AKTUELLE DEBATTE

Charity Watch: Wer urteilt über uns?

„Auch über unsere Aktion wurde schlecht berichtet, so dass unsere Sponsoren, die googeln und auf Charity Watch stoßen, total verunsichert sind. Täglich erleben wir Rücktritte aufgrund des Negativ-Berichtes. Dass wir innerhalb der letzten 5 Jahre über 500 Einrichtungen immer zeitnah und korrekt mit unserem Trösterteddy beliefert haben, das interessiert Herrn Loipfinger nicht, obwohl wir ihm eine Auslieferungsliste zugesandt haben – jedoch hat er von uns keine Jahresberichte erhalten, aber das hätte mit Sicherheit auch nichts genützt. Wenn jemand einen an den Pranger stellen möchte, dann findet man was, das Ganze noch schön formuliert und der Erfolg ist einem sicher,“ schreibt Gertraud Beißer von der Kinderhilfe Eckental in ihrem Kommentar im MediaBlog imagine.

Ähnliche Erfahrungen haben zahlreiche NGOs seit 2008 mit dem Online-Portal charitywatch.de gemacht. Nach eigenen Angaben des Betreibers wurden inzwischen über 180 gemeinnützigen Organisationen unter die Lupe genommen und auf ihre Glaubwürdigkeit geprüft. Die Beurteilungen werden auf der Homepage von CharityWatch veröffentlicht und sollen zur Verbesserung der Spendenkultur in Deutschland beitragen.

Laut aktueller Berichterstattung auf charitywatch.de, gibt es in Deutschland derzeit 31 Organisationen, denen Spender vertrauen können. Bei den restlichen Organisationen wird zwischen den NGOs unterschieden, denen sich Spender mit Vorsicht nähern sollen (14 NGOs) und diejenigen, von denen Spender öffentlich gewarnt werden (111 NGOs). Die letzte Gruppe ist in einer Warnliste zusammengefasst, alphabetisch und nach Zuwendungszweck sortiert. Ein Klick auf den Namen der Organisation führt zu redaktionellen Beiträgen über sie, z.B. unter dem Titel „Irreführung der Spender“ oder „Spendensiegel trotz Spendertäuschung“. Am Ende des jeweiligen Beitrags wird in der Rubrik „Charity Watch-Meinung“ eine Beurteilung über die Organisation abgegeben, die Spendern helfen soll, sich für oder gegen die Unterstützung dieser NGO zu entscheiden.

Dossier CharityWatch: Im Dienste der SpenderLogo

Das Portal hat sich zum Ziel gesetzt, „einen Beitrag zur Verbesserung der Spendenkultur in Deutschland zu leisten“ und versteht sich als „Informationsportal für alle, die sich mit Spendenorganisationen näher beschäftigen wollen.“ Wer steckt eigentlich dahinter?

Stefan Loipfinger, der Chef von CharityWatch ist ein freier Wirtschaftsjournalist aus Rosenheim und konzentriert sich seit 2008 auf Non-Profit-Organisationen. Zuvor hat er als Experte die Immobilienfonds und andere Beteiligungsmodelle beurteilt, in der Zukunft soll es um die 100 besten Tierheime in Deutschland gehen. Die Internetseite charitywatch.de wird von Stefan Loipfinger privat betrieben.

So werden NGOs von Charity Watch beurteilt

Eine typische Anfrage von Charity Watch an eine NGO enthält eine Aufforderung, den letzten verfügbaren Jahresbericht und die Finanzzahlen an den Betreiber des Portals per Email zu senden, „gerne auch als pdf“. Je nachdem, ob und wie schnell eine Organisation reagiert, werden die ersten Schlüsse über ihrer Glaubwürdigkeit gezogen. Stellt eine NGO die angeforderten Unterlagen zur Verfügung, werden sie nach dem hauseigenen Raster von Charity Watch überprüft. Die Ergebnisse dieser Beurteilung liegen der redaktionellen Berichterstattung über die jeweilige Organisation zugrunde.

Ist eine gemeinnützige Organisation nicht bereit, den Betreibern des Portals per Email Auskünfte über ihren Jahresabschluss zu geben, kommt sie auf die Warnliste mit dem klaren Hinweis für Spender: „Vor Spenden und Zuwendungen an diese Organisation wird gewarnt.“ Den redaktionellen Beiträgen über diese Organisation werden die so genannten Tags zugefügt, Stichwörter, die die Suche im Internet erleichtern. Diese enthalten u. a. den Namen der Organisation und ihrer Mitarbeiter. Sucht ein potenzieller Spender gezielt Informationen über die betroffenen Organisationen im Internet, landet er schnell bei den Negativ-Berichten von Charity Watch.

Experten-Kommentare: Charity Watch – nur ärgerlich oder auch sinnvoll?

NGO-Dialog hat zwei renommierte Experten des Dritten Sektors Dr. Christoph Müllerleile und Patrick Tapp gebeten, die Arbeit von CharityWatch und ihre Rolle in der Etablierung der Spenderkultur in Deutschland zu kommentieren.

Dr. Christoph Müllerleile: Jede private Institution ist als Spendenwächter überfordert

Die Arbeit von Charity Watch ist grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings haben sich schon eineDr. Christoph Müllerleile Menge Leute in diesem Metier versucht, auch Journalisten, und sind an den hohen Anforderungen gescheitert. Zu den Realitäten gehören:

1. Es gibt rund 500.000 gemeinnützige Organisationen und angeblich 10.000, die bundesweit sammeln. Wer will die alle wirklich prüfen? Zum Beispiel die vielen Sportvereine, die zum Teil viel mehr Umsatz machen als die von Herrn Loipfinger ins Auge gefassten.

2. Es ist außerordentlich riskant, Leuten, die die Arbeit einer Organisation nicht kennen, die Interpretation von Zahlen zu überlassen. Herr Loipfinger ist in der Vergangenheit nicht als Experte im Non-Profit-Bereich aufgefallen. Jeder stellt an Jahres- und Rechenschaftsberichte andere Anforderungen, das DZI andere als PwC, das Finanzamt andere als das IDW. Die Zahl der selbsternannten Spendenwächter nimmt zu. Aber niemandem ist es bisher gelungen, einheitliche Kriterien für die Definition von Verwaltungs-, Werbungs- und Projektkosten durchzusetzen.

3. NPOs stehen in zum Teil hartem, auch wirtschaftlichem, Wettbewerb. Man denke nur an die großen Gesundheitsvereine wie Rotes Kreuz, Johanniter, ASB und Malteser. So lange keine Wettbewerbsgleichheit zwischen den Nonprofits, die gerne transparent sein würden, und denen, die Informationen verbergen, hergestellt ist, kann man von den Transparenzbereiten keine volle Offenlegung verlangen, oder nur allenfalls gegenüber unbefangenen Prüfern, die keine Geschäftsgeheimnisse verraten dürfen.

Meine Meinung ist schon seit langem: Jede private Institution ist als Spendenwächter überfordert. Nur gesetzliche Auflagen machen alle gleich. In England, Schottland, Wales und Nordirland sind es staatliche Charity Commissions, die Transparenz auf einheitlicher Definitionsbasis erzwingen, in den USA die Finanzbehörden des IRS. Die Watchdogs, die es dort noch zahlreicher gibt als bei uns, arbeiten mit deren Zahlen; jegliches Ranking findet auf einheitlicher Basis statt.

Dr. Christoph Müllerleile ist Journalist und seit 1977 im PR-Bereich für Non-Profit-Organisationen, seit 1986 auch im Bereich Fundraising tätig. Er ist Mitgründer des Deutschen Fundraising Verbandes und seit 1998 Inhaber des Büros für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising in Oberursel/Taunus.

Patrick Tapp: „Wer kontrolliert die Kontrolleure?“

Grundsätzlich ist festzustellen, dass vor dem Hintergrund einer in der Regel in den MedienPatrick Tapp eher pauschal als differenziert geführten verbraucherpolitischen Diskussion um Betrugsfälle, Unseriösitäten und Datenschutzverletzungen, die Öffentlichkeit nach Kontrollsiegeln und Zertifikaten zu begehren scheint. Dies ruft natürlich und sofort unzweifelhaft die Akteure auf den Plan, die auf dieser Welle mitschwimmen möchten.

Es stellt sich also insbesondere bei den Aktivitäten der Kontrollierenden, z.B. bei Charity Watch, die Frage, aus welcher Kompetenz und eigenen Seriosität sie eigentlich nachvollziehbar ihre Legitimation ableiten, um den öffentlichen Meinungsmarkt zu bedienen und wie unkontrolliert sie den öffentlichen Meinungsbildungsprozess bestimmen dürfen.

Charity Watch z.B. bedient journalistisch eine latent verunsicherte Öffentlichkeit mit Informationen über angeblichen Spendenbetrug und die Befriedigung ihrer Grundangst. Dies ist als tatsächliche Kontrollfunktion und gemessen an der Verantwortung zu wenig. Allein der Umstand der medialen Wahrnehmung von Charity Watch hat dem Betreiber des Meinungsportals, Stefan Loipfinger, eine Autorität zugespielt, die er tatsächlich institutionell nicht ableiten kann, solange er sich selbst einer Transparenz und Kontrolle an den Maßstäben, die er auch an Dritte anlegt, entzieht.

In der Umsetzung der getroffenen Feststellungen bedeutet dies, dass eine nachhaltige Diskussion geführt werden muss, „wer kontrolliert die Kontrolleure“. Die Aufgaben in der Zivilgesellschaft sind nur durch Spenden realisierbar, wer in den Spendenmarkt eingreift, ohne sich den Folgen verantwortlich zu fühlen, wer möglicherweise die eigene Profilierung vor die nötige und ernsthafte Sachauseinandersetzung stellt, der trägt nicht zur Seriosität des Marktes bei. Kontrolle ist enorm wichtig, aber die Kontrolleure müssen ihre weiße Weste als Erste auf die Leine hängen!

Patrick Tapp ist der Geschäftsführer von DIALOG FRANKFURT GmbH und Vizepräsident des Verbraucherdialoges des Deutschen Dialogmarketing Verbandes (2005-2009).

Weitere Informationen zu diesem Thema:

CharityWatch – Für eine bessere Spendenkultur
Vortrag von Stefan Loipfinger auf dem DZI-Spenden-SiegelFORUM 2010 am 27.04.2010

CharityWatch: Spitze der Spitze des Eisbergs
Interview mit Stefan Loipfinger im Deutschlandfunk Kultur am 5.07.2010

CharityWatch verunsichert Millionen Spender
Originalbeitrag von Heinz-Jürgen Spors im MediaBLOG imagine vom 27.08.2010

Stefan Loipfingers Charitywatch: Geschäfte mit Warnlisten?
Originalbeitrag von Heinz-Jürgen Spors im MediaBLOG imagine vom 27.08.2010

„Hundehölle“: Ein Online-Portal schwärzt das Tierheim an
Originalbeitrag aus
Schwäbische Zeitung vom 16.09.10

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