INTERVIEW

„Es geht um Impact, nicht nur um schöne Geschichten.“

Die Gründer von Perspective Daily: Bernhard Eickenberg, Maren Urner, Han Langeslag (v. l. n. r.).
Die Gründer von Perspective Daily: Bernhard Eickenberg, Maren Urner, Han Langeslag (v. l. n. r.).

Bad news is good news. Dieser Medienlogik wollen Dr. Maren Urner und ihre Mitstreiter etwas entgegensetzen – den Konstruktiven Journalismus. Sie wollen nicht nur über Probleme berichten, sondern auch Lösungen diskutieren. Um das zu schaffen, braucht es aber erstmal 12.000 Unterstützer für ihr Online-Medium Perspective Daily, das sie per Crowdfunding schaffen wollen.


NGO-Dialog:
Frau Dr. Urner, wie kamen Sie auf die Idee, dass Journalismus konstruktiver werden muss?

Dr. Maren Urner: Ich studierte damals mit meinem Kollegen Han Langeslag in London, und wir fragten uns am Küchentisch, warum wir Menschen so wenig tun, obwohl die Herausforderungen vor denen wir stehen, so groß sind. Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit, Ressourcenknappheit, über all diese Themen konnte man sich durchaus informieren, aber eben nicht auf Seite eins. Dabei leisten Menschen und Organisationen bereits großartige Arbeit um diese Probleme zu lösen. Doch wir erfahren viel zu selten davon, denn wir bekommen unsere Informationen zu einem großen Teil aus den Medien, die sich häufig auf negative Einzelereignisse fokussieren. Das führt langfristig bei uns nicht nur zu einem zu negativen Weltbild, sondern kann uns auch in den Zustand der sogenannten gelernten Hilflosigkeit versetzen: Wir haben dann gelernt, dass wir selbst nichts mehr tun können um die Welt zu verbessern. Bei diesen Gesprächen stellten wir also fest: Wenn wir das ändern wollen, dann müssen wir bei den Medien anfangen.


NGO-Dialog: Sie stießen auf das Konzept des Konstruktiven Journalismus. Was ist das?

Dr. Maren Urner: Konstruktiver Journalismus ist mittlerweile eine internationale Bewegung. Seit Dezember 2015 gibt es auch einen Lehrstuhl in den Niederlanden. Die zentrale Frage des Konstruktiven Journalismus ist: Wie kann es weitergehen? Dabei spielt das Aufzeigen von Zusammenhängen und Hintergründen eine wichtige Rolle. Ziel ist es, mehr Verständnis und ein realistisches Weltbild beim Leser zu schaffen. So kann sich auch die Handlungsbereitschaft erhöhen – weg von Hoffnungslosigkeit und Zynismus.


NGO-Dialog: Sie wollen also Lösungen anbieten?

Dr. Maren Urner: Jein. In den wenigsten Fällen wird es die eine Lösung geben. Die Welt ist nicht schwarz-weiß und Konstruktiver Journalismus bedeutet auch Grautöne aufzuzeigen. Die meisten Menschen wollen nicht eine Lösung serviert bekommen, sondern verschiedene Ansätze für Lösungen, am besten auf der Basis von Daten und Erfahrungen, konstruktiv diskutieren.


NGO-Dialog: Sehen Sie einen Grund, warum klassische Medien diesem Anspruch nicht gerecht werden können? Liegt es an der Beschleunigung der Medien, die wir täglich beobachten und die sich durch elektronische Medien noch verstärkt hat?

Dr. Maren Urner: Die Beschleunigung spielt auf jeden Fall eine große Rolle. Unsere Nachrichtenkriterien wie Außergewöhnlichkeit oder Aktualität gibt es ja schon lange. Der Focus liegt in vielen Medien weniger auf Dingen, die sich langfristig entwickeln. Was sich verändert hat, ist die ständige Verfügbarkeit von medialen Inhalten. Und in diesen Häppchen, die man da meist serviert bekommt, können keine Zusammenhänge erläutert werden. Online geht es vor allem darum Klickzahlen zu generieren. Da liegt Teil des Problems im System, nämlich den Finanzierungsmodellen. Neben der klassischen Werbung wird zunehmend Native Advertising, also gesponserte Inhalte, als Einkommensquelle genutzt. Von unabhängiger Berichterstattung und Recherche kann da gar keine Rede sein.


NGO-Dialog: Wollen Sie deshalb mit Perspective Daily ein bewusst werbefreies Medium schaffen?

Dr. Maren Urner: Das spielt eine ganz wichtige Rolle. Wir werden unabhängig von Werbekunden sein. Stattdessen sind wir abhängig von unseren Mitgliedern, den Lesern, die uns finanzieren. Untersuchungen zeigen, dass Produkte von Kunden, die in Medien Anzeigen schalten, dort auch im Mittel positiver dargestellt werden. Da wird eine Einflussnahme sichtbar. Gesponserte Inhalte oder Native Advertising sind für uns der Wolf im Schafspelz.


NGO-Dialog: Doch wie wollen Sie dann Perspective Daily finanzieren? Sie können das Medium ja nicht enorm teuer machen, dann schließen Sie ja viele Leser wieder aus. Wird es ein closed shop?

Dr. Maren Urner: Es wird eine durchlässige Paywall geben. Das heißt, Mitglieder die zahlen, haben den kompletten Zugriff und können bestimmte Inhalte auch posten oder weiterleiten. Viel wichtiger ist uns aber, dass wir den Mitgliedern einen geschützten Raum bieten wollen, in dem sie konstruktiv diskutieren und kommentieren können. Einen Raum der auch Werte hat. Ein Wort, das sich heutzutage ja schon fast altmodisch anhört. Bei diesen Werten geht es um ganz einfache Dinge, die wir im Alltag im „echten Leben“ für selbstverständlich halten: Es ist uns wichtig einander ausreden zu lassen, offen zu diskutieren und einander zuzuhören. Persönliche Angriffe sind tabu. Es geht also nicht um Ausschluss oder Exklusivität, sondern um gute Diskussionen auf der Basis von relevanten Informationen.


NGO-Dialog: Bei aller Freude, dass Journalisten versuchen ein solches Medium zu schaffen: Glauben Sie, dass es dafür auch ein ausreichendes Leserinteresse gibt?

Dr. Maren Urner: Nun, wir sind ja nicht die ersten die das machen. In den Niederlanden gibt es bereits ein vergleichbares Projekt, dass vor gut zwei Jahren unter dem Namen „De Correspondent“ gestartet ist und mittlerweile über 45.000 Mitglieder hat. Bei 17 Millionen Niederländern macht uns das Mut. Auch in Deutschland verlief das Crowdfunding der Krautreporter sehr gut. Es gibt viele Menschen, die diese Art der Diskussionskultur wünschen und auch bereit sind dafür zu zahlen.


NGO-Dialog: Sie haben gerade in Deutschland ein Crowdfunding für Perspective Daily gestartet. Was können Sie uns dazu sagen?

Dr. Maren Urner: Wir wollen 12.000 Mitglieder gewinnen, die 42 Euro im Jahr zahlen um so die feste Redaktion von Perspective Daily zu finanzieren. Wir haben die Kampagne einmalig bis zum 28. März verlängert und sind guter Dinge, dass sie erfolgreich sein wird. Schon jetzt sind wir mit über 300.000 Euro eines der größten deutschen Crowdfunding-Projekte.


NGO-Dialog: Ähnliches hat es mit den Krautreportern schon gegeben. Die Kritik nach einem Jahr war, dass die Plattform nicht das gebracht hat, was sie versprach. Was denken Sie darüber?

Dr. Maren Urner: Wir waren erst vor Kurzem bei den Krautreportern zu Besuch. Nur vorab: Wir sehen uns gegenseitig nicht als Konkurrenz, sondern als zwei Projekte derselben Bewegung. Sicher hat nach dem ersten Erfolg im Crowdfunding die zweite Stufe der Entwicklung nicht Schritt halten können, weil nun nur noch 5.000 der ursprünglich 15.000 Mitglieder übrig sind. Die Erwartungshaltung der User mit dem Produkt in Einklang zu bringen, hat offenbar nicht zu 100 % funktioniert. Aber sie sind zufrieden, schreiben schwarze Zahlen und habe eine Nische gefunden. Bei De Correspondent in den Niederlanden hat das offenbar noch besser gepasst, denn die sind weiter am Wachsen.


NGO-Dialog: Wo liegt der Unterschied zu Perspective Daily?

Dr. Maren Urner: Vom Crowdfunding und der Werbefreiheit her sind wir ähnlich. Journalistisch haben wir unterschiedliche Herangehensweisen. Wir arbeiten zum Beispiel mit hybriden Autoren, die immer Journalist und Wissenschaftler oder Fachmensch zugleich sind. Unsere Berichterstattung ist inhaltlich orientiert, statt ressortbasiert. Wir glauben, dass es notwendig ist, die einzelnen Ressorts wie Politik, Sport, Kultur und Wirtschaft an einen Tisch zu bekommen. Nur dann kann ein Thema von verschiedenen Seiten diskutiert werden. Und erst dann wird es richtig interessant. Außerdem wird es eine feste Redaktion vor Ort geben und kein Netz aus freien Autoren. Neben der Teamarbeit kann so ein bestimmter Stil in der Berichterstattung leichter realisiert werden. Es geht nicht um die schöne Geschichte, sondern um Impact. Das war auch die Kritik an den Krautreportern, das zu wenige Beiträge wirklich etwas angestoßen haben.


NGO-Dialog: Nach einem schnellen Häppchen für zwischendurch hört sich das aber nicht für die Leser an?

Dr. Maren Urner: Na, es wird kein Buch werden, aber die Leser können sich jeden Tag rund 10 Minuten Zeit nehmen, um sich mit einem Thema vertraut zu machen und danach das Gefühl zu haben: Das habe ich verstanden und kenne jetzt die Hintergründe und kann mir über neue Perspektiven Gedanken machen. Es geht also auch um die Einordnung von Informationen, nicht nur um den Transport.


NGO-Dialog: Guter Journalismus ist ja durchaus auch schon heute mit hohen User-Zahlen möglich. Wie wollen Sie als Online-Medium der Flüchtigkeit entgehen und die Leser überzeugen, Zeit zu investieren?

Dr. Maren Urner: Es ist unser Anspruch, dass man die Leidenschaft, die unsere Kollegen für ihre Themen haben, auch in den Texten spürt. Denn darum geht es. Dann kreiere ich natürlich eine ganz andere Nähe, eine ganz andere Tiefe, nicht unbedingt der Komplexität, aber des Zugangs für eine Thematik. Unsere Autoren bringen eine intrinsische Motivation mit, die sie auch an andere weitergeben wollen.


NGO-Dialog: Schauen wir mal nach vorn und sagen: Das Crowdfunding klappt. Was machen Sie dann als erstes?

Dr. Maren Urner: Drei Wochen Urlaub – NEIN! Wir arbeiten natürlich schon im und am Redaktionsteam und an der Website, sodass dann auch möglichst schnell die ersten Inhalte online gehen können. Wir planen einen längeren Beitrag pro Tag plus ein paar kleinere Elemente, eine Dosis, die wir unseren Lesern zutrauen. Quasi meine Dosis neue Perspektiven pro Tag. Wir arbeiten also daran, dass wir zum Crowdfunding-Ende möglichst pünktlich starten können. Bis zum 28. März ist jeder mit 42 Euro dabei und kann dann pünktlich zum Start von Perspective Daily dabei sein.

(Bild: Perspective Daily)

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Kommentar von Manfred Belle |

Ich habe das Team um Maren Urner in den letzten eineinhalb Jahren kennengelernt und bin wirklich beeindruckt von der Hartnäckigkeit, mit der sie ihre gute Idee verfolgen.
Mein klarer Aufruf ist: mitmachen und 42 Euro im Jahr investieren!
Mit den besten Wünschen für Perspective Daily
Manfred Belle