AKTUELLE DEBATTE

Didaktische Reduktion als Trumpfass im Kampf um die Aufmerksamkeit der Adressaten.

Gastbeitrag von Thomas A. Kramer

Das Rezeptionsverhalten unserer Adressaten wird immer durch das aktuell dominante Medium geprägt. Früher waren es Druckartikel, dann folgten die elektronischen, nun sind es die digitalen Medien. 2011 war der Durchschnittsdeutsche rund 137 Minuten pro Tag im Internet. Und dank Smartphones und der vielen kommunikativen und informativen Alternativen im Web 2.0 werden verbrachte Zeit in und Nutzung von Neuen Medien noch schneller wachsen. Vor allem wenn die Internetgeneration die Mehrheit der Bevölkerung stellt, wobei schon heute die spendenaffine 50+-Generation sich primär im Internet informiert und dort auch Inhalte der alten Medien verifiziert.

Nur 3% aller Botschaften kommen beim Adressaten an

Das Web 2.0 hat einen großen Anteil am informativen Overload: Im Schnitt wird jeder Deutsche derzeit mit 6.000 Botschaften pro Tag konfrontiert. Tendenz steigend. Täglich werden allein in Deutschland 41 Milliarden E-Mails empfangen, immerhin 28 E-Mails und 7 Newsletter sollen laut Statistik vom Online - Normalverbraucher an einem Arbeitstag gelesen werden.

Knapp 40 Sekunden beträgt die durchschnittliche Verweildauer auf einer Internetseite, sagt Nielsen/Netrating. Andere Studien messen sogar nur 8 - 12 Sekunden. Nehmen Sie nun noch die zahlreichen Informationsimpulse hinzu, die durch die „alten“ Medien gesendet werden, so ist es nachvollziehbar, dass nur noch 3% aller Botschaften beim Adressaten wirklich „ankommen“. D.h. sie werden kognitiv registriert und akzeptiert. Der Rest wird ignoriert, abgewehrt, vergessen...

Dieser extensive Information Overload hat also jetzt schon beträchtliche Auswirkungen auf  Verhalten, Gehirn und Psyche der Rezipienten.

Um so verwunderlicher ist es, dass viele Fundraiser nach wie vor  ihre Kommunikation strukturieren und aufbereiten, als bekämen ihre Spender nach wie vor „nur“ einige, wenige  Werbebriefe von den NPOs. OK – vor Weihnachten und bei den Vielspendern gehäuft, aber immer noch überschaubar. Da werden Briefe, Broschüren, Zeitschriften gefertigt und versandt, als ob es keine digitale Revolution gegeben habe. Als ob die Leser sich noch Zeit nehmen und die in epischer Breite verfassten Texte studieren würden. Tun sie aber nicht!

Neues Rezeptionsverhalten durch das Web 2.0: Didaktische Reduktion und Interaktion

Das Internet hat das Rezeptionsverhalten definitiv revolutioniert. Die Masse an Informationen führt dazu, dass Wissen quantitativ und nicht mehr qualitativ konsumiert wird. Es landet zudem primär im Kurzzeitgedächtnis, weil für viele User der Computer ihr Langzeitgedächtnis ersetzt. Das erfordert eine neue Art der Kommunikation und der Information.

Beobachten Sie bitte sich selbst vor dem Bildschirm: wie der Blick unruhig über die Seite schweift, wie mit der Maus parallel schon die nächste Information aktiviert wird, wie Gefundenes fix kopiert und abgespeichert (copy & paste) wird. Es ist ein permanentes, schnelles Aufnehmen und Verarbeiten von Nachrichten.

Der User entscheidet in Sekundenbruchteilen anhand von Keywords, ob eine Nachricht, eine Information relevant ist. Er scrollt, klickt Links an, überfliegt – und steigt dann entweder richtig ein oder verlässt die Site.

In dieser kurzen Phase wird nicht nur der Inhalt auf Relevanz, sondern auch auf Aktualität geprüft: Informationen und Nachrichten müssen sich dauernd verändern; sie werden upgedatet, angereichert, verifiziert. Und es ist eine ständige Interaktion zwischen Infor-mationsanbieter und Nutzer sowie den Rezipienten untereinander.

Durch das Smartphone kommt eine noch höhere Mobilität und Aktualität hinzu: über 20% der deutschen Online-Nutzer sind damit schon jederzeit und an fast jedem Ort erreichbar. Auch diese Dynamik verändert das Aufnahmeverhalten.

Kurz, einfach, schnell, aktuell  – so kommuniziert das Internet.

Nach wie vor ist die Fundraising-Kommunikation primär offline, doch linguistische Untersuchungen zeigen, dass das Internet und der kommunikative Overload das Leseverhalten der Deutschen medienübergreifend verändert haben. Also auch das Lesen von Briefen, Broschüren, E-Mails...

Fassen wir die wissenschaftlichen Erkenntnisse von Neurologen, Soziologen, Linguisten etc. zusammen:

der typische Internetrezipient

- überfliegt die Informationen, liest selektiv
- entscheidet schnell, wählt gezielt „Interessantes“, verweigert „vertieftes Lesen“
- sucht aktiv über Keywords Problemlösungen
- liest modular statt linear
- bevorzugt kurze, kompakte, gut verpackte Informationen
- mag Einfaches, weil schnell Erfassbares
- erwartet Abwechslung, Unterhaltung, z. B. Filme, Animationen, Aktionen statt Text oder Bild
- hat eine kurze Aufmerksamkeits- und Konzentrationsspanne
- speichert Informationen primär im Kurzzeitgedächtnis ab
- nutzt das Web 2.0, seinen PC als Langzeitgedächtnis
- zeigt im Wortsinn „Neugier“
– will permanentes Update-Wissen
- erwartet „Unabhängigkeit“ von Zeit, Ort, Inhalt, Betrachtungs- und Sichtweise
- will Interaktion

Ob On- oder Offline – die neuen Regeln für erfolgreiche Kommunikation sind identisch.

Wie kann der durch das Internet konditionierte Leser gefangen werden? Wie gelingt es, das Wissen über das „neue“ Rezeptionsverhalten so zu nutzen, dass die übermittelten Off- wie Online-Maßnahmen wirken?

1. Die didaktische Reduktion, das Konzentrieren auf das Wesentliche, das narrative, medienübergreifende Informieren wird zentraler Moment unserer Kommunikation. Lernziele müssen neu definiert, das Erreichen crossmedial konzipiert werden.
2. Unsere Botschaften müssen kürzer, konzentrierter und einfacher sein. Wenn komplexe Inhalte durch längere Berichte zu vermitteln sind, dann müssen diese textlich und grafisch sinnvoll dosiert präsentiert werden.
3. Der Aufbau muss faktisch so sein, dass prägnante Inhalte mit Zusammenfassungen und / oder Highlights der Aussagen am Anfang oder an besonders gekennzeichnete Stellen platziert werden. Sie sind Navigationshilfen und Keyword-Ersatz, um den schnellen Leser zu fassen.
4. Der erste Abschnitt muss Kernaussagen verdeutlichen und Spannung aufbauen. Er entscheidet mit, ob weiter gelesen wird.
5. Erst danach kommen ausführliche Texte, die aber wiederum den „Überflieger-Aufbau“ nutzen, um den Adressaten die Entscheidung zum vertiefenden Lesen zu erleichtern.
6. Die Texte und Bilder müssen dem Weltbild der Zielgruppen noch stärker angepasst werden: Fachkompetenz und Kreativität alleine reichen nicht mehr aus, um die overloadbedingten Blockaden im Kopf zu überwinden. Es gilt eine kognitive und emotionale Ansprache zu finden, die – je nach Inhalt – auf das soziale Milieu, den Bildungsstand, den Beruf und das kulturelle Umfeld des Rezipienten eingeht.
7. „Schnelle“ Texte, möglichst mit Zusammenfassungen, erleichtern die Entscheidung zum Leseeinstieg. Kurze Stich- und Reizworte am Rande erfüllen denselben Zweck.
8. Die Story macht einen großen Teil des Unterhaltungswertes aus. Welche passt zum Inhalt und zu meiner Zielgruppe? Wo ist die Wiedererkennung meiner Adressaten in der Geschichte?
9. Haptische Eindrücke unterstützen die Aufnahme von Kommunikation. Unterschiedliche Papiersorten oder andere Materialien reizen Sinne.
10. Jedes Medium sollte die Möglichkeit einer Vertiefung der Information durch Links und / oder Abrufung weiterer Materialien bieten. Dialogofferten und Diskussionsforen im Internet werden als Selbstverständlichkeit angesehen und geben die Chance, Themen wiederholt anzusprechen.

Und bitte denken Sie daran: Im Internet wird immer AKTIV nach Problemlösungen und/oder  Informationen gesucht. Deshalb wird gegoogelt, werden Links verfolgt, Sites aufgerufen, Blogs angelesen - deshalb ist dort sachlicher Content und Suchmaschinenmarketing-Know-How gefordert.

Einen anderen Weg schlägt die Offline-Kommunikation ein: die zugesandten Briefe,  Magazine, Broschüren, Mailings, Newsletter, Zeitungen... flattern den Kunden, Interessenten, Partnern meist unaufgefordert auf den Tisch. Wir müssen sie also zum Lesen verführen, Vorteile verdeutlichen. Das erfordert eine größere Anstrengung bei der Entwicklung, Konzeption und Realisierung der Offline-Kommunikationsmittel.

Die Leser sind durch das Internet verwöhnt, was Präsentation und Inhalte angeht. Sie bestrafen uninteressante, langatmige Kommunikation und falsche Ansprachen mit einem kurzen Klick auf „Löschen“. Am PC oder im Kopf!

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