INTERVIEW

Generation 50plus – viel umworben, aber selten verstanden

Thomas KramerLängst wird die Zielgruppe der über 50-Jährigen als marktwirtschaftlich relevant eingeschätzt. Ihre hohe Kaufkraft und eine zunehmende Aktivität auch im Alter machen die Best Ager interessant. Entsprechend werben Unternehmen, Verbände und Institutionen um deren Aufmerksamkeit. Rund 33 Millionen Deutsche sind derzeit über 50 Jahre alt und aufgrund des demografischen Wandels wird ihr Anteil an der Gesellschaft in den nächsten Jahren noch steigen. Trotzdem oder gerade deshalb ist der Umgang mit der Zielgruppe 50plus so schwierig. Keiner weiß so richtig, wie sie anzusprechen und zu aktivieren ist. Wir sprachen mit dem Kommunikationsberater Thomas A. Kramer über die zielgruppengerechte Mitgliederwerbung in der Generation 50plus .

NGO-Dialog: Herr Kramer, in Ihrem kürzlich veröffentlichten Beitrag in der Zeitschrift „Verbände Report“ sagen Sie, die Mitglieder- und Spendenwerbung in der Zielgruppe 50plus erfolge nicht punktgenau. Haben wir es uns mit dieser Zielgruppendefinition zu einfach gemacht?

Diese Frage kann ich mit einem klaren „ja“ beantworten. Wie wir mittlerweile alle wissen, gelten die „50plus" als kaufkräftig, konsumfreudig, qualitätsbewusst und bergen ein bedeutendes ökonomisches Potenzial. Das ist natürlich eine sehr vage Definition, wenn das einzig verbindende Kriterium das Alter ist und dieses sich auch noch vom 50. bis 100. Lebensjahr zieht. Dann könnte man genauso gut eine Zielgruppe „30plus" definieren. Der gemeinsame Nenner, die große Zahl an Lebensjahren, muss ja nicht bedeuten, dass gleiche Bedürfnisse und Vorstellungen herrschen. Zudem ist es schwierig, das „gefühlte Alter" in ein Kommunikationskonzept zu integrieren. Die 50- bis 70-Jährigen fühlen sich heute durchschnittlich 10 bis 15 Jahre jünger als sie biologisch sind. Das Problem, das die Verbände und Organisationen haben, ist also, dass eine zielgruppengerechte Ansprache im Fundraising eben nur dann funktioniert, wenn man die Zielgruppe genau anschaut, sie analysiert, sie detailliert und werteübergreifend betrachtet. Wenn man heraus findet, was diese Menschen bewegt und was sie verbindet. Dafür ist die Zielgruppendefinition „50plus" einfach zu grob.

NGO-Dialog: Untersuchungen aus dem Jahr 2007 zeigen, dass längst mehr Silver Surfer als unter 20-Jährige das Internet nutzen, um zu shoppen, Überweisungen zu tätigen oder sich zu informieren. Erreicht man die Generation 50plus eher im Internet, als in der Einkaufspassage?

Mittlerweile sind mehr als 50% der über 50-Jährigen im Internet aktiv. Hauptsächlich sind es die 50-60-Jährigen, die ja oft noch berufstätig sind und schon aus diesem Grund im Internet aktiv. Diese Menschen erreicht man natürlich am effizientesten über dieses Medium. Darüber hinaus lässt sich feststellen, dass diese Generation das Internet anders nutzt, als es jüngere Menschen tun, nämlich vielmehr, um sich zu informieren und um zu recherchieren, zu verifizieren, was sie anderswo erfahren haben. Und zur Kommunikation, Stichwort E-Mail und zunehmend Social Media.

Klar nutzen über 50-Jährige auch andere Möglichkeiten des Web 2.0, aber doch wesentlich eingeschränkter als es 20-Jährige tun. Wenn man die Zielgruppe „50plus" also wirklich erreichen will, dann sollte man klassische und Neue Medien miteinander kombinieren. Denn in dieser Generation wird viel gelesen, sehr viel ferngesehen – aber das Gelesene und Gesehene eben auch stark verifiziert. So werden beispielsweise auch die Mailings im Internet nachrecherchiert. Es gibt Untersuchungen, die herausgefunden haben, dass gerade Frauen, die ja im Fundraising sehr oft die Entscheider sind, sehr häufig auf die Homepage gehen und dort recherchieren, ob das, was sie in der Werbung gelesen haben, tatsächlich stimmt.

Die Generation „50plus" lehnt ja eigentlich Werbung ab, steht ihr zumindest kritisch gegenüber. Sie ist aber gern besser informiert, von daher werden bevorzugt Informationsmaterialien gelesen. Die werbliche Ansprache schreckt sie eher ab. Will man den Best Ager erreichen, sollten also mehrere Medien miteinander verbunden werden. Ganz wichtig ist es, auf die Homepage oder auf tiefergehende Infos im Netz oder auch im Printbereich zu verweisen, damit sich der Adressat dort tiefer informieren kann.

NGO-Dialog: Via Newsletter, E-Mail, Web 2.0-Plattformen strömen die Informationen, nur ein Bruchteil davon erreicht die Adressaten wirklich. Welche Ansätze muss man verfolgen, um zu einer so heterogenen und informationsaktiven Zielgruppe, wie den heutigen Silver Surfern, durchzudringen?

Der Informations-Overload ist ein großes Problem der heutigen Zeit. Dagegen bauen wir Barrieren auf, denn 6.000 Botschaften am Tag, verkraftet einfach kein Mensch. Dadurch, dass die Generation 50plus zudem sehr informationsorientiert ist, erhält sie noch mehr Informationen und Botschaften als der Durchschnitt. Da wird natürlich stark ausgesiebt und nur ein Bruchteil der Botschaften (knapp 3%!) kommt tatsächlich beim Adressaten an. Die Überlegung, wie sich diese Zielgruppe nun tatsächlich erreichen lässt, so dass unser Angebot zu den 3% der aktivierenden Botschaften gehört, bringt uns wieder zurück zu deren Ansprüchen und ihrem Selbstverständnis. Für eine punktgenaue Ansprache ist es wichtig, sich mit der Denkweise, der Geschichte, der Prägung der Zielgruppe zu befassen. Mit erinnerungsstarken, weil positiv besetzten, Stimuli aus der Vergangenheit kann man die Awareness der Zielgruppe generieren. Das heißt, wir müssen die Menschen beim sekundenschnellen Überfliegen, beim Scrollen, beim kurzen Reinhören mit Interesse gewinnenden Stimuli packen und ihre kurze Aufmerksamkeitsspanne erhalten.

Aus dem Neuromarketing ist bekannt, dass man die größte Aufmerksamkeit generiert, wenn Altes mit Neuem kombiniert wird. Bekannten und vertraute Reize mit neuen Inhalten zu mischen, das ist das Rezept für eine gelungene Ansprache. Und hier wird auch deutlich, dass es überhaupt nicht sinnvoll ist, alle Menschen, die die 50 überschritten haben, auf die gleiche Art und Weise anzusprechen. Weil natürlich jede Generation und jede Sub-Generation ganz andere Motivationen antreibt, sie ganz andere Erkenntnisse und Erfahrungen gesammelt hat. Und was bei mir - ich bin Ende 50 - positiv besetzt ist, muss oder kann bei einem 70-Jährigen nicht so sein. Das bedeutet, dass wir uns genauer mit der Zielgruppe beschäftigen und herausfinden müssen, was sie jetzt beschäftigt und was sie geprägt hat. Diese Inhalte müssen zu einer interessanten, neuen Botschaft verbunden werden.

NGO-Dialog: Ein soziologischer Ansatz der Zielgruppen-Analyse, ist das Kohorten-Prinzip. Menschen, die bedeutsame Lebensereignisse zeitgleich erfahren haben, werden in einer Gruppe zusammengefasst. Könnten Sie uns das an einem Beispiel aus der Fundraising-Praxis erklären?

Der Kohorten-Ansatz geht davon aus, dass es in jeder Generation bestimmte Ereignisse gibt, die diese Gruppe gemeinschaftlich, aber auch im Unterschied zu anderen Gruppen geprägt haben. Die Generation 50plus ist primär durch das Wirtschaftswunder geprägt, die prosperierende Zeit nach dem Krieg. Das bedeutete, dass diese Generation nie wirklich wirtschaftliche Schwierigkeiten kannte, immer über Geld verfügte, studieren oder den Beruf ergreifen konnte, den sie wollte, zumindest in Westdeutschland war das so. In ihrer Jugend- und Studentenzeit gab es absolute Vollbeschäftigung. Das zweite prägende Kriterium für diese Generation, da kommt die Kohorte ins Spiel, ist die 68er-Bewegung: die Revolte gegen die Kriegsgeneration, gegen Vergessen, gegen Restauration und vieles mehr. Diese Zeit hat die Menschen geprägt, den einen mehr, den anderen weniger. Die Generation der 68er ist sozusagen „gegen den Strich gebürstet“, dazu gehört auch, dass sie beispielsweise Werbung kritisch sieht, diskutieren möchte, an Neuem interessiert ist. Das Buch „Die geheimen Verführer“ von dem US-amerikanischen Konsumkritiker Vance Packard war prägend für diese Zeit. Werbung wurde und wird noch heute von dieser Generation als verwerflich angesehen, ganz anders, als es die heute 20-Jährigen tun. Dies ist nur ein Beispiel für Wissen, das man haben muss, um diese Zielgruppe erfolgreich anzusprechen.

Wie bereits erwähnt, stehen die meisten der heute 50-65-Jährigen noch mitten im Arbeitsleben. So kommt es, dass sich etwa 85% der über 50-Jährigen in der Werbung nicht widergespiegelt sehen. Das Bild von glücklichen Rentnern, die ihr Leben mit den Enkeln am Strand verbringen, das in der Werbung vermittelt wird, entspricht nicht der Realität. Das ist einfach ein dummes Klischee. Es muss also gegen ein authentisches Bild ausgetauscht werden, auch in der Spendenwerbung. Die Generation 50plus muss differenzierter gesehen werden. Das könnte ein Problem vieler Organisationen werden, wie beispielsweise für das DRK, deren Hauptspender momentan noch der Nachkriegsgeneration entstammen. Deren Bild vom DRK ist anders geprägt, als von meiner Kohorte. Wenn die Zielgruppen-Ansprache nicht „spezifiziert“ wird, dann kommen solche Organisationen einfach nicht an die zahlungskräftigen Best Ager heran und haben irgendwann oder bereits jetzt ein Problem.

Menschen aus ihrer Perspektive heraus ansprechen, das ist die Herausforderung beim Fundraising. Wenn ich noch einmal auf die 68er zurückkommen darf, die ja bekannt dafür sind, dass sie offen für Veränderung sind, oftmals selbst engagiert waren. Diese Menschen muss man aus diesem Gedankengut abholen und dann zu dem Neuen, zu den Produkten, auf die ich sie lenken möchte, hinführen. Wenn man also weiß, dass diese Zielgruppe mit Werbeangeboten bombardiert wird, dann muss das Angebot aus dieser Masse herausstechen. Das könnte in diesem Kontext also bedeuten, den Menschen direkt anzusprechen: „Du hast damals für die und die Sachen gekämpft, dich engagiert. Wir führen das jetzt in anderer Art fort. Und dazu brauchen wir deine Hilfe.“ Dann erreicht man denjenigen auch. Das Problem war doch bisher, dass man sich nicht die Mühe gemacht hat, die Zielgruppe genauer aufzugliedern. Gute Layouts und gute Texte nützen wenig, wenn man nicht versteht, wie die Zielgruppe „tickt“. Wissenschaftliche, etwa soziologische und historische Forschungsergebnisse, helfen dabei, das herauszufinden.

NGO-Dialog: Könnten Sie für unsere Leser zusammenfassen, welche Schritte bei einer passgenauen Zielgruppen-Ansprache der 50plus Ihrer Meinung nach sinnvoll sind?

Zunächst muss man die Zielgruppe genau kennen, um sie punktgenau ansprechen zu können, dafür ist eine Kommunikations(!) -Datenbank unabdingbar. Sind diese technisch-inhaltlichen Voraussetzungen gegeben, so sollte man sich folgende Fragen stellen: In welcher Zeit wurde die Zielgruppe primär geprägt? Welche gesellschaftspolitischen und historischen Ereignisse spielten eine Rolle? Und wie kann ich diese via Stimuli für die Zielgruppen-Ansprache nutzen? Gleichzeitig muss man wissen, über welche Medien die Zielgruppe erreichbar ist und sich überlegen, wie sich unterschiedliche Medien (beispielsweise Print- und Online-Medien) optimal miteinander verbinden lassen.

Wenn das Konzept so weit gediehen ist, kommt die Frage: Wie kann ich dem Informationsbedarf grafisch und inhaltlich gerecht werden? Nicht vergessen sollte man dabei, dem Adressaten Möglichkeiten zur Verifizierung anzubieten (etwa: wo kann sich der Adressat näher informieren?). Eine implizite Ansprache und die Verbindung zwischen neuen (unbekannten) und alten (bekannten) Inhalten gewährleistet maximale Aufmerksamkeit des Lesers. Auch der berühmte Blick über den Tellerrand lohnt sich, denn oftmals warten unterschiedlichste Wissenschaftszweige mit Erkenntnissen auf, die man sich zunutze machen kann. Also auch auf das hören, was beispielsweise die Germanisten, Linguisten und Historiker wissen!

Abschließend möchte ich betonen, dass Typologien sicherlich helfen, um Menschengruppen voneinander zu unterscheiden. Je mehr wir jedoch über unsere Ansprechpartner erfahren, desto treffsicherer können wir sie kontaktieren. Hören Sie also nie auf, ihre Zielgruppen zu analysieren, vor allem bleiben sie in stetem Kontakt, im Dialog mit den Menschen, die Ihre Organisation unterstützen sollen.

Herr Kramer, wir bedanken uns bei Ihnen für dieses Gespräch.

Thomas A. Kramer arbeitet als freier Kommunikationsberater mit Schwerpunkt Relationship Management in Berlin. Zuvor war er Geschäftsführer namhafter CRM-Agenturen wie Euro RSCG direct, Frankfurt, FCB/Wilkens direct, Freihafen, heute: Tribal DDB, Hamburg etc.

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