INTERVIEW

Lassen Sie Bilder sprechen – Auswahl und Verwendung von Bild-Motiven im Fundraising

Renate KnappÄrzte leisten Hilfe im Krisengebiet, Aktivisten entern ein Walfangschiff, Waisenkinder freuen sich über das erste Weihnachtsgeschenk in ihrem Leben. Stellen wir uns diese Situationen vor, entstehen Bilder in unserem Kopf. Wie verhält es sich aber umgekehrt? Was macht ein wirklich gutes Foto aus? Es gibt Momentaufnahmen des Geschehens die berühren, Emotionen wecken und manchmal die Welt verändern. Stimmungen erzeugen, Gefühle ansprechen, Zuwendungsimpulse auslösen – all dies wird durch das richtige Motiv erleichtert. Die passende Bildauswahl für Fundraising-Projekte ist dennoch eine Herausforderung. Es gibt aber Kriterien, die die Auswahl erleichtern. Über Qualität, Aussage und Aufbau geeigneter Fundraising-Bilder sprachen wir mit Renate Knapp, Dozentin für Marketing- Kommunikation an der Fundraising-Akademie.

NGO-Dialog: Frau Knapp, Sie beraten Unternehmen und NGOs in den Bereichen Marketing und Kommunikation. „Große Bilder – große Gefühle“, so lautete der Titel Ihres Seminars, das Sie auf dem Fundraising-Forum Hessen Nassau am 8. Mai 2012 leiten. Was sind Ihrer Meinung nach die grundsätzlichen Überlegungen, die der Fundraiser bei der Bildsuche anstellen sollte?

Die Fragen, mit denen die Bildsuche beginnen sollte, sind grundsätzlich strategischer Natur. Zunächst geht es um den Zweck des Bildes. Soll das Bild informieren oder Emotionen wecken? Soll es dokumentieren oder soll es unterhalten? Entscheidend ist auch die Frage nach der Verwendung: in gedruckten Materialien oder online? Und die Zielgruppe ist interessant: Wer wird der Betrachter dieses Bildes sein? Was ist unsere Kernbotschaft? Sind diese Fragen beantwortet, dann kann der Fotograf losziehen und diese Absichten ins Bild setzen, sie mit grafischen Gestaltungsmitteln wie Format, Farbe, Schärfe und Perspektive visualisieren. Wie bei allen Kommunikationsaufgaben ist es wichtig, die Reihenfolge im Planungsprozess einzuhalten. Das bedeutet bei der Bildersuche: erst das Ziel festlegen, dann eine Strategie zur Zielerreichung finden und zum Schluss fotografieren oder das passende Bild im Archiv auswählen. Wir haben uns für eine Maßnahme entschieden, die auf ein bestimmtes Ziel fokussiert ist. Das Bild ist ein Teil dieser Maßnahme, es kommuniziert mit dem Betrachter. Diese Kommunikation soll eine bestimmte Absicht erfüllen, z.B. Menschen zum spenden oder stiften bewegen. Vielleicht möchten wir auch erst einmal auf ein Projekt, eine Organisation aufmerksam machen oder ein Bewusstsein für ein Thema schaffen. Es ist also wichtig, sich im Vorfeld im Klaren darüber zu sein, ob die Kommunikationsmaßnahme direkt zur Spende führen soll oder, ob es darum geht, die Wahrnehmung für ein Thema zu schärfen, bzw. den Bekanntheitsgrad einer Organisation zu erhöhen.

NGO-Dialog: Sprechen wir über die Qualitätsansprüche an Fundraising-Fotos. Muss es das qualitativ hochwertige Foto sein oder hat die Amateuraufnahme eines Helfers vor Ort mehr Wirkung auf den Betrachter? Oder anders gefragt: Was steht im Vordergrund der Informationswert oder die Schönheit des Fotos?

Die Antwort muss lauten: weder noch. Im Vordergrund steht immer die Wirkung, die beim Betrachter erreicht werden soll. Die potentielle Zielgruppe ist das Maß, an dem sich die Qualität der Bilder ausrichten sollte. Mit dem Foto sollen ja möglichst viele der gewünschten Zielpersonen erreicht werden. Die Tonality, also die Art und Weise, wie die Werbebotschaft über Stil und Atmosphäre transportiert wird, ist entscheidend. Wenn beispielsweise die Zielgruppe sehr jung ist, dann könnte ich ein Bild verwenden, das so aussieht, als wäre es aus einem Youtube-Film rausgeschnitten worden und damit eine sehr große Affinität herstellen. Bei Menschen, die überhaupt nicht auf Youtube unterwegs sind, würde ich damit nichts erreichen. Das heißt im Klartext: Wir müssen uns im Vorfeld genau überlegen, wen wir erreichen wollen und was wir über unser Projekt aussagen möchten.

Auch Perspektiven können ganz unterschiedliche Wertigkeiten erzeugen. Es macht beispielsweise einen Unterschied, ob ich eine Preisverleihung aus der Froschperspektive (also aus dem Zuschauerraum zur Bühne hoch fotografiert) zeige und damit die Ausgezeichneten sozusagen „erhöhe" oder ob ich die Vogelperspektive wähle. Eine großartige gestalterische Visualisierung muss nicht zwangsweise die Wirkung beim Betrachter erreichen, die wir uns wünschen. Es ist sinnvoll, den Fotografen vorher mit den Absichten vertraut zu machen, damit die Bilder den gewünschten Zweck erfüllen. Im umgekehrten Fall kann ein Amateurbild, wenn es die passende Botschaft transportiert, eine Super-Wirkung auslösen. An der Perspektive kann man nachträglich nichts mehr ändern, aber durch die Auswahl eines passenden Ausschnittes beispielsweise kann Nähe erzeugt werden. So kann man auch mit Amateur-Aufnahmen, nach einer professionellen Nachbearbeitung, sehr viel erreichen. Es kommt auch auf die Glaubwürdigkeit an. Als Betrachter nimmt man ja immer den Blickpunkt, die Perspektive des Fotografen ein. Eine entscheidende Rolle spielt die Glaubwürdigkeit, verursacht durch eine emotionale Bindung, des Fotografen zum Thema. Der Betrachter eines Bildes nimmt beide Ebenen wahr: den Informationswert und die Atmosphäre und die Stimmung, die das Foto vermittelt.

NGO-Dialog: Bilder, die Geschichten erzählen und einen hohen Informationswert besitzen, erzeugen Emotionen. Doch welche Bilder lösen Zuwendungsimpulse aus? Ist es das Foto, das einen Erfolg dokumentiert und positive Gefühle weckt oder dasjenige, das die ungeschönte Realität darstellt? Niemanden lassen z.B. die World Press Photos oft the Year kalt. Aber führen sie auch zu dem Bedürfnis zu helfen?

Bilder sollen Geschichten erzählen und auf der affektiven Ebene wirken. Sie sollen Stimmungen erzeugen und Gefühle wecken. Im Fundraising wollen wir häufig erreichen, dass die Bilder Handlungen auslösen. Jeder kennt das Phänomen aus den Fernsehnachrichten: spektakuläre Bilder ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Bilder einer Hungerkatastrophe, zum hundertsten Mal gesehen, erzeugen nicht mehr dieselbe Wirkung wie zu Beginn. Die Aufmerksamkeit wird zum berühmten Strohfeuer, wenn kein Handlungsbezug, keine Lösungsmöglichkeiten angeboten werden.

Ob sich der Betrachter mit einem Thema intensiver beschäftig, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das kann ein persönlicher Bezug sein, wenn man etwa Kinder in demselben Alter hat, wie die dort dargestellten Leidtragenden, oder die prinzipielle Affinität zu bestimmten Themen. Auch das Vorwissen entscheidet darüber, ob der Druck, der sich beim Betrachter aufbaut, in eine Handlung umgesetzt wird.

Die Frage, ob wir Lachen oder Weinen zeigen, ob und wie oft Kinder mit aufgequollenen Hungerbäuchen dargestellt werden, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Mit spektakulären Bildern, Bildern von Katastrophen, lässt sich schnell und kurzfristig Geld für Soforthilfe generieren. Sie sind jedoch nicht dazu geeignet, Menschen langfristig an eine Organisation oder an ein Projekt zu binden. Um Projekte zu realisieren, die langfristig aus der Not herausführen, die Hilfe zur Selbsthilfe bieten, die Bildungsmöglichkeiten für Kinder oder Verdienstmöglichkeiten für die Eltern schaffen, müssen Dauerspender generiert werden. Das erreicht man nur durch Bilder, die den Entwicklungsfortschritt dokumentieren.

Viele Organisationen haben sich bewusst dafür entschieden, nicht mehr nur das Leid zu zeigen. Vorwissen bei der Zielgruppe erzeugen, immer wieder informieren, das ist der richtige Weg, um Spender dauerhaft zu binden. Bei einer großen Katastrophe, wenn es darum geht, sehr schnell an große Summen zu kommen, über viele kleine Beträge, sind es die negativen Bilder, die den Handlungsdruck erzeugen. Um langfristig eine Bindung an eine Organisation und an ein Projekt zu schaffen, sind es die Bilder vom Fortschritt. Diese Bilder können z.B. über die Jahre dokumentieren, wie Kinder aufwachsen oder eine Schule gebaut wird, sie zeigen die Veränderung. Das schafft eine Bindung des Spenders an das Projekt – man wächst ein Stück zusammen. Bei Patenschaften wird diese Art der Dokumentation sehr oft eingesetzt.

NGO-Dialog: Nicht jede Organisation ist in der komfortablen Situation, professionelle Fotografen in die Projekte zu schicken. Die Aufnahmen stammen  deshalb aus sehr unterschiedlichen Quellen, auch aus frei zugänglichen Fotoarchiven. Mit welchen Mitteln kann trotzdem eine eigene Bildsprache, ein Wiedererkennungswert erreicht werden? Oder würden Sie sagen, das spielt keine Rolle?

Wenn der Wiedererkennungswert keine Rolle spielen würde, gäbe es dann Bilder von lila Kühen in Alpenlandschaften oder von Cowboys mit Freiheit und Abenteuer im Blick? Das sind Marketing-Klassiker, weil wir sie wiedererkennen. Wir haben sofort den Namen der Marke im Kopf, uns geht eine bestimmte Musik durchs Ohr, vielleicht haben wir einen bestimmten Geschmack auf der Zunge. Bilder können einen Wiedererkennungswert besitzen, genau wie die Hausfarbe oder ein Logo. Und das kann man auch mit freien Bildern erreichen, man muss nur ein verbindendes Kriterium festlegen. Das könnte z.B. eine ungewöhnliche Perspektive sein, wenn eine Organisation bei ihrer Arbeit eine Perspektive einnimmt, die sonst keiner einnimmt. Oder ein außergewöhnliches Format, ein spezielles Licht, eine bestimmte Farbe. Bilder können beispielsweise mit einem Balken versehen oder als Key Visuals in einem bestimmten Layout verwendet werden.

Das geht auch mit gekauften Bildern. Auch für kleinere Organisationen kann es sich durchaus lohnen, bei den Bildarchiven die Gebühren für die Nutzungsrechte zu erfragen, vor allem, wenn man die Fotos für mehrere Kampagnen verwenden möchte. In den meisten Fotoarchiven gibt es eine praktische Cross link-Funktion, mit der die Online-Portale auf den Fotografen verweisen. So findet man weitere Bilder von diesem Fotografen. Mitunter ist es sinnvoll, die Bildrechte zu kaufen. Das ist oft nicht so teuer, wie man sich das vorstellt.

Bilder werden immer vor dem Text wahrgenommen und prägen sich sehr stark ein. Wenn sich also eine Organisation überlegt, mit Bildern für eine Kampagne oder für ein überregionales Projekt zu arbeiten, dann sollte sie über den Erwerb der Nutzungsrechte nachdenken. Es lohnt sich auf jeden Fall, sich nach den Preisen zu erkundigen. Denn so kann man das Risiko, dass andere das Bild ebenfalls verwenden, minimieren, denn die suchen ja auch in den freien Datenbanken.

NGO-Dialog: Könnten Sie unseren Lesern noch etwas zur Größe und Platzierung von Fotos sagen? Gibt es da eine Faustregel oder hätten Sie einen Tipp, wo man dazu Informationen findet?

Grundsätzlich lässt sich sagen: Je größer das Bild, desto größer die Wirkung auf den Betrachter. Bei der Platzierung sollte man den Blickverlauf des Betrachter berücksichtigen, der beginnt in unserem Kulturkreis immer links oben. Darüber hinaus gibt es sehr viele Faktoren, die bei der Gestaltung von Fotos eine große Rolle spielen, das wird in der einschlägigen Literatur erklärt. Was es offensichtlich noch nicht gibt ist ein Buch, das den Zusammenhang zum Fundraising herstellt. Da kann ich dann nur den Tipp geben, in mein Seminar zu kommen. Dort werden Kenntnisse zur Bildanalyse und Motivauswahl anhand praktischer Übungen vermittelt.

Frau Knapp, wir bedanken uns bei Ihnen für dieses Gespräch.

Renate Knapp ist Diplom-Marketing-Kommunikationswirtin und Diplom-Sozialarbeiterin. Sie berät Unternehmen und NGOs in Marketing, Fundraising und Geschäftsentwicklung. Sie ist Dozentin für Marketing-Kommunikation bei der Fundraising Akademie Frankfurt am Main und vermittelt Methoden zielgerichteter Marktkommunikation. Als Coach für Perspektivenentwicklung begleitet Sie Menschen, die persönlich und beruflich wachsen wollen.

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