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Attac verliert Gemeinnützigkeit

Das war einmal. Attac darf keine politischen Ziele mehr verfolgen, wenn es gemeinnützig sein will.
Das war einmal. Attac darf keine politischen Ziele mehr verfolgen, wenn es
gemeinnützig sein will.

Russland, Ungarn, Türkei. Länder, in denen in den letzten Jahren die gemeinnützige Tätigkeit stark eingeschränkt oder unmöglich gemacht wurde. Immer mit der Begründung, NGOs wären politisch aktiv. Auch in Deutschland ist das jetzt Thema. Zu Recht?

von Matthias Daberstiel

Schon seit Jahren kämpft die Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung e.V.“ für eine Ergänzung der Abgabenordnung um Themen wie Menschenrechte, Klimaschutz und demokratische Bildung. Mehr als 80 Vereine und Stiftungen haben sich in der Allianz zusammengeschlossen, um das Gemeinnützigkeitsrecht zu modernisieren und die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der politischen Willensbildung abzusichern.


CDU: erschreckende Unkenntnis

Die Entscheidung der CDU auf ihrem Parteitag Anfang Dezember 2018, die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) zu überprüfen, lässt die Sorgenfalten von Stefan Diefenbach-Trommer, Vorstand des Bündnisses, tiefer werden. „Gemeinnützigkeit ist keine Gnade, die Parteien gewähren, sondern ein Status, der auf Grundlage von Gesetzen von Finanzämtern festgestellt oder aberkannt wird. Der Antrag der CDU Nordwürttemberg zeigt eine erschreckende Unkenntnis darüber, wie eine liberale Demokratie funktioniert und wie wichtig darin gerade Gruppen sind, die unabhängig Kritik äußern und als Wächter auf Parteien oder staatliche Organe schauen. Diese Organisationen brauchen Rechtssicherheit statt obrigkeitliche Drohungen.“ Mit dieser Sichtweise ist er nicht allein. „Es ist erschreckend, dass dieser Antrag bei der CDU eine Mehrheit gefunden hat“, sagte Dr. Bernd Bornhorst, Vorstandsvorsitzender von VENRO, dem Verband Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. „Ein solches Vorgehen gegen eine politisch unbequeme Organisation ist einer demokratischen Partei nicht angemessen und erinnert an das Politikverständnis autokratischer Regierungen. Derartige Versuche, die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen einzuschränken, verurteilen wir aufs Schärfste.“


Umwelthilfe bietet Angriffsfläche

Auch der Gemeinnützigkeitsexperte Rupert Graf Strachwitz wird deutlich. Seiner Meinung nach zielt der Parteitagsbeschluss in eine ganz klare Richtung: „Zivilgesellschaftliche Akteure sollen in der Ausübung ihrer demokratischen Mitspracherechte beschränkt werden. Der Beschluss ist zugleich Ausdruck des verzweifelten Kampfes, den die politischen Parteien gegen ihren zunehmenden Machtverlust führen. Dass der Antrag von dem Landesverband der CDU eingebracht wurde, in dem die Automobilindustrie finanziell und personell einen wesentlichen Einfluss ausübt, lässt den Vorstoß besonders pikant erscheinen.“ Gleichzeitig mahnt er aber auch das Verhalten der Deutschen Umwelthilfe ab, die seiner Meinung nach erhebliche Angriffsflächen bietet. „Nicht nur erscheint ihr Vorgehen in Methodik und Stil überzogen. Auch die Finanzierung der DUH durch sehr professionell gesteuerte und zwar legale, aber im Sinne des sozialen Friedens höchst grenzwertige Abmahnverfahren, ist nicht geeignet, bei der Verfolgung ihrer Umweltanliegen besonderes Vertrauen zu erwerben.“


Kritisieren ohne zu handeln

Der Parteitag der CDU kritisierte besonders, dass die DUH und andere Vereine ihre Einnahmen nicht detailliert offenlegen. Tatsächlich fordert das Gemeinnützigkeitsrecht aber keinerlei öffentliche Transparenz. Ein Punkt, der schon seit Jahren bei Vereinen und Stiftungen diskutiert wird und auf freiwilliger Basis tausendfach umgesetzt ist. Doch das Gemeinnützigkeitsrecht um Transparenz-Regeln zu ergänzen und klare Regeln zu schaffen, beriet der CDU-Parteitag nicht.

Das passt ins Bild: Seit 1998 steht in jedem Koalitionsvertrag, dass das Gemeinnützigkeitsrecht reformiert werden soll. Bisher gab es nur kosmetische Änderungen, und weitergehende Versuche scheiterten alle am Beharrungsvermögen der Finanzverwaltung.


Attac nicht gemeinnützig

In vielen Gerichtsverfahren scheiterte die Finanzverwaltung bisher noch beim Versuch, Vereinen die Gemeinnützigkeit zu entziehen, nur weil sie sich auch politisch äußerten. Seit dem 26. Februar 2019 ist nun klar: Non-Profit-Organisationen dürfen keine politischen Kampagnen in Deutschland führen, wenn sie gemeinnützig bleiben wollen. Der Bundesfinanzhof entschied in letzter Instanz, dass das Netzwerk Attac nicht gemeinnützig im Sinne der Abgabenordnung ist. Damit ist ein Präzedenzfall geschaffen.

Attac hatte damit argumentiert, seine Tätigkeit sei gemeinnützig, weil sie der Volksbildung diene und somit der politischen Bildung. Dem widersprach aber der Bundesfinanzhof: Weil Attac die öffentliche Meinung „im Sinne eigener Auffassungen“ beeinflussen will, soll es den Gemeinnützigkeitsstatus verlieren, heißt es in dem Urteil (Az.: V R 60/70).


Mundtot dank Gemeinnützigkeitsrecht?

„Das ist ein verheerendes Signal für die gesamte kritische Zivilgesellschaft in Deutschland. Wir blicken mit großer Sorge auf Länder wie Ungarn oder Brasilien, die die Arbeit emanzipatorischer NGOs zunehmend unterdrücken und erleben nun auch hierzulande, wie Regierung und Parteien immer öfter versuchen, politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen“, sagt Dirk Friedrichs vom Vorstand des Attac-Trägervereins.

Für den Bundesfinanzhof gehe es bei der politischen Bildung aber darum, politisches Verantwortungsbewusstsein zu fördern. Das könne sich auch auf Probleme der Tagespolitik beziehen. Die Grenze bei Attac sei jedoch überschritten, weil die Organisation Forderungen zur Tagespolitik aufstelle und über Kampagnen versuche, die politische Meinungsbildung zu beeinflussen. Diese allgemeine politische Betätigung sei den Parteien vorbehalten, die eigene Fördermöglichkeiten haben.


Vorschlagen ja – Einmischen nein

Vereine dürften zwar an ihren Zielen nah argumentieren, zum Beispiel im Umweltschutz und auch Lösungsvorschläge erarbeiten. Eine Einmischung in die Tagespolitik wie von Attac bedeutet aber den Verlust der Gemeinnützigkeit. „Politische Bildungsarbeit setzt ein Handeln in geistiger Offenheit voraus“, schreibt das Gericht erklärend. Attac ist sich aber sicher, dass es mit seiner Tätigkeit dem Gemeinwohl, insbesondere gegen mächtige wirtschaftliche Einzelinteressen, dient. Nur sei das nicht in der Abgabenordnung geregelt.

„Das Gemeinnützigkeitsrecht darf nicht zu einem Instrument verkommen, mit dem zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich selbstlos für eine gerechte Gesellschaft und das Allgemeinwohl einsetzen, klein gehalten werden“, sagt Attac-Geschäftsführerin Stephanie Handtmann und fordert eine Anpassung der Abgabenordnung an die Erfordernisse einer modernen Demokratie.


Gemeinnützigkeitsrecht reformieren

Das Jahr 2019 ist so der Startpunkt für die Diskussion um das deutsche Gemeinnützigkeitsrecht. Das Attac-Urteil wird nach der Ansicht von Experten auf jeden Fall eine Gesetzesinitiative bedeuten. Wahrscheinlich wird es politische Initiativen geben, um die angestaubte Abgabenordnung zu verbessern. Es ist aber auch zu vermuten, dass das Urteil den Forderungen einiger Politiker nach einem Entzug der Gemeinnützigkeit von Campact oder den Vereinen zur Seenotrettung im Mittelmeer mehr Nahrung gibt. Nach ersten Verlautbarungen wird auch im Innenministerium und im Bundesfinanzministerium an einem „Engagementgesetz“ gearbeitet. Um da Einfluss zu nehmen, braucht es aber das gemeinsame Vorgehen aller Vereine, Stiftungen und Wohlfahrtsverbände. Die Anhörung im Bundestag zu dem Thema am 13. Februar 2019 ergab, dass die CDU in einer Filterblase gefangen scheint, die nur auf die Abwehr unliebsamer Meinungen zielt. 650.000 Vereine und Verbände und circa 40.000 Stiftungen sollten eigentlich genug Kompetenz und Wirkung aufbringen, um Abgeordnete und Anhänger aus allen Lagern, die dort in diversen Gremien sitzen, auf die Wichtigkeit einer freien Zivilgesellschaft und ein notwendiges modernes Gemeinnützigkeitsrecht hinzuweisen. Man sollte sich nur über die Ziele einig sein.

(Bild: B. Ârse, Attac)

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