INTERVIEW

„Diese Entscheidung ist toxisch!“

Dr. Felix Kolb, Campact
Dr. Felix Kolb, Campact

Bereits im letzten ngo-dialog berichteten wir über das Urteil des Bundesfinanzhofs gegen Attac, das den Entzug der Gemeinnützigkeit zur Folge hatet. Campact e.V., die große Petitionsplattform, teilte nun mit, dass sie künftig auf diesen Status verzichtet, um handlungsfähig zu bleiben. Wir sprachen mit dem geschäftsführen Vorstand Dr. Felix Kolb über diese Entscheidung.


NGO-Dialog:
Herr Kolb, Campact hat angekündigt, keine Spendenbescheinigungen mehr auszustellen, weil es befürchtet die Gemeinnützigkeit zu verlieren. Ist das nicht ein wenig verfrüht? Ihr Verfahren läuft doch noch.

Dr. Felix Kolb: Unser Verfahren läuft zwar noch, aber unabhängig davon gelten die Bestimmungen des Paragraphen 10b „Steuerbegünstigte Zwecke“ des Einkommensteuergesetzes. Nach Beurteilung unserer Steuerberatung und der Anwältinnen und Anwälte könnte es als fahrlässig beurteilt werden, wenn wir weiter Spendenbescheinigungen ausstellen würden. Denn Campact muss davon ausgehen, dass es aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofes zur Gemeinnützigkeit von Attac ebenfalls keinen Freistellungsbescheid vom Finanzamt Berlin für die Jahre 2015 bis 2017 erhalten wird. Unsere Situation ist aber nicht einfach auf andere Vereine übertragbar. Die Entscheidung, ob Paragraph 10b greift, kann nur auf Basis des Einzelfalls beurteilt werden.


NGO-Dialog:
Welche Konsequenz befürchten Sie aus dem Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs für gemeinnützige Organisationen in Deutschland?

Dr. Felix Kolb: Das Attac-Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) schränkt die Redefreiheit für die gesamte kritische Zivilgesellschaft massiv ein. Wir halten es für toxisch, denn der BFH erklärt politische Meinungsäußerungen im Grundsatz für unvereinbar mit der Gemeinnützigkeit. Um diesen Missstand zu beseitigen, muss der Gesetzgeber aktiv werden. Campact hat zusammen mit der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ eine Kampagne gestartet, die eine grundlegende Reform der Abgabenordnung einfordert.


NGO-Dialog:
Wie wird sich Campact künftig organisatorisch aufstellen, wenn Sie nicht mehr gemeinnützig sein sollten?

Dr. Felix Kolb: Im Moment sind keine organisatorischen Veränderungen vorgesehen. Unabhängig davon, ob Campact seinen offiziellen Status als gemeinnützige Organisation verlieren wird oder nicht, setzen wir unsere Kampagnen etwa für Klimaschutz, die Agrar- und die Verkehrswende sowie gegen Rechtsextremismus ganz normal fort. Und als von über zwei Millionen Menschen getragene Bürgerbewegung werden wir die Finanzierung weiter auf zehntausende Spenderinnen und Spender stützen.


NGO-Dialog:
Werden Angebote wie „WeAct“, die anderen gemeinnützigen Organisationen erlauben, Ihre Plattform für eigene Petitionen zu nutzen, zukünftig deshalb etwas kosten?

Dr. Felix Kolb: Nein, die Nutzung der Petitionsplattform kostet weiterhin für niemanden etwas. Das wird sich auch nicht ändern. Wir bieten auch keinerlei kostenpflichtige Zusatz-Services an. Ob eine Petition bei WeAct läuft oder nicht, hängt einzig von den progressiven Inhalten ab. Auch die Unterstützung von anderen gemeinnützigen Organisationen werden wir fortsetzen.


NGO-Dialog:
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Joachim Pfeiffer hat die Deutsche Umwelthilfe und Campact kürzlich wieder öffentlich als unlegitimierten und intransparenten Verein dargestellt? Was sagen Sie zu diesen Vorwürfen?

Dr. Felix Kolb: Die Vorwürfe sind absurd. Wir gehören zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Transparente Zivilgesellschaft. Wir dokumentieren sehr ausführlich, wie viel Geld wir einnehmen und wofür wir es ausgeben. Daran können sich Lobbyverbände der Industrie ein Vorbild nehmen. Unser Transparenzbericht 2017 bietet einen guten Überblick. Unsere Zahlen aus 2018 werden gerade von der Wirtschaftprüfung gecheckt. Auch für 2018 wird es einen ausführlichen Transparenzbericht geben. Wir stützen uns auf die Finanzierung durch private Spenderinnen und Spender, um Abhängigkeiten von Politik und Industrie zu vermeiden.


NGO-Dialog:
Sollte es auch feste Transparenzregeln für den dritten Sektor geben?

Dr. Felix Kolb: Wir befürworten die Einführung von gesetzlichen Transparenzregeln für den dritten Sektor und insbesondere für politisch tätige Vereine. Für Campact wäre dann aber wichtig, dass der Umfang von verpflichtenden Transparenzregeln von der Höhe des Umsatzes eines Vereins abhängig gemacht wird. Auch Transparenz bedeutet Arbeit, und insbesondere kleine und rein ehrenamtliche Vereine dürfen in ihrem Alltag nicht noch zusätzliche Arbeit aufgebürdet bekommen. Auch ein verbindliches Lobbyregister ist hilfreich.


NGO-Dialog:
Was sollte die große Koalition aus Ihrer Sicht jetzt tun, um den gemeinnützigen Bereich zu stärken?

Dr. Felix Kolb: Wir schließen uns den Forderungen der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ e.V. an. Wir fordern den zuständigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz auf, umgehend einen Vorschlag für eine Anpassung der Abgabenordnung vorzulegen. Der Begriff „politische Bildung“ muss dringend zeitgemäß definiert werden.

Für eine Reform der Abgabenordnung muss die Regierungskoalition den Wert zivilgesellschaftlichen Engagements für eine lebendige Demokratie und eine ausgewogene öffentliche Debatte anerkennen. Dort sollten nicht nur Partikularinteressen von Unternehmen und der Wirtschaftslobby dominieren. Es sollte sichergestellt sein, dass die selbstlose Beteiligung an der öffentlichen Meinungsbildung sowie der politischen Willensbildung durch gemeinnützige Organisationen unschädlich für deren Gemeinnützigkeit ist.

Bisher konnten Vereine den Status der Gemeinnützigkeit unter anderem erlangen, indem sie sich auf den Satzungszweck „politische Bildung“ beriefen. Künftig darf politisches Engagement nur noch zu Zwecken erfolgen, die in der Abgabenordnung explizit aufgeführt sind. Daher verlangen wir, dass die Liste der explizit gemeinnützigen Tätigkeiten sofort erweitert wird. Aufgenommen werden sollten: Förderung der Wahrnehmung und Verwirklichung von Grundrechten, Frieden, soziale Gerechtigkeit, Klimaschutz, informationelle Selbstbestimmung, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter.

(Bild: Sabine Vielmo/Campact)

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