AKTUELLE DEBATTE

Gemeinnützigkeitsentzug ist keine leere Drohung mehr

Attac in Aktion für die Finanztransaktionssteuer
Attac in Aktion für die Finanztransaktionssteuer

Als dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac im Oktober 2014 die Gemeinnützigkeit entzogen wurde, kam das für viele überraschend. Keiner zweifelte bis dahin an der liberalen Auslegung der Abgabenordnung hinsichtlich politischer Betätigung von Vereinen. Dass jetzt ein CDU-Bundestagsabgeordneter der „Empörungsindustrie“ mit Gemeinnützigkeitsentzug droht, gibt dem Fall neue Brisanz.

Von Matthias Daberstiel

Bundestagsabgeordnete fallen ja immer mal mit verbalen Pointen auf. Die Rede von Dr. Joachim Pfeiffer (MdB) von der CDU vor dem deutschen Bundestag Anfang Oktober letzten Jahres schlug aber Wellen. Dem wirtschafts- und energiepolitischen Sprecher der Unionsfraktion behagte offenbar der Protest gegen TTIP, das geplante transatlantische Handelsabkommen, gar nicht, wie er dann auch im Tagesspiegel schrieb: „Angefacht wird [der Protest] durch eine professionalisierte Empörungsindustrie, die TTIP als Mobilisierungsinstrument für ihre Zwecke erkannt hat und hocheffektiv einsetzt. Durch Kampagnen, die sich unterschiedlichster Themen bedienen und diese auf TTIP übertragen, schüren Organisationen wie Campact, Attac oder auch foodwatch bewusst Ängste. Neben einigen ernstzunehmenden Gesprächspartnern, die den Verhandlungsprozess konstruktiv begleiten, ist die Motivation dieser vermeintlich unabhängigen Akteure zumindest zu hinterfragen.“

Politiker fordert Gemeinnützigkeitsprüfung

Doch dem nicht genug, legte er Anfang diesen Jahre, sichtlich genervt von der öffentlichen Debatte und einer Anti-TTIP-Demo mit 250.000 Teilnehmern, in den Stuttgarter Nachrichten noch einmal nach und forderte: „Es ist dringend geboten, die Gemeinnützigkeit von Campact zu überprüfen. [...] Die linke Lobbytruppe soll ruhig ihre Aktivitäten betreiben, nur künftig nicht mehr mit den Steuergeldern der Bürger.“ Dass er sich mit solchen Aussagen schon in die Nähe von Ländern wie Russland, Ungarn oder Israel begibt, die Gesetze gegen „Agenten aus Non-Profit-Organisationen“ erlassen haben, scheint ihn nicht zu stören. „Herr Pfeiffer begibt sich da in schlechte Gesellschaft. Er kann nicht das Gemeinnützigkeitsrecht für Repressalien nutzen, nur weil er mit unseren Meinungen politisch nicht übereinstimmt“, ärgert sich Campact-Pressesprecher Jörg Haas über diese Äußerung, die sich explizit auf seine Organisation bezieht. Passenderweise gerade in dem Moment, in dem das Finanzamt Berlin die Jahresabschlüsse des gemeinnützigen Vereins aus den Jahren 2012 – 2014 prüft.

Attac-Verfahren schleppt sich

Attac ist ein warnendes Beispiel, wie politischer Protest auch in der Bundesrepublik zwar nicht mundtot gemacht, aber doch behindert werden kann. Denn seit dem Entzug der Gemeinnützigkeit 2014 hat sich nichts getan. Lediglich ein Gespräch mit dem Finanzamt gab es im Sommer 2015. „Das Finanzministerium in Hessen kennt den Fall und trägt den Entzug der Gemeinnützigkeit mit. Über die Motive kann man nur spekulieren“, ist Frauke Distelrath, Pressesprecherin von Attac enttäuscht. „Die lange Untätigkeit des Finanzamtes Frankfurt führt bei uns zu einer enormem Belastung, die aus unserer Sicht nicht gerechtfertigt ist, weil wir uns ja für die Zivilgesellschaft und damit gemeinnützig einsetzen.“

Solidarisierung der Spender

Dabei spricht sie allerdings nicht von einem Rückgang von Spenden, denn hier verzeichnete der Verein sogar einen positiven Solidarisierungseffekt. Problematisch ist vielmehr der Aufwand zu dem der Verein jetzt gezwungen ist. Er muss faktisch zwei Arten der Buchführung umsetzen: zum einen als gemeinnütziger Verein, zum anderen als wirtschaftlicher. Es könnte ja sein, dass dem Widerspruch gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit doch noch stattgegeben wird. Ebenso problematisch ist für den Verein die Tatsache, dass von Stiftungen und anderen gemeinnützigen Institutionen für die Arbeit von Attac, zum Beispiel bei der Organisation von Tagungen und Kongressen, keine Drittmittel mehr fließen. Die Geber dürfen satzungsgemäß kein Geld an nicht-gemeinnützige Träger weitergeben. Dabei könnte das Finanzamt jetzt einfach entscheiden, denn die Reaktion von Attac ist klar: „Sollte das Finanzamt unserem Widerspruch nicht stattgeben, werden wir klagen, schon um einen Präzedenzfall zu verhindern.“ Ohne Entscheid bleibt alles in der Schwebe.

Bei Campact gibt man sich jetzt kämpferisch. „Von Seiten der Finanzbehörde haben wir bisher keine Anhaltspunkte für den Entzug der Gemeinnützigkeit. Wir werden alles tun um gemeinnützig zu bleiben“, betont Haas. Pfeiffers Empörungslogik hält er für verfehlt: „Wir starten Kampagnen, um auf Missstände öffentlich aufmerksam zu machen und diese öffentlich zu diskutieren. Zu glauben, das Ziel sei nur, Einnahmen zu erzielen, verdreht Mittel und Zweck.“ Wie Pfeiffer darauf kommt, ist eindeutig. Im Jahresbericht 2015, der den Regeln der Initiative transparente Zivilgesellschaft entsprechend veröffentlicht ist, kann man entnehmen, dass die meisten Spenden für das Thema TTIP generiert wurden.

Reformbemühungen im Hintergrund

Im Hintergrund laufen gegen eine weitere Eskalierung des Konflikts schon seit Monaten Gespräche mit der Politik. Die von gemeinnützigen Organisationen getragene Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ versucht auf die Politik einzuwirken um kurzfristig die Abgabenordnung zu ändern und langfristig eine Veränderung im Gemeinnützigkeitsrecht herbeizuführen. Sie will so klarstellen, dass gemeinnützige Organisationen zur Erreichung ihrer Zwecke selbstverständlich Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen dürfen und andererseits zusätzliche Zwecke aufnehmen, da die bisherigen Zwecke das Spektrum zivilgesellschaftlicher Arbeit zum Wohle der Allgemeinheit nicht abdecken. „Ich finde ja den Begriff der ‚Empörungsinsdustrie‘, wie er von Herrn Dr. Pfeiffer ins Spiel gebracht wurde, so perfide, weil er gemeinnützig agierenden Akteuren der Zivilgesellschaft die Selbstlosigkeit und damit die Gemeinnützigkeit abspricht. Doch diese Organisationen handeln, wenn sie protestieren, nicht gegen, sondern für die Allgemeinheit, indem sie politische Entscheidungen offen und demokratisch debattieren“, argumentiert Stefan Diefenbach-Trommer, Sprecher der Allianz.

Alle Vereine betroffen

Doch die Interpretationsspielräume, was gemeinnützig ist und was nicht, betreffen nicht nur Vereine mit protestlastigen Themen, sondern alle. „Das Problem ist doch, dass schon ein Sachbearbeiterwechsel im Finanzamt zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen und damit auch zum Entzug der Gemeinnützigkeit führen kann, selbst wenn der Vorgänger dem betroffenen Verein mündliche Empfehlungen für die Formulierung der Satzung gegeben hatte“, erläutert Diefenbach-Trommer. Dass man anders als in Staaten wie Russland vor Gericht um sein Recht kämpfen könne, sei dann ein schwacher Trost, denn das zieht sich zeitlich hin, wie man bei Attac sieht.

Mehr Unterstützung nötig

Der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“ traten bisher 60 Organisationen bei. Darunter auch Amnesty International und Brot für die Welt. Viele Großen der Branche aber fehlen noch. „Meiner Meinung nach fühlen sich die großen Wohlfahrtsorganisationen noch zu sicher. Dabei übersehen sie, dass sie ebenfalls täglich politisch handeln. Ob im Jugendhilfeausschuss oder als Veranstalter einer TTIP-Demo, ist das egal. Aber wir können nicht erst warten, bis dem Deutschen Roten Kreuz die Gemeinnützigkeit entzogen wird, nur damit der Skandal groß genug ist“, formuliert Diefenbach-Trommer zugespitzt. Um dieses dicke, politische Brett zu bohren, braucht es seiner Meinung nach deutlich mehr Unterstützung. Gleichzeitig bemüht er sich um verbale Abrüstung und Versachlichung. „Es braucht eine politische Klarstellung. Auch Finanzbeamten sind klare Regeln lieber, um das Recht anzuwenden, statt es zu interpretieren“, gibt er sich pragmatisch und zeigt auf, dass dies alle gemeinnützigen Organisationen betrifft, um Rechtssicherheit bei dem für die Vereine so existenziellen Thema der Gemeinnützigkeit zu schaffen.

(Bild: Attac/Luzia Schmincke)

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Kommentar von private Politik |

Zum Fall ATTAC:

Mit welchem Recht darf sich das FA solange Zeit lassen mit der Reaktion auf den Widerspruch?

Wenn ich den § 52 AO lese, kann ich die Position des FA nicht nachvollziehen. Wie kommt das FA zu seiner Auffassung? Gibt es eigentlich eine Schadensersatzpflicht des FA für den Fall das ATTAC vor Gericht Recht bekommt? Angenommen ein Abteilungsleiter des FA betreibt hier seine private Politik durch eine recht eigenwillige Lesart des § 52 AO. Muss sowas - zumindest die anhaltende Belastung und der Zusatzaufwand - ohne Entschädigungsanspruch akzeptiert werden?

Antwort von Matthias Daberstiel

Hallo,

nun wir sind keine Rechtsanwälte, aber es hätte die Chance auf eine Untätigkeitsklage gegeben. Doch suchte man von Seiten Attac erstmal das Gespräch. Das Verfahren sehr lange dauern, ist leider kein Einzelfall. Mittlerweile hat sich aber etwas getan. Das Finanzamt hat den Einspruch zurückgewiesen und Attac wird nun klagen

Viele Grüße

Matthias Daberstiel
Team ngo-dialog
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