INTERVIEW

„Die Marke SOS-Kinderdorf ist ein Schatz und ein kleines Stück Magie.“

Dr. Wilfried Vyslozil

Dr. Wilfried Vyslozil ist Vorstand der SOS-Kinderdörfer weltweit/Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V. Seine Organisation ist eine der größten deutschen Spendenorganisationen und weltweit der größte und älteste SOS-Förderverein. Seit den 60er Jahren unterstützt er die Arbeit der SOS-Kinderdörfer weltweit. ngo:dialog professionell sprach mit ihm über die Zukunft, Fundraising und Jobs bei den SOS-Kinderdörfern.

NGO-Dialog: Was ist momentan die größte projektbezogene und inhaltliche Herausforderung für die SOS-Kinderdörfer weltweit?

Das muss man von zwei Seiten anschauen. Da ist einerseits die projektbezogene Seite, wo das Geld hingeht und welche Wirkung wir dort erzielen. Andererseits die Frage, wie wir das notwendige Geld mit Hilfe des Fundraisings beschaffen können. Auf der einen Seite muss genau evaluiert werden, wo noch wie viel Hilfe notwendig ist. In vielen aufstrebenden Ländern steigen die Ausgaben exorbitant. Auf der anderen Seite zeichnet sich beim Fundraising ein schwierigerer Markt ab. Mittlerweile gibt es ja in Europa 18 Fundraising-Units, die alle in zunehmendem Maß zur Finanzierung der weltweiten SOS-Kinderdörfer beitragen. Aber wir tragen noch immer die Hauptlast und haben rund 90 Projektländer, die wir direkt unterstützen.

NGO-Dialog: Gibt es Länder, in denen die Situation besonders schwierig ist?

Ja, in den sogenannten „Least Developed Countries“, wo keine staatlichen Partner in Sicht sind und die von Bürgerkriegen, massive wirtschaftliche Probleme und/oder Katastrophen betroffen sind. Dort dürfen wir keinesfalls locker lassen! Im Gegenteil: Dort müssen wir sogar beschleunigt agieren.

NGO-Dialog: Sie bewirtschaften heute 532 Kinderdörfer weltweit. Wo ist das Ende des Wachstums?

Da ist der Scheitelpunkt auf jeden Fall erreicht. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) definiert ja vier Ländercluster. In den relativ wohlhabenden Clustern haben wir mit Sicherheit keine neuen Projekte vor. In den ärmeren Ländern dagegen, müssen wir solidarisch handeln und werden dort noch weitere Projekte entwickeln. Vorausgesetzt, die Analyse unserer einheimischen Fachkräfte bestätigt den Bedarf, denn schlussendlich entscheiden sie darüber und nicht wir in Europa.

NGO-Dialog: Welche Länder gehören zum Beispiel in diese Kategorie?

Das ist der ganze Gürtel Sub-Sahara, ein ganzes Stück Zentralafrika, Laos, Kambodscha und weitere Länder in Südostasien. In Lateinamerika vor allem Honduras, Guatemala und Nicaragua. In Lateinamerika gibt es aber auch erstaunliche Entwicklungen, die denen in Europa gleichen, wo wir ja seit fast 30 Jahren Partner der staatlichen Institutionen sind und sich ein Gros der Finanzierung aus Leistungsentgelten ergibt.

NGO-Dialog: Kommen wir zur anderen Seite der Arbeit der SOS-Kinderdörfer: dem Fundraising. 130 Millionen Euro haben Sie 2012 eingenommen. Wie viel Geld erhalten Sie von Privatpersonen?

Ich kann es noch nicht ganz abschließend sagen, aber im Großen und Ganzen ist die Größenordnung richtig. Wir sind natürlich sehr demütig und dankbar für diese in Jahrzehnten gewachsene Rolle am deutschen Spendenmarkt. Es gibt ja noch den SOS-Kinderdorf Deutschland e.V., der in der Hauptsache die deutschen Einrichtungen führt und eine ebenso große Rolle am deutschen Spendenmarkt spielt. Der hinter dieser Summe stehende Vertrauensbeweis ist natürlich jedes Jahr wieder aufs Neue anzutreten. Wir sind über die Jahrzehnte wie ein Baum mit Jahresringen gewachsen. Manchmal waren die Ringe schmaler, manchmal – wie bei den große Katastrophen in Südostasien oder Haiti – deutlich breiter.
Rund 70 Millionen Euro kommen heute von privaten Spendern sowie etwa 20 Millionen aus Patenschaften. Zwischen 32 und 36 Millionen erhalten wir aus Nachlässen, was der ultimative Vertrauensbeweis ist. Deshalb ist die Gesamtsumme aber immer schwer zu prognostizieren. Dann gibt es noch Erträge aus Vermögensverwaltung und Rückstellungen für Investitionen. Insgesamt sind wir also ganz überwiegend privat finanziert.

NGO-Dialog: Stellen Sie generell Veränderungen im Spenderverhalten fest?

Wir stellen fest, dass die Mittelschicht großen Herausforderungen ausgesetzt ist. Als Beispiel beobachten wir, dass die Zahl der Spender etwas sinkt und die Durchschnittsspende gleichzeitig steigt. Das ist ein Trend, den wir als Organisation, die seit Jahrzenten auf den „normalen Spender“ baut, schon mit Sorge beobachten.

NGO-Dialog: Sind die Spender durch die Finanzkrise verunsichert?

In unserer Freundesbasis – bei uns sind Spender Freunde – gibt es eine Vielzahl von Motiven zu spenden. In manchen Zielgruppen nehme ich diese Verunsicherung schon deutlich wahr. Major Donors haben zum Beispiel in 2012 fast bis zur letzten Kalenderwoche gewartet, um in der Vorbereitung auf die Steuererklärung wirklich ganz sicher zu gehen. Das hat es für uns natürlich spannend gemacht, war aber in den letzten Tagen des Jahres auch erfreulich. Dieses Phänomen sehen wir in den letzten zwei Jahren verstärkt. Gerade institutionelle Förderer, wie Stiftungen, Family Offices und Major Donor recherchieren auch sehr genau die Wirksamkeit unserer Projekte. Es ist sogar so, dass die Spender die Projekte öfter direkt besuchen. Das heißt auch, die Zweckbindung nimmt zu, und das erfordert veränderte Betreuungsstrategien unserer Mitarbeiter.

NGO-Dialog: Sie sagten in einem Interview, der SOS-Kinderdörfer weltweit/Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V.will in den nächsten zehn Jahren 60 Prozent seiner Einnahmen online generieren. Momentan sind es fünf Prozent. Wie soll das gehen?

Es mag sein, dass dieser Wert an der Grenze zwischen Vision und Übermut liegt, aber die Richtung ist für mich vorgezeichnet. Wir sehen im Bereich der Zeitungsverlage und Versandhäuser eine längst eingetretene Realität, die in Richtung online gehen muss. Ich persönlich hatte meine Einsicht im Tsunami-Jahr. Da war ich noch zuständig für die SOS-Kinderdörfer in Österreich. Wir hatten seit 1999 eine respektable Website, aber in diesen Tagen wurde die Website gestürmt und hat sich unglaublich bewährt und wir waren einigermaßen in der Lage, diesen Ansturm technisch aufzufangen und auf das Telefon umzuleiten. So hatten wir etwa 14 Tage permanenten Telefondienst, weil wir den Rückenwind der Medien hatten und auch eigene Standorte in Indonesien und Sri Lanka betroffen waren, wo wir von einer Minute auf die andere aktiv werden konnten. Da war mir klar: Online ist die Zukunft.

NGO-Dialog: Ihre Fundraisingabteilung wirkt sehr ausdifferenziert. Sie haben Fundraiser für Großspender, Middle-Donor, Patenschaften, Nachlässe, Unternehmenskooperation und natürlich Online. Geht der Trend mehr zum Spezialisten als zum Generalisten?

Ich bin ein leidenschaftlicher Verfechter von Generalisten und habe persönlich tolle Erfahrungen gemacht mit Menschen, die Orientalistik, Publizistik oder Slawistik studiert haben und sich aus einer inneren Überzeugung sozialen Fragen nähern und sich dann ihr Fundraising-Wissen in einer Weiterbildung holen.
Wichtig ist die Botschaft, die unsere Mitarbeiter aussenden. Hat der Mitarbeiter ausreichend Verständnis für unsere nationale und globale gesellschaftliche Entwicklung, versteht er die politische Dimension dahinter und weiß er dann, was wir als zivilgesellschaftliche Organisation hier leisten können und wo auch unsere Grenzen sind? Das ist mir super wichtig, weil bestimmte Spendergruppen in einem hohen Maß gesellschaftlich aufmerksam sind. Die wollen nicht die Bohne über Charity und Gala-Events reden, die haben ein substanzielles Interesse, wie wir als Organisation gesellschaftliche Herausforderungen meistern können. Daher setze ich sehr auf Diversität, viele Sprachen und – wenn es geht – auch viel persönliche Berührung mit anderen Kulturkreisen. Idealerweise sind das interkulturelle Menschen, die schon von Kindesbeinen an mehr geatmet haben als zentraleuropäische Luft. Das ist auch bisher ganz gut gelungen hier im Hause.
Natürlich braucht es auch Spezialisten. Etwa bei öffentlichen Anträgen braucht man Anwälte, die auf Formalitäten achten und eine hohe rechtliche Kompetenz haben.

NGO-Dialog: Welche Erwartungen haben Sie generell an die Ausbildung junger Fundraiser?

Die Basis im Fundraising ist ein gutes Verständnis für Database-Management. Man sollte ein Briefing genau umsetzen und mit den Mitarbeitern in dem Bereich reden können. Etwa wenn es um die Selektion von Adressgruppen oder um Versandtermine geht. Als Fundraiser sollte man offen für Bewährtes, aber auch kritisch gegenüber allzu genauen statistischen Analysen sein. Oder wenn ich Tests von Mailings plane, sollte ich wissen, welcher veränderte Parameter am Ende wirklich für ein besseres Ergebnis zuständig war. Methodisch sollte man schon gut ausgebildet sein.

NGO-Dialog: Wohin wird sich das Team und die Marke der SOS-Kinderdörfer 2013 hinbewegen?

Ich habe hier im Haus vorgeschlagen, dass sich die eigentlich getrennten Bereiche Direktmarketing, Kommunikation/digitale Kommunikation und Dialog, also Face to Face und Telefon viel mehr begegnen und sich zunehmend als eine gemeinsame Gruppe verstehen. Das wird sicherlich bedeuten, dass wir Ressourcen, die wir ganz selbstverständlich im Direktmarketing hatten, zunehmend auch im Kommunikation/Digital-Bereich einsetzen.
Da wird es ein paar Umbauten geben. Und ich bin sicher, unsere Mitarbeiter sind stark genug, um sich da einzufühlen. Gleichzeitig habe ich auch die andere Gruppe gebeten, näher zusammenzurücken. Nämlich die Unternehmenspartner, Großspender- und Stiftungsbetreuer. So werden wir zwei Gruppen haben. Eine mit individuellem und eine mit institutionellem Bezug, mit denen auch Programmerwartungen und verschiedene Kommunikationskanäle verbunden sind.
Letztendlich muss ich davon ausgehen, dass wir unsere Ressourcen für das Fundraising nicht erhöhen können. Wir müssen auch sehen, dass in den wohlhabenderen der ehemals armen Ländern, in denen wir aktiv sind, zunehmend eigenes Fundraising betrieben wird. Aber bis das funktioniert, sind wir dort bis ans Limit gefordert, die Finanzierung zu leisten. Somit bleibt es hier beim alten Etat, der im Haus gezielt und effizient, eventuell auch neu verteilt werden muss. Unsere Marke steht fest. Sie ist ein Schatz und ein kleines Stück Magie und eng verbunden mit dem kleinen Glück, dass man persönlich erleben kann, wenn man sich in die Welt des SOS-Kinderdorfs begibt.

(Fotograf: Andreas Friedle, SoS Kinderdorf weltweit)

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