INTERVIEW

„Bei Greenpeace haben wir den Paradigmenwechsel geschafft“

Bernd Drumel

Bernhard Drumel ist seit zwanzig Jahren in Umwelt-Organsiationen aktiv. Er war unter anderem Global Fundraising and Development Director bei Greenpeace, hat die Organisation beim Aufbau von Fundraising-Maßnahmen in Ost-Europa geführt und auf globaler Ebene den Aufbau des Digital Mobilisation Lab initiiert. Heute berät Drumel Organisationen sowie Unternehmen bei Strategie und Entwicklung und ist unter anderem Mitglied im Executive Board von Greenpeace India. Paul Stadelhofer sprach mit ihm über den Aufbau von Fundraising in anderen Ländern, Innovationsförderung, die Stellung der Fundraiser in der Organisation und wie erfolgreiches Fundraising vom kulturellen Kontext geprägt wird.

NGO-Dialog: Gibt es Faktoren, die das Fundraising in einer Region erleichtern oder erschweren?

Ich würde soziale, technische und demografische Anforderungen betrachten. Wenn es ein Bewusstsein für die Zivilgesellschaft gibt, ist es leichter per Fundraising eine Organisation aufzubauen. Zum Beispiel war es leicht, das Fundraising in Polen aufzubauen, wo die Zivilgesellschaft aufgrund der Tradition stärker ist als in Russland. Beim Face-to-Face-Fundraising stolpert man in Russland immer noch dahin und erzielt keine guten Resultate. Selbst wenn die technischen Anforderungen erfüllt sind, also beispielsweise Daueraufträge möglich sind, ist das Fundraising ohne eine Affinität zur Zivilgesellschaft schwer. Diese Affinität gibt es in Indien, Südafrika, Indonesien oder Thailand und dort ist es relativ einfach, eine Organisation aufzubauen.

NGO-Dialog: Also ist der Reichtum einer Region nicht maßgebend für erfolgreiches Fundraising?

In keinem Fall alleine. In Moskau gibt es zum Beispiel extrem viel Reichtum aber keine Affinität dazu, die Zivilgesellschaft zu finanzieren. Südafrika ist ein spannendes Gegen-Beispiel. Über die Freiheitsbewegung hat man dort zivilgesellschaftlichen Widerstand kennengelernt und das ist einer der Gründe, warum es in den Malls der Townships von Soweto leichter war, eine Organisation aufzubauen, als im reichen Johannesburg. Ich glaube es ist also immer wichtig, die Grund-Affinität abzutesten und die technischen Voraussetzungen zu kennen.

NGO-Dialog: Gilt das auch für andere Instrumente als das Face-To-Face-Fundraising?

Bei den Instrumenten geht es auch um Demografie. Ein Instrument, das jüngere Menschen anspricht, setzt eine völlig andere Altersstruktur voraus als das Mailing, das eine ältere Zielgruppe anspricht. Auch in Indien, wo es keine Brief-Kultur gibt, ist Fundraising über den direkten Kontakt leichter als über Briefe. Dort funktioniert zum Beispiel Tele-Fundraising, das heißt Anrufe mit anschließenden Hausbesuchen, was aus Kostengründen im Westen schwer vorstellbar ist. Man muss also das Soziogramm, die technischen Herausforderungen und die Demografie einer Gesellschaft betrachten, um zu bewerten, wie Fundraising klappen kann.

NGO-Dialog: Wie sehen Sie die Stellung des Fundraisers in einer Organisation?

Dadurch, dass er immer wieder Menschen für eine Organisation und ihr Thema begeistern muss, hat der Fundraiser ein klares Bewusstsein dafür, wofür eine Organisation steht und was bei den Menschen ankommt. Diese Qualitäten werden häufig aber nicht gesehen. Da wird das Projekt fertiggestellt, bevor man Fundraiser und Kommunikatoren miteinbezieht. Das ist für mich ein falscher und überkommener Zugang, weil er Qualitäten im Programmatischen, dem Lobbying und der Kampagnenarbeit übersieht. Wenn man sich überlegt, wie ein Projekt oder eine Kampagne ausschaut, muss man sich Gedanken über die Begünstigten machen. Nur so sind die Bewegungsqualitäten einer Kampagne von Beginn an in der Planung. Es gibt die irrige Auffassung, dass das Management eine Idee kreiert, die es von oben nach unten umsetzen kann. Das funktioniert in vielen Organisationen nicht und das braucht viel Standhaftigkeit seitens der Führung, damit überhaupt etwas unten ankommt. Die Erfahrung ist, dass das Neue viel stärker von unten wachsen kann.

NGO-Dialog: Wie können Organisationen systematisch dieses Innovationspotenzial erschließen?

Internationale Organisationen brauchen auch nationale Verbände, die Dinge ausprobieren und vielleicht mal scheitern. Ich nenne es „Innovation byMushrooming“. Durch deren Erfahrungen lassen sich Innovationen entwickeln,die langsam im Rest der Organisation wachsen. Das braucht Botschafter, die gelegentlich in andere Einheiten gehen und sich dort vernetzen, wo Potenzial entsteht. Auch Boot-Camps, Pilotprojekte oder Skillshares lassen sich so entwickeln und dann kann das Potenzial in einer Organisation wachsen. Umgekehrt funktioniert es nur ganz selten und man schlägt immer wieder in das alte Muster zurück.

NGO-Dialog: Wie gestalten Sie den Umgang mit Innovationen bei Greenpeace?

Bei Greenpeace haben wir den Paradigmenwechsel geschafft und sind eine Organisation geworden, die gemeinsam mit den Menschen Projekte entwickelt und das Mobilisierungspotenzial in vielen Fällen wirklich ausschöpft. Unser relativ kleines Team in Argentinien hat zum Beispiel viel experimentiert und ist immer wieder gescheitert, bis es irgendwann in einer Kampagne 1,5 Millionen Menschen mobilisieren konnte und 150.000 neue Spender gewonnen hat. Greenpeace hat dann darum gebeten, Kapazität für die Botschafter aufzubringen und die Botschafter aus Argentinien wurden in die Türkei, nach Indien und nach Russland geschickt. Es gab ein zweites Pilotprojekt in China in Richtung Mobilisierung über das Telefon und ein Boot-Camp in Indien, bei dem alle Mobilisierer für einen Monat an einer indischen Kampagne gearbeitet haben. Nach weiteren Kampagnen im Norden hat Greenpeace einige Organisationen um einen Vorschlag für ein Kompetenzzentrum gebeten, durch das die Kompetenz aus einzelnen Ländern immer wieder in die Organisation gegeben werden kann. Das US-Office hat dann ein „Digital Mobilisation Lab“ geschaffen, durch das Informationen aus der Außenwelt in die Organisation kommen und Kampagnen in verschiedenen Ländern befruchten.

NGO-Dialog: Klappt dieser Ansatz auch für kleinere Organisationen?

Es gibt natürlich viele Organisationen, die am Projekt-Tropf hängen und die sich über ihr Fundraising erst unabhängig machen müssen. Für die braucht es eine Grundentscheidung dazu ins individuelle Fundraising zu gehen und Anfangsinvestitionen dafür, sofern die Agentur nicht eine Vorfinanzierung übernimmt. Wenn eine Organisation den individuellen Weg wählt, also nach Major-Donors und Einzelspenden sucht, erhält der Major-Donor-Fundraiser meistens auch wesentlichen Einfluss – auch im direkten Kontakt mit dem CEO. Nochmals - ich würde dazu raten, dass Fundraiser von Anfang an eine wesentliche Rolle spielen in der Entwicklung der Projekte. Dass die Projekte also innerhalb der Organisation so designt werden, dass sie so schnell wie möglich bei den Menschen ankommen, die das Geld für weitere Projekte zur Verfügung stellen.

 

(Foto: PR)

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