INTERVIEW

Straßenwerbung: „Der Anfang einer Beziehung“

Ohne Spenden würde es viele gemeinnützige Organisationen nicht geben. DieLasse Künzer sogenannte Straßenwerbung – oder „Direct Dialog“ bzw. „Face-to-Face“ wie es im Fundraising heißt – hat in den vergangenen Jahren als Instrument zur Spendenwerbung deutlich zugenommen.  Dabei informieren z. B. Vereine und Stiftungen an einem Stand in der Fußgängerzone oder bei einer Veranstaltung über ihre Arbeit und werben um eine Fördermitgliedschaft oder Dauerspende. Wir haben Lasse Künzer, der als Fundraiser für verschiedene NGOs bereits zahlreiche Straßenwerbung-Aktionen geplant, mitgestaltet und umgesetzt hat, nach dem Erfolg dieses Fundraising-Instruments gefragt. 

NGO-Dialog: Warum investieren aus Ihrer Sicht NGOs in den Direct Dialog?

„Face-to-Face“ oder „Direct Dialog“ kann ein guter Weg sein, Spender zu gewinnen. Das Spannende und das Schöne am „Face-to-Face“: Es ist ein Weg, Dauerspender für NGOs zu gewinnen, d.h. Personen die regelmäßig – monatlich, vierteljährlich oder jährlich – einen bestimmten Betrag für die Organisation spenden. Letztlich liegen diese Dauerspenden ganz oft im Kern einer Fundraising-Strategie. Für viele Organisationen tragen die Dauerspender zu der finanziellen Stabilität und Sicherheit bei. So viele Wege, Dauerspender zu gewinnen, gibt es eigentlich nicht. Es braucht normalerweise viel Zeit, die Spender aufzubauen, die bereit sind, eine Dauerspende zu geben.

Direct Dialog hat ein einziges Ziel: Menschen anzusprechen, sie davon zu überzeugen, Dauerspender für eine Organisation zu werden. Und wenn eine Face-to-Face-Aktion gut gemacht ist, gut geplant, durchgeführt, kontrolliert und weiter optimiert wird, dann kann dieses Fundraising-Instrument auch ein profitabler Weg der Dauerspendergewinnung sein und auch ein Weg, der günstiger ist als viele andere Kanäle.

NGO-Dialog: Gut geplant und umgesetzt, vielleicht auch strategisch verankert in der Fundraising-Strategie einer Organisation – wie funktioniert die Straßenwerbung? 

Meiner Erfahrung nach ist es zunächst wichtig, das Thema Straßenwerbung in der eigenen NGO ganz offen zu diskutieren, weil es ein Fundraising-Instrument ist, das immer wieder kritisch betrachtet wird, auch negative Emotionen hervorruft und kritische Stimmen provoziert. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass die Organisation, die mit dem Gedanken spielt, so was zu tun, einfach intern gut darüber diskutiert: „Wollen wir das? Können wir das? Passt es zu unserer Organisation? Trauen wir es uns zu, eine Face-to-Face-Aktion auf einem hohen Niveau umzusetzen? Oder gibt es zu viele negative Stimmen von Stake-Holdern, die sagen, wir wollen es als NGO nicht?“

Bei den „Ärzten ohne Grenzen“, wo ich vier Jahre gearbeitet habe, wurde länger diskutiert, bevor man den Schritt gegangen ist, zu sagen, wir wollen es testen. Es hat seine Zeit gebraucht, aber ich glaube, im Nachhinein war diese Zeit gut, weil sie dafür gesorgt hat, dass die Organisation für diese Form der Spendenwerbung bereit war. Ich glaube, das ist erstmal sehr, sehr wichtig.

Zur Umsetzung: Eigentlich geht es um ein Verkaufsgespräch. Es geht darum, einen Passanten auf der Straße anzuhalten und ihn zum Zuhören zu bewegen. Das ist der erste Schritt: Personen zum Anhalten zu bewegen, diese zu begeistern. Im Prinzip kann man auch auf der Straße nach der bekannten AIDA-Formel (attention-interest-desire-action) vorgehen. Es gilt: Menschen dazu zu bewegen, dass sie stehen bleiben und sich dafür interessieren, einem zuzuhören und zusagen: „OK, ich nehme mir jetzt eine Minute oder auch zwei oder fünf, um jemandem zuzuhören, der mit mir spricht.“

In diesen fünf Minuten geht es dann darum, Passanten zu begeistern und diese von den Visionen und Werten der eigenen Organisation zu überzeugen. Auf der Straße sollte die Thematik nicht zu komplex sein, weil man bei diesem Instrument wenig Zeit hat. Es muss klar auf dem Punkt gebracht sein, was machen wir als NGO? Wofür stehen wir? Warum ist es so wichtig, uns zu unterstützen? Welche Rolle spielen die Spender bei der Lösung dieses Problems? Das ist für mich dann schon die Überleitung zum nächsten Punkt nach der AIDA-Formel, nämlich dem Wunsch, tatsächlich zu helfen. In der Abschlussphase eines Gesprächs sollte es um die Möglichkeiten gehen, wie die NGO in Form einer Dauerspende unterstützt werden kann und wie das funktioniert.

Die Themen sind so unterschiedlich wie die Organisationen selbst. Aus meiner Erfahrung gibt es Kampagner, Rekruter, Dialoger – wie auch immer man die Mitarbeiter auf der Straße nennt –, die phantastisch beispielsweise beim Thema „Mangelernährung“ reden können,  weil sie dahinter stehen, weil sie sich damit identifizieren. Und es gibt Mitarbeiter, die  sich gut mit den Themen  Impfungen oder Flucht und Vertreibung auskennen – ich glaube, es ist wichtig, dass das Thema zu der Organisation passt, aber auch genauso zu der Person, die auf der Straße steht. Ich glaube, dass die Straßenwerbung gerade bei gemeinnützigen Organisationen nicht funktioniert, wenn man als Mitarbeiter auf der Straße irgendwelche Themen aufgedrückt kriegt, die einen de facto selber überhaupt nicht interessieren, mit denen man sich nicht identifizieren kann. Denn das ist genau die Ausstrahlung, die man meines Erachtens braucht, um Menschen auf der Straße zu begeistern und zu überzeugen. Das Schlagwort heißt Authentizität – die Identifikation mit den Visionen und den Zielen einer NGO, die man vertritt.

NGO-Dialog: Herr Künzer, Sie haben über die interne Überzeugung gesprochen – dass es eine Weile dauert, bis eine Organisation sich für die Face-to-Face-Werbung entscheidet, aber es ist natürlich auch ein Kostenfaktor für viele NGOs. Was kostet eine Direct-Dialog-Aktion? Womit hat man da als Einsteiger zu rechnen?

Das ist sehr unterschiedlich. Grundsätzlich gibt es zwei Arten, wie man als Organisation eine Face-to-Face-Kampagne realisieren kann. Entweder man sucht sich eine spezialisierte Agentur – es gibt eine Hand voll Agenturen in Deutschland, mit denen man in diesem Bereich zusammenarbeiten kann – oder man entscheidet sich, das Inhouse zu machen, in eigener Regie durchzuführen. Beides funktioniert. Man darf nicht vergessen, dass ein externer Dienstleister Kosten verursacht. Das liegt in der Natur der Sache. Einerseits  kann das eine Aktion teurer machen, andererseits kauft man sich damit auch die Expertise ein, die man möglicherweise selber nicht hat, sowohl wenn es um die Planung, die Durchführung und um die Kontrolle geht. Wenn man es selber macht, und es gut macht, und die Expertise selber im Hause hat, dann kann es natürlich kostengünstiger sein. Aber dann ist auch klar, dass man eine Person im Haus braucht, die sich richtig intensiv damit beschäftigt.

Zu den Kosten:  Das ist eine sehr schwierige Frage, weil es sehr von Organisation zu Organisation schwankt und von der Art und Weise, wie man das aufgesetzt hat, z.B. von den Kosten der eigenen Mitarbeiter, von den Verträgen, die man mit Dienstleistern hat, abhängt.

Es gibt alles zwischen 60 – 200 und mehr Euro pro Dauerspender und ob sich das dann lohnt, ist abhängig von der Frage, was kostet mich ein Dauerspender auf den anderen Kanälen. Wenn mich ein Dauerspender mit einem Kaltmailing 300 Euro kostet ist so eine Face-to-Face-Aktion  im Vergleich verhältnismäßig günstig. Entscheidend, finde ich, ist die Frage, wie verteilt es sich auf den Life-Time-Value, den Lebenswert eines Spenders, dass man 3-5 Jahre, vielleicht auch 10 Jahre nach vorne schaut. Und da komme ich auf einen ganz entscheidenden Punkt bei Face-to-Face-Kampagnen – die Absprungrate ist bei Straßenwerbung oft ein großes  Problem. Die Organisation gewinnt Spender auf der Straße und ist erstaunt, dass es in dem Moment auch funktioniert. Und eine kurze Zeit später ist die Organisation noch mehr erstaunt, dass die Kampagne längerfristig oder auch mittelfristig gar nicht profitabel ist, weil unheimlich viele Spender sofort wieder verloren werden. Das heißt, sie unterschreiben auf der Straße und sind vielleicht schon vor der ersten Abbuchung oder nach einem halben Jahr wieder weg. Das kann die Profitabilität einer Spendenkampagne total kaputt machen. Das heißt, die Frage, wie spreche ich wen an, d.h. das Niveau der Ansprache ist enorm wichtig, damit die Spender nicht unterschreiben und dann sofort weg sind. Wie begeistere ich die Person auf der Straße wirklich und wie setze ich meine Folgekommunikation auf, um diese Spender dann auch langfristig zu halten. Das ist für mich der entscheidende Punkt.

Und hier machen auch viele Organisationen tatsächlich Fehler. Sie gewinnen Spender und verlieren sie sofort auf diesem Weg, und das ist schlecht!

NGO-Dialog: Häufig wird man auf der Straße von Zeitungs-Abo-Verkäufern angesprochen. Offensichtlich versprechen sich die Verlage sogar in den heutigen für sie nicht gerade leichten Zeiten einen Erfolg davon. Ist Straßenwerbung ein Erfolg versprechendes Instrument im Fundraising?

Ich kann natürlich nicht für die Zeitungsverlage sprechen, ich kann nicht abschätzen, wie profitabel es für die ist. Ich kann auch nicht für alle Organisationen sprechen. Ich kann nur aus meiner Erfahrung sprechen und sagen, wenn man Face-to-Face tatsächlich gut umsetzt – und eine gute Umsetzung ist abhängig von einer Reihe verschiedener Kriterien, wobei für mich tatsächlich die Mitarbeiter auf der Straße das A und O sind, denn sie sind in dem Moment die Botschafter meiner Organisation. Insofern ist das Thema Authentizität und Identifikation für mich hier der springende Punkt. Wenn ich eine Face-to-Face-Kampagne gut umsetze und Spender in dem Moment begeistere und eine erfolgreiche Folgekommunikation realisiere, kann die Straßenwerbung ein Erfolg versprechender Weg der Spendenwerbung sein. Weil ich Dauerspender gewinne und weil es für die Organisation zudem kostengünstiger ist als andere Wege der Dauerspendergewinnung. Und weil es auch ein Weg sein kann, perspektivisch treue und engagierte Unterstützer für die eigene Organisation zu gewinnen.

Man darf nicht den Fehler machen, und denken, dass nach der Ansprache auf der Straße alles schon in trockenen Tüchern ist, sondern es ist lediglich der Anfang der Beziehung zwischen Spender und Organisation. Danach muss die Beziehung mit dieser Person aufgebaut werden. Und das braucht Zeit. 

NGO-DialogHerr Künzer, herzlichen Dank für das Gespräch und für Ihre Zeit!

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