisern spreche, begründen die mir ihre eigenen Entscheidungen mit vielen logischen Argumenten. In dem Moment, wo man über das Thema spricht, wird ja tatsächlich bewusst darüber nachgedacht. Diese Argumente fußen aber oft auf den Emotionen, die die Entscheidung schon längst beeinflusst haben. Sie werden daran angepasst. Manchmal gewinnen die Argumente natürlich auch über die erste Emotion. Doch im stressigen Alltag denken wir viel weniger nach als wir meinen. Wenn wir den Kopf mit anderen Dingen voll haben oder müde sind, wird in der Regel den ersten emotional gefärbten Eingebungen im wahrsten Sinne des Wortes unbedacht gefolgt. Und Spendenaufrufe treffen uns meist unerwartet im Alltag.


NGO-Dialog:
Aktuelle Studien zeigen wieder, dass auch ältere Spender kritischer werden. Werden wir künftig stärker informieren als emotionalisieren, um Spenden zu erhalten?

Danielle Böhle: Nein, das wäre kontraproduktiv – zumindest in der Spenderansprache, insbesondere bei der Neuspenderakquise. Da wird in der Regel schon jetzt zu viel proaktiv informiert. Oft werden die potenziellen Spenderinnen und Spender mit Daten und Fakten zu den Projekten und Notlagen regelrecht zugeschüttet. Da wird von einer riesigen Anzahl von Betroffenen gesprochen, die sich keiner vorstellen kann. Da werden Maßnahmen bis ins Detail erläutert. Mit Fachbegriffen, die die wenigsten verstehen. Das alles verhindert das emotionale Mitfühlen und hemmt die Spendenbereitschaft. Weniger ist hier definitiv mehr.


NGO-Dialog:
Aber das Informationsbedürfnis der Spender steigt doch, wie zum Beispiel Zugriffe auf Websites in der Weihnachtszeit zeigen.

Danielle Böhle: Richtig. Deshalb wird es immer wichtiger – auch im Hinblick auf nachwachsende Spendergenerationen – Informationen zur Organisation bereitzustellen: Was erreichen wir konkret? Wie werden Gelder verwendet? Ist das Ganze nachhaltig sinnvoll? Das „kritischer werden“ betrifft ja weniger die Bedürfnisse der Hilfeempfänger als das Wirken der Organisation. Daher sollten Fundraiser auf kritische Nachfragen echte Argumente liefern und Schwachstellen aufzeigen können. Wenn das eigene Tun kritisch beleuchtet wird und eigene Grenzen dargestellt werden, macht das die Organisationen glaubwürdiger.


NGO-Dialog:
Steht der Wunsch nach Transparenz und der Wunsch nach Spenden durch die Fundraiser nicht in einem Widerspruch?

Danielle Böhle: Nein, das muss nicht sein. Transparenz heißt doch, dass die Arbeit, Ausgaben und Wirksamkeit der Organisation für jeden nachvollziehbar gemacht werden und dass das Problem, das die Organisation beseitigen möchte, realistisch dargestellt wird. Dafür sind Jahresberichte oder die Website eine gute Möglichkeit. Wichtig ist, dass jeder Interessierte dazu einfach und leicht Zugang hat. Es heißt nicht, dass das in jedem einzelnen Mailing und Flyer erläutert werden muss. Die haben eine andere Funktion: Sie sollen erstmal bei den Menschen das Verständnis für die Notlage erwecken. Und das kommt weniger durch Fakten, sondern vielmehr durch emotionales Abholen der Angesprochenen. Auch, wenn das vielen Fundraisern oder Vorständen paradox erscheinen mag.


NGO-Dialog:
Psychologische Erkenntnisse helfen uns, unsere Mailings besser zu texten oder die Spenderansprache zu optimieren. Setzen wir uns da nicht auch dem Vorwurf der Manipulation aus?

Danielle Böhle: Manipulation klingt sofort negativ. Damit ist ja eine Täuschung zum eigenen Vorteil und Nachteil des anderen gemeint. Mit der Haltung sollte man psychologische Erkenntnisse nicht nutzen! Es geht doch vielmehr darum, dass Spenden nicht durch ungewollt schlechte Kommunikation vermindert werden. Der alte Spruch „man kann nicht nicht kommunizieren“ bedeutet auch „man kann nicht nicht beeinflussen“. Es gibt keine Möglichkeit, die Welt objektiv zu beschreiben. Man entscheidet sich für eine Darstellung und löst damit etwas beim Gegenüber aus. Dann besser etwas, das der Organisation zu- statt abträglich ist.


NGO-Dialog:
Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Danielle Böhle: Wenn ich sage „Wir setzen uns für die Bekämpfung einer Krankheit ein, an der 0,2 Prozent aller Kinder sterben“, dann gewinne ich damit keinen Fundraising-Blumentopf. Wenn ich aber sage: „An dieser Krankheit sterben 200 von 100.000 Kindern“, dann erscheinen vor dem geistigen Auge automatisch 200 Kinder. Die Krankheit wirkt bedrohlicher und ich bekomme mehr Spenden. Machen Sie sich klar: Die Information ist faktisch dieselbe, die emotionale Wirkung aber allein durch die unterschiedliche Darstellung eine vollkommen andere! Mir ist wichtig, dass die Organisationen verstehen, welchen Einfluss ihre Kommunikation hat. Ich weise auch darauf hin, wenn ich einen Effekt fragwürdig finde, weil er für mich Grenzen überschreitet. Letztlich müssen die Organisationen selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen möchten.


NGO-Dialog:
Welche kurz- und langfristigen Effekte müssen dabei unterschieden werden?

Danielle Böhle: In Bezug auf die Emotionen ist es so, dass Bilder und Texte, die negative Emotionen wie Mitleid, Betroffenheit, Schuld, Ärger über Ungerechtigkeit und so weiter auslösen, sehr aufmerksamkeitsstark sind. Sie fördern den Spendenimpuls. Das ist zum Beispiel von Vorteil, wenn eine hohe Konkurrenz besteht, zum Beispiel im Dezember. Sie sind aber nur kurzfristig wirksam, denn mit der Spende wird das unangenehme Gefühl sofort reduziert. Spendenbotschaften, die positive Emotionen wie Mit-Freude, Stolz, Erleichterung, Dankbarkeit und so weiter auslösen, wirken belohnend und sind daher langfristig wirksam. Davon wollen wir gerne mehr. Sie sind somit ein wichtiges Mittel für die Spenderbindung.


NGO-Dialog:
Wie bekommt man Emotion und Information in Balance?

Danielle Böhle: Eine schwierige Frage, weil man es natürlich nicht wirklich hundertprozentig trennen kann. Gebundene Spender „vertragen“ auch mehr Information als Neuspender. Als Faustregel würde ich sagen: Wenn Sie Spenderinnen und Spender aktiv ansprechen, zum Beispiel bei einem Spendenaufruf, dann gestalten Sie das emotional und verzichten Sie auf Zahlen, Daten und Fakten. Diese sollten für diejenigen bereitgestellt werden, die sich wirklich tiefer informieren möchten und dafür selbst aktiv werden. Das ist am Ende tatsächlich eine Minderheit. Für die meisten ist wichtig, dass sie sich informieren könnten.

(Bild: PR)

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