INTERVIEW

„Wichtig ist, es einfach zu machen.“

Christoph Lüdemann
Christoph Lüdemann

Christoph Lüdemann, Student im 9. Semester Medizin und Masterstudent der Wirtschaftswissenschaften an der Privatuniversität Witten-Herdeck, darf sich künftig „Student des Jahres“ nennen. Einen hohen Anteil für diese Würdigung hat zweifellos das Engagement Lüdemanns als Vorstand des Vereins L’appel Deutschland e.V. Wir sprachen mit ihm darüber, warum er Projekte in Ruanda und Sierra Leone realisiert und welche Erfahrungen er in Afrika gemacht hat.

NGO-Dialog: Herr Lüdemann, Sie sind gerade vom Deutschen Hochschulverband und dem Deutschen Studentenwerk als „Student des Jahres“ geehrt worden. Wie fühlt man sich da?

Christoph Lüdemann: Das ist natürlich eine große Ehre, insbesondere, wenn man bedenkt, dass der Preis zum ersten Mal vergeben wurde. Ich sehe den Preis aber nicht als eine persönliche Auszeichnung, sondern als eine Würdigung des Ehrenamtes und des Engagements der Arbeit des ganzen Teams von L’appel Deutschland e.V., was ja zum großen Teil aus Studenten besteht. Es fühlt sich schon gut an, für die Arbeit die wir geleistet und den Aufwand den wir betrieben haben, diesen Preis zu erhalten.


NGO-Dialog:
Wie kam es dazu? Sie waren ja einer von über 100 Bewerbern?

Christoph Lüdemann: Der Vorschlag kam von einem unserer ersten Unterstützer, Tillmann Neinhaus. Ich hatte mal mit ihm über den Preis gesprochen, dachte aber nicht, dass er mich wirklich vorschlägt, geschweige denn, dass ich den Preis gewinne.


NGO-Dialog:
Als junger Mensch hat man ja viele Ideen, nicht alle werden mit Afrika zu tun haben und schon gar nicht mit aktiver Entwicklungshilfe. Wie kam es bei Ihnen dazu?

Christoph Lüdemann: Es gab jetzt nicht den Tag der Entscheidung, aber ich diskutierte oft mit einem Schulfreund, und uns war klar, dass wir für Veränderungen konkret etwas tun müssen. Mehr wurde es erst, als wir einen Studenten aus Ruanda trafen, der in Bochum studierte und der uns von seiner Heimat erzählte. Wir beschlossen daraufhin spontan, mit ihm nach Ruanda zu fahren und blieben für drei Monate dort. Gar nicht mit der Perspektive etwas gründen zu wollen, aber die Erlebnisse, die wir dort vor Ort hatten, führten dann zu ersten Projekten und 2013 schließlich zur Gründung von L’appel Deutschland.


NGO-Dialog:
Sie sind verantwortlich für das Fundraising von L’appel und haben im letzten Jahr 135.000 Euro eingeworben. Ein schöner Erfolg für Sie.

Christoph Lüdemann: Nein, das ist natürlich eine Teamleistung in Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising. Momentan sind wir 36 Mitglieder. Die Fluktuation ist, da wir alle noch studieren, natürlich hoch. Wir alle haben ein Leben nebenbei, und wir machen das alles ehrenamtlich. Da genügend Leute zu finden, die sich für eine Sache motivieren lassen, die sie teilweise noch nicht mal vor Augen hatten, ist nicht einfach.


NGO-Dialog:
Im vergangenen Jahr waren Sie auch in Sierra Leone aktiv. Als Medizinstudent wissen Sie um die Gefährlichkeit von Ebola. Sie tragen da als junger Mensch eine hohe Verantwortung für ihre Aktiven vor Ort. Ist das nicht kritisch?

Christoph Lüdemann: Das stimmt, das ist immer etwas, was man sich bewusst machen muss. Es geht nicht nur um Zeit und Geld, die man investiert, man geht dort auch ein Risiko für andere ein. Aber wenn man Entwicklungshilfe in armen Ländern machen will, ist das der Preis, den man zahlt. Aber das heißt nicht, dass wir unsere Leute blind da runter schicken. Wir haben uns zum Beispiel intensiv mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin vor unserem Einsatz beraten.


NGO-Dialog:
Als junge Organisation haben Sie, wenn man Ihren sehr wirkungsorientierten Jahresbericht liest, viel dazugelernt. Welche Schwierigkeiten mussten Sie überwinden?

Christoph Lüdemann: Natürlich passieren Fehler, die für ein junges Entwicklungshilfe-Start-up auch normal sind. Das größte Problem ist die Einschätzung der zukünftigen Wirkung des Projektes. Da fehlen uns einfach die Erfahrungen. Man schaut da auf Learnings von anderen Organisationen.


NGO-Dialog:
Im letzten Jahr gewannen Sie Band Aid für sich, die Ihnen über 75.000 Euro zur Verfügung stellten. Wie haben Sie das geschafft?

Christoph Lüdemann: Das war ein Zufall. Nicolas Aschoff ist erst seit kurzer Zeit im Team und war beim Ebola-Ausbruch in Sierra Leone. Er kam mit dem Verdacht auf eine Ebola-Infektion nach Deutschland zurück, was sich dann als Malaria herausstellte. Er galt damit aber als erster deutscher Ebola-Fall und durch diese Aufmerksamkeit wurde er von Marcus Lanz zum ZDF-Jahresrückblick eingeladen. Dort lernte er dann Campino von den Toten Hosen und Bob Geldorf persönlich kennen, und so kam es dann zur Unterstützung durch „Band Aid 30“. Nic kam also auf uns zu und leitet mittlerweile den Bereich Sierra Leone bei uns.

Christoph Lüdemann in Ruanda 2014
Christoph Lüdemann in Ruanda, 2014

NGO-Dialog: Sie hätten es sich bei der Auswahl, wo Sie helfen, auch leichter machen können. In Köln gibt es bestimmt auch viel zu tun. Warum Afrika?

Christoph Lüdemann: Natürlich haben wir vor unserer Haustür auch Probleme, die angepackt werden müssen. Und es gibt sicher auch noch ärmere Länder als Ruanda. Aber wenn man sich ständig Gedanken macht, was ist das Schlimmste oder das nächste, wird man nie beginnen etwas zu ändern. Wichtig ist die Entscheidung es einfach zu machen.


NGO-Dialog:
Interessanterweise haben sie als kleiner Verein ein eigenes Stipendienprogramm. Müssen sie da jedes Jahr neue Spenden für laufende Stipendien aufbringen oder wie funktioniert das?

Christoph Lüdemann: Nein, der Dreh- und Angelpunkt des Programms ist es, dass es sich später selber tragen soll. Die Idee dazu kommt von der Uni Witten, die einen umgekehrten Generationenvertrag hat. Das heißt, Studenten die sich die Studiengebühren nicht leisten können, zahlen, sobald sie im Beruf stehen, über zehn Jahre zehn Prozent ihres Gehalts an die Studierendengesellschaft zurück und werden dafür während des Studiums unterstützt.

Diese Idee haben wir für die berufliche und universitäre Ausbildung in Ruanda umgesetzt. Es soll so funktionieren, dass ein Förderer aus Deutschland einen Stipendiaten aus Ruanda fördert, und dieser Stipendiat verpflichtet sich dann, den Betrag, den er erhalten hat, bei Berufseintritt einkommensabhängig wieder zurückzuzahlen. Allerdings nicht an den Förderer, sondern an den nächsten Stipendiaten. So kann man als Spender nicht nur einen Stipendiaten, sondern theoretisch eine ganze Generation unterstützen, weil das Geld im System bleibt. Unser Ziel ist es 200 bis 300 Studenten oder Auszubildende im Jahr zu finanzieren.


NGO-Dialog:
Kann das denn funktionieren?

Christoph Lüdemann: Wir haben in Sierra Leone gerade die Erfahrung gemacht, dass es ganz gut ist, diesen Generationenvertrag mit Institutionen wie zum Beispiel einem Krankenhaus zu verbinden. Dort behält das Krankenhaus einfach ein wenig Verdienst zurück und zahlt es an den nächsten Stipendiaten aus.


NGO-Dialog:
Wer kann Stipendiat werden?

Christoph Lüdemann: Noch sind die Kriterien relativ locker. In Sierra Leone sind es vor allem Pflegekräfte, in Ruanda haben wir angehende Wirtschaftswissenschaftler und Verwaltungswissenschaftler als Stipendiaten, aber auch 12 Näherinnen und einen Elektriker.


NGO-Dialog:
Kommt diese Ausbildung dann auch Ihren Projekten zugute?

Christoph Lüdemann: Richtig, ein sehr positiver Nebeneffekt ist zum Beispiel, dass der Elektriker, der seine Ausbildung vor einem Jahr abgeschlossen hat, nicht nur mit seinem neuen Job den nächsten Stipendiaten bezahlt, sondern sich auch bereit erklärt hat, in unserer Krankenstation in Ruanda die elektrischen Anschlüsse zu legen.


NGO-Dialog:
Das heißt, das Programm kann exponentiell wachsen. Sie brauchen nur eine einmalige Anschubfinanzierung durch Spenden?

Christoph Lüdemann: Theoretisch ja, aber man muss schon herausrechnen, dass auch Studenten abbrechen oder sich entschließen, nichts zurückzuzahlen und einfach verschwinden. Das ist der menschliche Faktor. Wir machen damit keinen Profit. Wir wollen, dass das Geld möglichst lange in diesem Kreislauf der Ausbildung bleibt.


NGO-Dialog:
Wenn Sie einen Wunsch hätten, was sollte demnächst bei L’appel passieren?

Christoph Lüdemann: Ganz klar, die Verstärkung des Teams. Wir sind zwar viele Leute, die aber keine Vollzeit arbeiten können. Also suchen wir Menschen, die sich einbringen, die wissen, wie Kommunikation oder Buchhaltung funktionieren, eventuell auch einen Beruf haben und sich bei uns engagieren möchten.


NGO-Dialog:
Auch im Fundraising?

Christoph Lüdemann: Na klar, ganz besonders da.

(Bilder: Jacob Skatulla, L`appel Deutschland)

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