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Dem Hochwasser 2013 fehlt die mediale Dramatik

Sandsack-Flash-Mob

Das Hochwasser ist fast überall abgeflossen. Allein die Spendenbereitschaft scheint mit den Schäden, die sogar größer sind als 2002, der ersten „Jahrhundertflut“ des 21. Jahrhunderts, nicht Schritt zu halten. Eine erste Analyse.

Der Spendenstand 2013 für die Hochwasser-Opfer und Einsatzkräfte hat bisher nicht die 350 Millionen von 2002 erreicht. Momentan dürften es nach Recherchen des Fundraiser-Magazins mit seiner Seite flutspenden.de bei knapp über 100 Millionen liegen. Diese Zahl überrascht trotzdem, denn schon vier Tage nach den dramatischen Pegelständen der Elbe und Donau Anfang Juni verkündete das Deutsche Rote Kreuz eine deutlich geringere Spendenbereitschaft als noch 2002. Mittlerweile relativiert der Pressesprecher des DRK, Dr. Dieter Schütz, die damaligen Aussagen: „In der ersten Woche lief das Spendenaufkommen sehr langsam an. Ab der zweiten Woche legte es deutlich zu. Bis 25. Juni gingen bei uns Spenden in Höhe von 14,7 Millionen Euro ein. Das ist ganz gut, liegt aber unter dem Spendenaufkommen der Flut 2002.“

Doch was ist der Grund? Für Schütz kam die nächste Flut einfach zu schnell: „Die zweite Jahrhundertflut innerhalb von elf Jahren hat bei vielen Menschen vielleicht zu einem gewissen Gewöhnungsprozess geführt“, meint er. Andere dagegen können das gar nicht bestätigen oder wollen sich nicht an Spekulationen beteiligen. So etwas Matthias Renner vom Arbeiter Samariter Bund Deutschland, der bereits fünf Millionen Euro im Spendentopf verbucht. „Die Spendenbereitschaft bei unseren Mitbürgern und Unternehmen ist außerordentlich hoch. Insbesondere der tatkräftige Einsatz freiwilliger Helfer vor Ort verdient eine besondere Würdigung“, betont er. Gerade an der Stelle kommen viele Fundraiser ins Schwärmen, denn was in den letzten Wochen über Facebook an freiwilliger Hilfe organisiert wurde und noch wird, ist ein absolutes Novum für Deutschland und beispielgebend. Es waren allerdings viele junge Menschen, die ihre Zeit in einen „Sandsack-Flash-Mob“ investierten, wie es THW-Pressesprecher Nicolas Hefner augenzwinkernd aber mit hohem Respekt für die Leistungen der jungen Leute formuliert. Helfen dürfe halt auch Spaß machen. Doch das ist nicht die Spendenzielgruppe, wie vergangene Krisen zeigten.

Kritischer äußern sich die Pressesprecher der Wohlfahrtsverbände zur Rolle der Medien in der Krise. So stellt Therese Raatz, Pressesprecherin der Johanniter, fest: „Dass die Spendenbereitschaft sich diesmal langsamer entwickelt hat und insgesamt auch deutlich geringer war als 2002, liegt unseres Erachtens nicht zuletzt daran, dass die Spendenaufrufe in den Medien insbesondere in den Printmedien weniger intensiv transportiert wurden.“

Auch die Alarmstimmung fehlte den NGOs. „2002 stand die Nation ja unter Schock“, stellt Dieter Schütz fest. Das Wasser kam praktisch ohne Vorwarnung. Auch Christine Decker, Fundraiserin bei der Caritas, sieht das so. „Es ist gut, dass die Menschen in diesem Jahr besser auf die Flut vorbereitet waren. Vieles lief organisierter ab, aber der Spendenimpuls ist ja auch emotional und die Bilder in diesem Jahr waren zum Glück nicht so dramatisch wie noch 2002, als ganze Häuser wegschwammen“, analysiert sie und bringt mediale Dramatik und Spenden in einen Zusammenhang. Gelobt wird der MDR, der es wieder fertig brachte, nur vier Tage nach Flutbeginn eine Sondersendung zu produzieren, welche 4,4 Millionen Euro einbrachte. Ähnliches gelang dem Bayerischen Rundfunk mit seinem Fluthilfe-Tag und seiner Benefizaktion „Sternstunden“. Hier kamen 9,6 Millionen Euro zusammen. Der auf eine Spendengala verzichtenden ARD wird dagegen wenig Effizienz bescheinigt. „Nach unserer Einschätzung sind die Sonderformate erfolgsversprechender. So hat die regionale MDR-Gala mehr Spendeneinnahmen erzielt als der Spendenmarathon der ARD“, stellt Therese Raatz fest. Kein Wunder, dass sich die Presse-Erklärungen der Sendeanstalten wie Rechtfertigungen anhören. Da soll die Anzahl der Sendungen mit Flutinformationen von der ausgefallenen Spendengala eindeutig ablenken. „Die ARD hat durch den mehr als 27-stündigen Spendenmarathon am Wochenende bewiesen, dass sie schnell reagieren und in vielen Formaten die Zuschauer mobilisieren kann“, sagt da etwa Programmdirektor Volker Herres und erwähnt natürlich auch, dass die ARD an dem Tag mit 18,6 Prozent Quoten-Tagessieger war. 2002 sammelte das ZDF in einem eigenen Solidaritätskonzert „ Wir wollen helfen“ noch 6,4 Millionen Euro an einem Abend. Dieses Jahr hingegen etwas über 587.000 Euro über „Wetten dass“. Auch das vom ZDF unterstützte „Aktionsbündnis Katastrophenhilfe“, das DRK, Caritas, Diakonie und UNICEF vereint, macht keinen besonders schlagkräftigen Eindruck. 3,6 Millionen Euro kamen bis zum 25. Juni 2013 zusammen. Christine Decker von der Caritas schätzt aber den medialen Effekt auf die Spendenbereitschaft schon höher ein, sind diese Spenden doch nur über die Hotline zusammengekommen, denn das Aktionsbündnis hat, anders als Aktion Deutschland hilft (ADH), kein gemeinsames Spendenkonto.

ADH, das Spendenbündnis aus 22 Organisationen ist momentan unangefochtener Spenden-Spitzenreiter mit 20 Millionen Euro. Allein Mitglied „arche noVa“ aus Dresden kann 300.000 Euro an betroffene Vereine und Initiativen in Sachsen weitergeben. Thilo Reichenbach, Chef-Fundraiser des Bündnisses organisierte dafür mit seinem Team aber auch vielfältige Spendenaufrufe und steuerte eine große Online-Spendenkampagne per Google Adwords und Medien. Allein 6 Millionen Euro kamen online zusammen.

Auch die Kommunen und Landkreise waren diesmal direkt nach der Flut mit eigenen Spendenkonten gestartet. Momentaner Spitzenreiter ist die kleine aber höchst betroffene Gemeinde Deggendorf, die bereits über 1,5 Millionen Euro auf dem Konto hat – genauso viel wie das Bayerische Sozialministerium. Auch hier wird die mediale Komponente deutlich. Die Stadt Gera in Thüringen, aus der im Fernsehen live berichtet wurde, verbuchte innerhalb von zehn Tagen 125.000 Euro. Ähnliches vermelden andere Städte. Das Fundraiser-Magazin macht mit seinem Portal flutspenden.de noch eine andere Erfahrung: Spender wollen direkt an Projekte spenden. Verfolgen sogar konkrete Ziele. Ganz vorn in der Gunst sind Kindereinrichtungen aber auch Direktzahlungen an betroffene Bürger. Die Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten, die mit massiven Schäden im Greizer Landschaftspark samt Sommerpalais zu kämpfen hat, freut sich nach nur einer Woche, eigenen Aufrufen bei ihren Spendern und einer Vorstellung bei flutspenden.de über mehr als 45.000 Euro. Dass in der aktuellen Situationen konkrete Projekte meist erst feststehen, wenn das Wasser sich zurückgezogen hat und die Medien dann schon deutlich weniger berichten, macht diese Form des Fundraisings aber sehr aufwendig und schwierig. Eine Konkurrenz sehen die großen Organisationen in den kommunalen Projekten eher nicht. Die Johanniter bemerken lediglich kritisch, dass medieneigene Spendenprojekte zu Lasten von Spendenaufrufen für Verbände und Vereine gehen.

Daniela Felser vom Deutschen Spendenrat erwartet sogar noch eine deutliche Steigerung der Spenden und keinen Abfall gegenüber 2002. Laut der GFK-„Bilanz des Helfens“ müssten Katastrophen erst anlaufen, um Spendenbereitschaft auszuprägen. In der Hinsicht ist natürlich auch die Mobilisierung des eigenen Spenderpotenzials wichtig. So verzeichnet das DRK zwar weniger Spenden, dafür aber mit 100 Euro eine enorme Durchschnittsspende. Auch das kurzfristig ausgesandte Spendenmailing trug „wesentlich zum bisherigen Spendenaufkommen bei“, wie Dieter Schütz berichtet. Die Johanniter berichten ebenfalls, dass ihre Aktionen gegriffen haben. „Die Einnahmen aus unseren Spendenbriefen liegen etwa auf dem Niveau von 2002. Auch die Online-Aktionen waren durchaus erfolgreich“, gibt Therese Raatz an und bilanziert einen Spendenstand von 7,7 Millionen Euro.

Die Caritas erwischte zwar einen durchwachsenen Start, ist aber trotzdem zufrieden mit den bisher 7,5 Millionen Euro. Ausgerechnet kurz vor der Katastrophe hatte die Caritas bereits ein Mailing zum Thema Dürre mit der Bitte um Wasser-Spenden versandt. Es ließ sich nicht mehr stoppen. Ein zusätzliches Spendenmailing musste dann eben etwas später als üblich im Katastrophenfall versandt werden. „Wir sind total dankbar, dass unsere Spender so treu sind und uns so toll unterstützen.“ freut sich Decker. Alle befragten Verbände werden aber keine weiteren zusätzlichen Flutaktionen mehr fahren, wohl auch, weil die mediale Aufmerksamkeit stark nachlässt. Bei Flutspenden.de gehen trotzdem immer weiter konkrete Anfragen, sogar aus Schweden und der Schweiz ein. Ein Grund, auch bei den großen Spendenorganisationen jetzt noch über zielgerichtete Spendenprojekte nach dem Katastrophenfall nachzudenken.

(Foto: TW)

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