AKTUELLE DEBATTE

Nichts wird gut durch Retouren

Mehr als die Hälfte der Onlinehändler entsorgt Retouren.
Mehr als die Hälfte der Onlinehändler entsorgt Retouren.
Foto: Statista.com

Aus der Diskussion um die Vernichtung von retournierten Artikeln durch Online-Händler entwickelte sich die Forderung, diese Artikel doch zu spenden. Die Realität zeigt aber, dass dies gar nicht so einfach ist und noch einige Hürden bis dahin im Weg stehen, wenn es überhaupt gewünscht ist.

von Matthias Daberstiel

Sachspenden lösen bei vielen Menschen in Deutschland einen eigentümlichen Reflex aus. Gespendet wird nicht, was gut ist, sondern was weg muss. Erinnert sei hier nur an die letzte Flutkatastrophe in Deutschland, wo beispielsweise pinke und pastellfarbene Cowboystiefel für Menschen gespendet wurde, die alles verloren hatten. Sachspenden sind nicht immer sinnvoll, geschweige denn verwertbar. Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe stellte die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen Katrin Göring-Eckardt die Forderung, Online-Händlern zukünftig die Vernichtung von retournierten Artikeln zu verbieten. Dafür sollen zurückgeschickte Produkte wieder in den Handel oder wenn das nicht mehr möglich ist, gespendet werden – etwa über Sozialkaufhäuser. Zudem müssten die Rohstoffe zurück in den Wertstoffkreislauf. Eine schöne plakative Idee, die bei näherer Betrachtung aber bereits an der Masse der Retouren scheitern dürfte.


Massenhaft Retouren

Die Arbeitsgruppe Retourenmanagement an der Universität Bamberg hatte erst kürzlich neue Studienergebnisse zum Thema veröffentlicht. Danach wurden 2018 in Deutschland schätzungsweise 280 Millionen Pakete und 487 Millionen Artikel retourniert. Damit wird im Schnitt etwa jedes sechste ausgelieferte Paket und jeder achte bestellte Artikel zurückgeschickt. Bei der Frage wie viel davon tatsächlich vernichtet oder gespendet wird, geht die Arbeitsgruppe nach ihrer Umfrage unter Händlern davon aus, das 92 Prozent der Waren wiederverkauft werden. Lediglich 0,9 Prozent werden gespendet und knapp vier Prozent entsorgt. Die ZDF-Sendung Frontal 21 zeigte allerdings, dass Amazon wesentlich mehr entsorgt. Andere Studien gehen ebenfalls von einem deutlich höheren Entsorgungs-, aber auch Spendenanteil aus (siehe Bild). Auch Bitkom ermittelte hohe Retourenquoten: Bei Schuhen und Mode gehen bis zu 80 Prozent der Waren wieder zurück. Überdurchschnittlich häufige Retourennutzer sind 14- bis 29-jährige Online-Einkäufer sowie Frauen, die jeden siebten Einkauf wieder an den Online-Händler retournieren, bei Männern ist es etwa jeder zehnte Einkauf.


Kleiderspende überfordert

Fakt ist, dass ein riesiger Berg an Produkten jedes Jahr wegen unseres Konsumverhaltens vernichtet wird. Inzwischen werden weltweit mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke pro Jahr hergestellt. „Fast Fashion“ nennt sich dieses Geschäftsmodell, in dessen Folge die Nutzungsdauer der einzelnen Kleidungsstücke enorm sinkt. Schon jetzt kommt von dieser Kleiderflut sehr viel in den Sammlungen der gemeinnützigen Organisationen an. Mit existenzbedrohenden Konsequenzen für die gesamte Alttextilbranche in Deutschland. Über eine Million Tonnen werden in jedem Jahr in Sammlungen gegeben – mit stark steigender Tendenz. Die Branche, die an erster Stelle tragbare Kleidungsstücke als Secondhand-Ware wiederverwendet und nicht mehr tragbare Teile dem Downcycling zuführt, kann laut Fachverband Fairwertung e.V. die enormen Mengen kaum noch aufnehmen.


Kleidung nicht mehr verwendbar

Eine ökologisch sinnvolle und ressourcenschonende Weiterverwendung der Textilien wird daher zunehmend schwierig. Denn minderwertige Bekleidungsstücke aus billigen Materialmischungen können nicht als Secondhand-Bekleidung weiterverwendet werden. Sie sind außerdem nur bedingt oder sogar gar nicht für ein Recycling verwendbar. Entsprechend stellen lediglich moderne und unbeschädigte Kleidungsstücke eine echte Unterstützung für gemeinnützige Sammler dar. „Wir brauchen ein Umdenken entlang der gesamten textilen Kette“, fordert daher Andreas Voget, Geschäftsführer des Dachverbandes FairWertung e.V. Bereits im Produktdesign müsse die Recyclingfähigkeit von Kleidungsstücken mitgedacht werden. Außerdem müsse die Langlebigkeit von Textilien wieder ein Kaufkriterium für Verbraucher sein, so Voget.

Amazon spendet Retouren an innatura zur Weitergabe an gemeinnützige Organisationen.
Amazon spendet Retouren an innatura zur Weitergabe an gemeinnützige
Organisationen.
Foto: innatura

Innatura setzt auf Sachspenden von Händlern

Die Tatsache, dass es keine Verwerter für große Mengen an Sachspenden gibt, führte 2013 zur Gründung von innatura. Die Online-Plattform gibt Sachspenden von Händlern günstig an gemeinnützige Organisationen in Deutschland ab. „Ohne Amazon gäbe es innatura in dieser Form nicht“, sagt Dr. Juliane Kronen, Gründerin und Geschäftsführerin von innatura. Die Produktpalette von rund 1.500 verschiedenen Artikeln bei innatura wird stark durch die Spenden des führenden Online-Händlers dominiert. Kronen: „Spielzeug, Werkzeug, Elektro- und Hausgeräte, aber auch Körperpflegeartikel sind besonders beliebt bei den Einrichtungen. Sie helfen ihnen Geld zu sparen, das an anderer Stelle eingesetzt werden und direkt Bedürftigen zugutekommen kann. Und der Hebel dieser Spenden ist gewaltig: „Ein Euro hat bei innatura eine Kaufkraft von bis zu 6 Euro“, sagt Juliane Kronen. Bislang wurden über innatura Waren im Wert von über 14 Millionen Euro verteilt. Der soziale Sektor konnte so über 13 Millionen Euro einsparen, über 2.000 Tonnen Abfall wurden vermieden, und die bestellenden Organisationen erreichen über 500.000 Menschen mit ihren Angeboten. Das Problem dabei: Es könnte viel mehr sein, wenn nicht das Finanzamt bei jeder Sachspende 19 Prozent Umsatzsteuer draufpacken würde. Wegwerfen ist momentan noch billiger als Spenden.


Finanzamt bremst

Die Diskussion, Sachspenden von der Umsatzsteuer zu entlasten, wird allerdings auch schon lange geführt. Zuletzt wurde eine Ausnahme für Bäcker eingeführt. Doch bei der hohen Anzahl der Online-Retouren scheint ein Verzicht auf die Umsatzsteuereinnahmen durch Spenden kaum denkbar. Auch, weil es durch das massenhafte Spenden keine Änderungen im Verbraucherverhalten geben wird. Im Gegenteil. Es ist zu befürchten, dass noch mehr gekauft wird, weil es ja bei Retour zu einer Spende wird. Außerdem würde das auch größere Investitionen bei den Sachspenden verwertenden NGOs brauchen, wie Marcus Böck, verantwortlich für Fundraising und Öffentlichkeitsarbeit bei der Deutschen Kleiderstiftung bestätigt. „Für die Kleiderstiftung lässt sich sagen, dass bei enorm steigender Anzahl der Sendungen die Zahl der Belegschaft und der Raum für die Arbeit steigen muss“. Böck sieht aber auch Chancen, wenn der Gesetzgeber mitspielt. „Sicher kann es für weitere NGOs attraktiv sein, die Einwerbung von Sachspenden stärker zu fokussieren, um sich anschließend durch den Verkauf beispielsweise in Charity-Shops etwas von der Abhängigkeit von Geldspenden zu lösen. Spannend wäre die Entwicklung im Bereich der Retouren, die defekt und unbrauchbar sind. Inwieweit NGOs hier zur Recyclern, Upcyclern oder Reparateuren werden können, oder ob neue NGOs mit eben diesen Skills entstehen, bleibt abzuwarten“, so Böck.

Schlussendlich muss man konstatieren, dass die Grünen hier sicher ein wichtiges Umwelt-Thema angepackt, aber nicht zu Ende gedacht haben. Spenden statt wegwerfen löst das Problem nicht. Damit ändert sich am Verbraucherverhalten wenig. Das Umweltproblem könnte sogar durch den „guten Zweck“ für die Retouren noch weiter verschärft werden. Denn nicht jede Sachspende ist auch nützlich.

(Bilder: Statista.com, innatura)

Zurück

Einen Kommentar schreiben