INTERVIEW

„Nicht die billigste Organisation ist die Beste!“

Christoph Hilligen
Christoph Hilligen

Christoph Hilligen ist Vorstand von World Vision Deutschland e.V. und Schatzmeister von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe. Wir sprachen mit ihm über die Wirksamkeit von VENRO, die Bedeutung von Spenden und Transparenz für NGOs und die Zukunft der Entwicklungszusammenarbeit sowie über das zentrale Ziel von VENRO, der gerechten Gestaltung der Globalisierung, insbesondere der Überwindung der weltweiten Armut.


NGO-Dialog:
Herr Hilligen, Ihre Ausbildung klingt so gar nicht nach gemeinnütziger Organisation. Wie kamen Sie zu World Vision?

Christoph Hilligen: Ja, beruflich bin ich Wirtschaftsingenieur und habe in der Automobilindustrie gearbeitet. Relativ bald merkte ich aber, dass ich meine Fähigkeiten für andere Menschen noch sinnvoller einsetzen will. Durch einen privaten Kontakt wurde ich auf World Vision aufmerksam und habe mich einfach initiativ beworben.


NGO-Dialog: War das ein großer Umstieg in den NGO-Bereich?

Christoph Hilligen: Also, ich habe mir schon ehrlicherweise einige Fragen gestellt. Wie ist das in der Non-Profit-Welt, wird da überhaupt professionell gearbeitet, so wie ich das von meinen bisherigen Arbeitgebern gewohnt war? Ist das für mich die richtige Perspektive als junger Mensch? Bekomme ich jemals wieder eine Job in der Profit-Welt? Das waren viele Fragezeichen, aber die Begeisterung, sich professionell engagieren zu wollen, überwog. Natürlich ist die Arbeitsatmosphäre in NGOs wirklich anders. Die Leute sind mit dem Herzen dabei, man spürt eine Begeisterung für die Arbeit, auch das Miteinander, gemeinsam etwas zu bewirken, ist greifbar. Das hat mich schnell angesteckt.


NGO-Dialog: Ehrenamtlich engagieren Sie sich als Schatzmeister von VENRO. Der Verband ist gerade 20 Jahre alt geworden. Welche Wirkung hat er heute?

Christoph Hilligen: Wir sehen da eine sehr positive Entwicklung bei VENRO. Seit der Gründung hat sich der Verband zu einem respektierten und verlässlichen Sprachrohr der entwicklungspolitischen Zivilgesellschaft entwickelt. Der Verband ist ein anerkannter Gesprächspartner für die Politik, insbesondere für das Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das auf unsere Meinung Wert legt. Auch mit dem Auswärtigen Amt ist VENRO zum Thema humanitäre Hilfe im ständigen Austausch. Die Fachöffentlichkeit sucht den Dialog mit uns, und viele politische Entscheidungsträger schätzen die Arbeit des Verbandes.


NGO-Dialog: Hat sich das auch in Mitgliedszahlen ausgedrückt?

Christoph Hilligen: Mittlerweile hat VENRO 126 Mitgliedsorganisationen, die sich in 14 thematischen Arbeitsgruppen austauschen, zum Beispiel zu Gesundheit, Kinderrechten oder Transparenz, Wirkungsbeobachtung und Finanzierung. So hat sich in der Arbeitsgruppe Transparenz unser Verhaltenskodex zu Transparenz, Organisationsführung und Kontrolle entwickelt, den ich schon als Meilenstein bezeichnen würde.


NGO-Dialog: Das Thema Transparenz wurde ja auch öffentlich immer in Zusammenhang mit Fundraising diskutiert. Mehr Spenden sind es aber dadurch nicht geworden. Ist das der richtige Weg?

Christoph Hilligen: Die Schritte, die unsere Mitglieder in den letzten Jahren in Richtung mehr Transparenz gemacht haben, sind richtig, weil sie mittel- und langfristig das Vertrauen der Spender in unsere Arbeit stärken. Unsere heutigen Spender sind wesentlich kritischer als noch vor 20 Jahren, und die Erwartungen sind höher. Als Verband haben wir da aber auch die Aufgabe, uns die Frage zu stellen, bis wohin ist Transparenz sinnvoll, und auf welche Standards kann man sich verlässlich einigen, damit man dann damit auch gemeinsam werben kann. So steht für uns als Verband außer Frage, dass Verwaltungs- und Werbekosten notwendig sind. Wir werben da bei den Spenderinnen und Spendern am besten um Verständnis, wenn wir die Kosten ehrlich und wie selbstverständlich benennen. Das sieht unser Verhaltenskodex vor. Deutlich machen wir damit auch: nicht die billigste Organisation ist die Beste. Man erzielt nur dann eine gute Wirkung, wenn man gute Arbeit leistet, und die kostet Geld. Gemeinsame Standards helfen da enorm.


NGO-Dialog: Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind ohne staatliche Hilfe nicht finanzierbar. Sind Spenden eigentlich überhaupt notwendig für diesen Bereich?

Christoph Hilligen: Für Nichtregierungsorganisationen sind Spenden eine ganz entscheidende Finanzierungsquelle. Das wird auch zukünftig so bleiben. Bei öffentlichen Finanzierungen ist man ja auch immer ein Stück weit von den Programmzielen abhängig. Spendenfinanzierte Projekte bieten da viel stärker die Möglichkeit, auch kurzfristig, wo Bedarf und Not ist, zu helfen und die Spender mit in die Entscheidung einzubeziehen. Wenn wir es schaffen, Wirkung und Kosten transparent zu kommunizieren, wird es uns auch weiter gelingen, Spender für unsere Arbeit zu begeistern.


NGO-Dialog: Glauben Sie, dass Ihre lokalen Partner in Afrika, Asien und Südamerika bald selbst in Europa um Spenden bitten?

Christoph Hilligen: Unsere Mitgliedsorganisationen beurteilen auf jeden Fall sehr positiv, dass wir mit lokalen Partnern vor Ort auf Augenhöhe arbeiten können. Und wenn die auch zu eigenem Fundraising in der Lage sind, ist das doch positiv und kann auch neue Kooperationen und Chancen ergeben.


NGO-Dialog: Die Entwicklungszusammenarbeit hat sich stark gewandelt in den letzten 20 Jahren. Hilfe zur Selbsthilfe ist mittlerweile ein Standard geworden, der immer stärker zu Social Business wird. Wie sehen Sie die Entwicklung?

Christoph Hilligen: Sicher, Mikrokreditprogramme haben sich zum Beispiel sehr gut und mit positiver Wirkung entwickelt. Wir sprechen ja mittlerweile nicht mehr von „Social“ sondern von „Inklusive Business“. Das sind Projektansätze, die nachhaltige Veränderungen bewirken und Menschen vor Ort sehr gut mitnehmen, um ihre eigenen Ideen abseits von Spenden zu entwickeln. Hilfe zur Selbsthilfe ist aber nicht nur auf Existenzgründung beschränkt. Auch Spendenprojekte sollten Menschen nachhaltig befähigen und in Verantwortung für ihre Gemeinschaft nehmen, sei es bei Wasserversorgung, Landwirtschaft oder Bildung.


NGO-Dialog: Haben Sie auch schon Erfahrungen mit Fundraising in Ländern, in denen Ihre Verbandsmitglieder Hilfe leisten?

Christoph Hilligen: In Indien und Brasilien zum Beispiel gelingt es immer besser, dass lokale Partner auch selbst Spenden erhalten. Ich sehe darin einen positiven Trend, der aus meiner Sicht gern so weitergehen kann. Das stärkt die Zivilgesellschaft. Für uns bleibt noch genug zu tun.


NGO-Dialog: Welche Dinge sollten sich nach dem Wunsch von VENRO noch verbessern?

Christoph Hilligen: Ich denke der Dialog und Austausch der Organisation untereinander sollte noch stärker werden. Wir müssen da deutlich vernetzter denken um noch erfolgreicher zu sein. Ich sehe auch die Kommunikation zu Qualitätsstandards im Fundraising noch nicht am Ende. Eine zentrale Aufgabe des Verbandes ist auch, sich dafür einzusetzen, dass NGOs nach dem Initiativrecht gefördert werden. Das bedeutet, dass wir die Projekte nach den Prioritäten unserer Partner auswählen und uns nicht als Teil der deutschen Außenpolitik sehen. Dieses gilt es immer wieder zu verteidigen. Darüber hinaus machen wir uns natürlich für viele politische und strukturelle Veränderungen in Deutschland und der EU stark. Es ist wichtig, dass sich auch in Deutschland Politik und Strukturen nachhaltig verändern, wenn wir die Welt gerechter gestalten wollen. Weiterhin sind die öffentlichen Mittel, die Nichtregierungsorganisationen in Deutschland bekommen, im Vergleich zu den Mitteln, die in die staatliche Entwicklungszusammenarbeit fließen, sehr gering. Auch da müssen wir auf die politischen Rahmenbedingungen einwirken.


NGO-Dialog: Sehen Sie in der aktuellen Diskussion um die Situation der Flüchtlinge eine Chance, für gute Argumente mehr Geld zu bekommen?

Christoph Hilligen: Wir sind optimistisch, dass das postulierte Ziel, dass 0,7 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung in die Entwicklungszusammenarbeit fließen sollen, erreichbar ist. Es gab ja in den letzten Jahren auch Steigerungen. Allerdings sind andere europäische Länder besser aufgestellt als Deutschland. Es ist bedauerlich, dass sich die Situation der Flüchtlinge erst so zuspitzen musste, bis sich etwas verändert. Weltweit sind Millionen Menschen von Bürgerkriegen, Armut und Perspektivlosigkeit betroffen. Ausreichend finanzierte und kluge Entwicklungszusammenarbeit kann Menschen helfen, dass sie für sich und ihre Kinder in ihrer Heimat eine Zukunft sehen. Es wäre schön, wenn es uns bald nicht mehr bräuchte – aber das wird wohl so schnell nicht passieren.

(Bild: World Vision Deutschland e.V.)

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