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Die Revolution zieht Bilanz

Gemeinwohl

2010 klang es nach Revolution. Der Kapitalismus ist am Ende, es braucht neue Ziele für wirtschaftliches Handeln und die können nur im Gemeinwohl und nicht in individuellem Gewinnstreben liegen. So machte Christian Felber sein Modell einer Gemeinwohl-Ökonomie bekannt. Mittlerweile gibt es viele Kritiker aber auch schon 1500 Unternehmen, die eine erste Gemeinwohlbilanz veröffentlicht haben.

Oliver Viest von <em>faktor, einer Beratungsfirma für gemeinnützige Organisationen, kam vor zwei Jahren auf das Thema. „Ich fand die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie von Anfang an faszinierend. Das ganze Praxis-Know-How des ökonomischen Ansatzes ließ sich auf ein A4-Blatt in Form einer Gemeinwohlmatrix reduzieren. Das hat mich überzeugt. Es war eine erfolgreiche Reduktion eines sehr komplexen Problems.“ Denn wie er suchen viele Organisationen nach einem Ansatz, ihre gesellschaftliche Wirkung echt zu messen. Die Gemeinwohlbilanz soll dabei helfen und bildet das Herzstück des ökonomischen Modells von Christian Felber. Sie misst unternehmerischen Erfolg in einer neuen Bedeutung. Die Wirtschaft soll dem Gemeinwohl dienen und das soll die Bilanz belegen. Der Finanzgewinn sei zu aussageschwach in Bezug auf die eigentlichen Ziele des Wirtschaftens, meint er. Die Schaffung von Nutzwerten, Bedürfnisbefriedigung, Sinnstiftung, Teilhabe aller, Mitbestimmung, Geschlechterdemokratie, ökologische Nachhaltigkeit, Lebensqualität, all das sei kaum berücksichtigt. Diese Aspekte finden sich maximal in Nachhaltigkeitsberichten, aber nicht in der letzten Konsequenz und schon gar nicht extern bewertet.

Gemeinwohlbericht von em-faktor
Gemeinwohlbericht von em-faktor

Gut sein reicht nicht

Bei solch einer Bewertung kann es durchaus zu Überraschungen kommen, wie Viest im Rückblick auf seine erste Bilanz feststellte: „Ich hatte immer das Gefühl, wir arbeiten ja für die Guten und die richtige Branche. Aber wie viel gesellschaftliche Wirkung wir wirklich erzielen, war mir nicht klar.“ So bezieht seine Firma grünen Strom, legt Geld bewusst bei der GLS Bank an, legt Wert auf den Einkauf nachhaltiger Produkte und die Mitarbeiter trinken fair gehandelten Kaffee. „Ich musste aber feststellen wie wenig das im Vergleich zu anderen Punkten Berücksichtigung findet. Weil das alles im Vergleich zu den Leistungen, die wir als Dienstleistungen einkaufen, Peanuts sind.“ So entstand die Idee, sich Ethik-Richtlinien für den Einkauf von Dienstleistungen zu geben, weil diese einen viel größeren Einfluss auf die Gesellschaft, insbesondere die Lieferanten haben.

Dieses Beispiel zeigt, das auch die viel beschworene Corporate Social Responsibility mit dem umfassenderen Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie nicht mithalten kann. „Gemeinwohl-Ökonomie macht CSR-Abteilungen überflüssig, weil der Anspruch besteht, in allen Funktionsbereichen eines Unternehmens ethische Standards, Fairness, Nachhaltigkeit und ökologisches Bewusstsein zu repräsentieren. Da geht es nicht um externe Leistungen von NGOs, mit denen man gemeinsame Projekte macht, sondern es geht viel stärker um die Produktionsweise und den Umgang mit Kunden und Mitarbeitern. Wenn ein Unternehmen strikt gemeinwohlorientiert ist, braucht es kein CSR mehr, denn es ist dann in der DNA des Unternehmens enthalten“, erläutert das Viest.

Prozess der Gemeinwohl-Bilanz-Erstellung, Quelle: Freiburg im Wandel
Prozess der Gemeinwohl-Bilanz-Erstellung, Quelle: Freiburg im Wandel

Gemeinnützige könnten profitieren

Das dieses Modell auch für Vereine und Stiftungen interessant sein kann, liegt somit auf der Hand, haben sie doch gesellschaftliche Ziele als gemeinnützige Organisationen und interagieren stark mit Bezugsgruppen, die im Ansatz der Gemeinwohl-Ökonomie eine große Rolle spielen. Doch gerade hier wird es schwierig. Viest sieht die Non-Profit-Organisationen, die er treffender als Social-Profit-Organisationen beschrieben haben will, in der Bringschuld. „Es reicht nicht, sich hinter dem ‚Wir tun ja Gutes‘ zu verschanzen. Erst eine substanzielle Prüfung kann das wirklich bewerten und das tut die Gemeinwohlbilanz.“ Social-Profit-Organisationen hätten es aus seiner Sicht am dringendsten nötig, aktiv zu werden und sich bewerten zu lassen.

Dabei könnten Spendenorganisationen bereits gut punkten. Etwa beim Kriterium ethisches Verkaufen, durch die Mitgliedschaft im Deutschen Fundraisingverband und der damit einhergehenden Verpflichtung die 19 ethischen Grundregeln einzuhalten oder das Spendensiegel zu führen. Solche Zertifikate können da eingebracht werden. Es sei aber unzweifelhaft eine Herausforderung für die Organisationen. „Viele Unternehmen und Organisationen tun schon so viel und könnten sich mit einer Gemeinwohlbilanz strategisch viel besser aufstellen“, analysiert Viest. Andreas Michael Gieselbrecht, Pressesprecher der Initiative Gemeinwohl-Ökonomie sieht Stiftungen und Vereine sogar durch eine Gemeinwohlbilanz an Glaubwürdigkeit gewinnen, „ähnlich oder sogar besser als durch das Spendensiegel“, wie er sagt. Er denkt dabei auch gleich weiter, denn durch die dokumentierten Gemeinwohl-Leistungen der Organisationen könnten zukünftig auch Belohnungssysteme wie Steuervergünstigungen daran ansetzen. Dies ist zweifellos noch Zukunftsmusik. Ganz praktisch verzeichnen Unternehmen, die eine solche Bilanz veröffentlichen, zum Beispiel steigende Bewerberzahlen. Für Viest ist die Bilanz nur der erste Schritt. Selbstkritisch gibt er zu: „Auch wir sind kein herausragend bewertetes Unternehmen, aber wir legen öffentlich dar, dass wir es ernst meinen und welche Ziele wir noch haben, und das macht es glaubhaft.“ Genau da liegt der Vorteil gegenüber CSR, das leicht zum Lippenbekenntnis oder Greenwashing verkommt. Durch die externe Bewertung ist das schwer möglich. Zunächst wird die Bilanz unternehmensintern erstellt und geprüft und dann zum – externen – Audit gebracht, wo die Bestätigung, das Testat, erfolgt. Erst wenn dieses vorliegt, „gilt“ die Bilanz.

Reges Interesse von Stiftungen

Nach vier Jahren hat die Idee der Gemeinwohl-Ökonomie viele Unterstützer. Denn auch Gemeinden oder Bildungseinrichtungen können sich bewerten lassen. Mittlerweile ist die Idee auch nicht mehr nur in Deutschland und Österreich präsent, sondern auch in der Schweiz, Spanien und Südamerika. Die Bewegung wächst in regionalen Gruppen und sogenannten Energiefeldern, Pionier-Netzwerken und Organisationen, Unternehmen und Universitäten. Anfang 2014 unterstützten bereits über 1500 Unternehmen aus 30 Staaten die Gemeinwohl-Ökonomie.

Nur im gemeinnützigen Bereich will die Idee noch nicht so richtig Fuß fassen. Lediglich drei soziale Organisationen haben bereits eine Gemeinwohlbilanz erstellt. Darunter das Rudolf Steiner Seminarhaus in Hamburg. Gieselbrecht empfiehlt den Vereinen eine solche Bilanz nicht als statisch zu sehen. Vereine können sich viele kleine erreichbare Ziele stellen und dabei ihre Beziehungsarbeit schrittweise stärken. „Das lohnt sich sehr!“, macht Giselbrecht Mut und verzeichnet aktuell vor allem aus dem Stiftungsbereich ein reges Interesse. Kein Wunder, sind Stiftungen doch wegen der starken Position des Stifters ohne demokratische Mitsprache viel stärker auf öffentliche Legitimation angewiesen als Vereine. Ob sich die Gemeinwohl-Ökonomie als politisches System durchsetzt, steht noch in den Sternen. Dass sie eine größere Transparenz fördert und damit eine Grundlage für glaubwürdigere Beziehungen zu Stakeholdern darstellt, steht schon außer Frage.

(Bilder: <em>faktor, Freiburg im Wandel)

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