AKTUELLE DEBATTE

Zaudern und Zögern

Bald kein Protest mehr? Campact verliert Status der Gemeinnützigkeit.
Bald kein Protest mehr? Campact verliert Status der Gemeinnützigkeit.

Nun also auch Campact e.V.: Die Bürgerbewegung, die Politik zum Handeln zwingen will, verliert durch deren Untätigkeit nach dem Attac-Urteil ebenfalls ihre Gemeinnützigkeit. Auch die aktuellen Entwürfe und Vorschläge sind nicht dazu geeignet, Demokratie-Initiativen und Menschenrechte als gemeinnützig anzuerkennen.
Im sogenannten Attac-Urteil hat der Bundesfinanzhof im Februar begründet, dass gemeinnützige Organisationen nur im Einzelfall auf tagespolitische Fragen eingehen dürfen, wollen sie ihre Gemeinnützigkeit behalten. Er stellte fest, dass die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung […] keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt“. Damit wurde der Begriff der politischen Bildung sehr eng gefasst, der bisher vielen Organisationen auch dazu diente, sich politisch zu engagieren.


Schuld hat der Finanzminister

Die Folge ist nun auch die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von Campact e.V., der dafür Finanzminister Olaf Scholz die Schuld gibt. „Was für ein fatales Zeichen: In Zeiten, wo Hunderttausende Menschen mit Campact für Klimaschutz und gegen Rechts auf der Straße streiten, wird deren Engagement als nicht gemeinnützig abgewertet und entwürdigt“, sagt Campact-Vorstand Felix Kolb. „Verantwortlich für diesen Fußtritt ist vor allem Finanzminister Scholz: Er drückt sich seit Monaten um eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts, die endlich Rechtssicherheit schaffen würde. Die Gesetzgeber in Bund und Ländern müssen endlich den völlig veralteten Zwecke-Katalog reformieren und den Begriff der politischen Bildung aus seiner BFH-Zwangsjacke befreien.“


Scholz kündigt Änderungen an

Finanzminister Olaf Scholz (SPD) kündigte nun an, in den nächsten Wochen einen Vorschlag für die Reform des Steuerrechts vorzulegen. Derzeit führe sein Ministerium Gespräche mit Nichtregierungsorganisationen und den Länderfinanzministerien. Mit Campact wollte der Minister allerdings nicht sprechen, wie Felix Kolb mitteilte. Die plötzliche Initiative darf auch ein wenig bezweifelt werden. Die bisher an die Öffentlichkeit gelangten Vorschläge sind alles andere als ausgereift, obwohl seit Februar 2019 genug Zeit war. Bisher hat man sich offenbar nur auf einen minimalen Konsens einigen können, nämlich dass Freifunk, Friedhofspflege und Menschenrechte neu in den Katalog der Abgabenordnung aufgenommen werden sollen. Kolb sieht darin nur Schönheitskorrekturen: „Minister Scholz muss unmissverständlich klarstellen: Gemeinnützige Organisationen dürfen uneingeschränkt zu ihren Zwecken politisch aktiv sein. Die Zivilgesellschaft muss erst dann keinen Maulkorb mehr fürchten, wenn sie sich auch über die Zwecke hinaus politisch äußern kann, ohne den Verlust der Gemeinnützigkeit zu riskieren.“


„Politische Körperschaft“ löst kein Problem

Die Angst, dass politische Betätigung gemeinnützig werden könnte, ist offenbar groß. „Politische Betätigung kann nur Nebenzweck eines gemeinnützigen Vereins sein“, sagte die finanzpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Antje Tillmann, dem Handelsblatt. In einem Bund-Länderpapier, ist nun von einer neuen „Politischen Körperschaft“ die Rede, die nicht gemeinnützig ist, aber Spenden steuerlich geltend machen kann. Für Stefan Diefenbach-Trommer, Sprecher der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung e.V.“, die mittlerweile schon 130 Mitglieder vereinigt, löst diese neue Vereinsform das Problem nicht: „Das wäre eine starke Abtrennung von politischem Engagement von gemeinnützigem Engagement. Doch tatsächlich wirkt gemeinnütziges Engagement immer auf die Gesellschaft ein und ist in dem Sinn politisch. Gemeinnütziges Engagement ist stets der Versuch, die Welt besser zu machen – selbstlos das Allgemeinwohl zu fördern.“


Interessenkonflikte durch Spenden?

Offenbar befürchten die Parteien politische Einflussnahme durch Personen, die Vereine mit viel Geld ausstatten und dann revoltieren lassen. Diefenbach-Trommer sieht darin einen Denkfehler. „Dafür braucht es andere Regeln, zum Beispiel ein Lobbyregister. Wer politische Einmischung aus der Gemeinnützigkeit drängen will, trifft damit vor allem die Menschen, die sich mal mit viel Zeit und mal mit einer 40-Euro-Spende für Demokratie und Menschenrechte engagieren. Es ist rechtlich weder geboten noch begründet, die politische Betätigung gemeinnütziger Organisationen zur Verfolgung ihrer Zwecke zu begrenzen, solange die Organisationen parteipolitisch neutral sind. Wenn Klimaschutz ein gemeinnütziger Zweck wird, müssen auch das Demonstrieren dafür und Forderungen an Parteien und Regierung eine zulässige Tätigkeit sein.“


Fehlende Unterstützung

Angesichts dieses politischen Arbeitsstandes ist nicht davon auszugehen, dass dieses Jahr noch etwas Entscheidendes passiert. Lobby-Control befürchtet sogar ein Ungleichgewicht, weil Lobbyverbände der Wirtschaft weiter Steuervorteile genießen. Campact wird nämlich Steuern von 300.000 Euro zurückzahlen müssen und wird von Stiftungen nicht mehr unterstützt werden können. Wohl auch deshalb haben sich einige Verbände zusammengeschlossen und eine Charta der Gemeinnützigkeit verabschiedet, in der sie die Regierung auffordern, die Rahmenbedingungen für Gemeinnützige nicht einzuschränken, sondern zu verbessern. „Zivilgesellschaftliche Organisationen sind nicht die Meckerer, sondern die Gestalter des gesellschaftlichen Zusammenhalts und legen bei Bedarf den Finger in die Wunde. Wenn eine sich selbst ermächtigende Zivilgesellschaft vom Staat ausgetrocknet wird – und das können wir leider in einigen europäischen Ländern beobachten –, stirbt letztlich auch ein wichtiger Teil der Demokratie“, so die Organisationen in ihrer Einschätzung. Die großen Wohlfahrtsverbände sind aber nicht dabei und schweigen auffällig. Gerade sie würden schon wegen der 1,4 Millionen Haupt- und 3-4 Millionen ehrenamtlichen Menschen, die dort arbeiten, und vieler Politiker, die in ihren Vorständen sitzen, das Thema voranbringen. Es wäre Zeit, sich jetzt stärker zu solidarisieren und gemeinsam für ein modernes Gemeinnützigkeitsrecht zu streiten.

(Bild: Chris Grodotzki / Campact)

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