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Fünf Jahre Haiti und kein Ende

Haiti
Immer noch große Not in Haiti

Internationale Nothilfe und Wiederaufbauprogramme nach Naturkatastrophen wie in Haiti 2010 zeigen, dass es meist nicht an Spendenmitteln, dafür um so mehr an staatlicher Führung und Koordination mangelt, dieses Geld investiv und langfristig zum Wohl des Landes und seiner Bürger einzusetzen.

von Matthias Daberstiel

Schon zehn Tage nach dem verheerenden Erdbeben auf Haiti im Jahr 2010 organisierte George Clooney eine Fernseh-Spendenshow und erlöste an dem Tag 57 Millionen US-Dollar für die Erdbebenopfer-Hilfe. Ein Rekord, der bis heute Bestand hat. Nutznießer waren unter anderem das Internationale Rote Kreuz und Roter Halbmond und die Stiftung „Yéle Haiti“. Der Sänger und Stiftungsgründer Wyclef Jean, und der Vorstand der Stiftung mussten aber 2011 eingestehen, „administrative Fehler“ begangen zu haben. Die Zeitung „New York Post“ hatte berichtet, „Yéle Haiti“ habe im Jahr 2010 16 Millionen Dollar an Spenden gesammelt, aber nur ein Drittel der Summe für Nothilfe ausgegeben. 2012 stellte die Stiftung nach Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und des US-Finanzamtes ihre Tätigkeit wegen einiger Unregelmäßigkeiten ein.

Kommt es also nur darauf an, wer das Geld erhält, ob es erfahrene Krisenmanager sind oder nicht? Weit gefehlt. Ein aktuelles Beispiel aus Liberia zeigt, dass auch erfahrene Organisationen wie das Rote Kreuz nicht vor Fehlinvestitionen gefeit sind. Die dort mit Hilfe der Bundesregierung aufgebaute Klinik wurde Weihnachten 2014 eröffnet und hat bisher keinen einzigen Ebola-Patienten versorgen müssen, weil die Zahl der Infizierten in derselben Zeit drastisch sank und nicht wie von der WHO vorhergesagt dramatisch stieg. So waren plötzlich Überkapazitäten vor Ort, auch, weil sich andere Länder nicht genügend abstimmten. „Die Chinesen haben sich einfach hier platziert, ohne große Rücksprache mit irgendwem“, kritisiert Johannes Schad, Klinikleiter in Monrovia, gegenüber der Sächsischen Zeitung. Er prüft deshalb momentan einen Plan B, um das vorhandene schwache Gesundheitssystem von Ebola-Patienten zu entlasten und wieder zur Normalität der medizinischen Versorgung zurückzukehren.

Die Hilfe in Haiti wird von vielen Organisationen nach fünf Jahren sehr kritisch beurteilt. „Das Versprechen der internationalen Hilfe, Haiti besser wiederaufzubauen, ist nicht erfüllt worden“, so Katja Maurer, Pressesprecherin von medico international. An diesem Gesamtbild änderten auch viele gute und hilfreiche Einzelmaßnahmen nichts. Maurer verweist auf ein Statement der haitianischen Schriftstellerin Yanick Lahens in einem Film der Hilfsorganisation: „Die Reflexe der haitianischen Oberschicht und der internationalen Gemeinschaft haben wieder die Oberhand gewonnen und wir sind zum Status Quo ante zurückgekehrt.“ Nur vielleicht noch schlimmer, so Lahens, „weil viel mehr Geld im Spiel ist.“ Immerhin 15 Milliarden Dollar verabredeten damals eine UN-Geberkonferenz. Spenden flossen ähnlich wie beim Tsunami in Asien. Geld, das offenbar auch für politische Zwecke „gebraucht“ wurde. So berichtet die Schweizer Wirtschaftswoche und auch ZDFzoom über ein Industriegebiet im äußersten Norden Haitis, in der Nähe des Dorfes Caracol. Wie der Journalist Toni Keppeler vor Ort feststellte, entstand durch Spendengelder von US-Aid ein Kraftwerk, das momentan auch die Bevölkerung vor Ort versorgt, ob das allerdings noch so sein wird, wenn das Industriegebiet vollständig ausgebaut ist, ist nicht klar. Keppeler deckte auf, dass jahrelang niemand in dieses von Amerikanern und Südkoreanern forcierte Projekt zur billigen Textilherstellung vor der Haustür der USA investieren wollte. Erst durch Spendengelder kam das vor dem Erdbeben bereits projektierte Vorhaben in Gang. Nun sind Arbeitsplätze eigentlich nicht das Schlechteste für eine nachhaltige Entwicklung. Ob allerdings ein Kraftwerk auf Schwerölbasis, ein Industriegebiet auf einer Insel ohne Hafen, vertriebene Bauern und ein Textilunternehmen, das versucht den Mindestlohn zu unterlaufen diesem Anspruch gerecht werden, bleibt dahingestellt.

Ärzte ohne Grenzen war vor dem Beben schon 19 Jahre in Haiti tätig, um das rudimentäre Gesundheitssystem Haitis zu verbessern. Das Beben zerstörte 60 Prozent der wenigen Gesundheitseinrichtungen. Zwar wurden mittlerweile neue Krankenhäuser errichtet, aber sie stehen, wie das in Carrefour, leer. „Der Grund dafür ist, dass niemand ausreichende Pläne entwickelt hat, damit genügend ausgebildete Fachkräfte sowie Medikamente und medizinisches Material zur Verfügung stehen oder Wartungsarbeiten durchgeführt werden können“, erklärt Landeskoordinator Oliver Schulz von Ärzte ohne Grenzen. Im Grunde hat der überwiegende Teil der Menschen in Haiti noch immer keinen ausreichenden Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung. Selbst das Universitätskrankenhaus, das einzige öffentliche Krankenhaus im Land, das orthopädische Chirurgie anbietet, ist noch immer nicht vollständig wiederaufgebaut. Es kann daher nicht in voller Kapazität arbeiten. Schulz sieht deshalb seine Organisation immer noch vor einer Herkules-Aufgabe „Wir füllen weiterhin kritische Lücken im haitianischen Gesundheitssystem. Diese Lücken würden vielleicht nicht mehr bestehen, wenn manche der Wiederaufbauprojekte besser geplant und der Gesundheitsversorgung eine höhere Priorität beim Wiederaufbau eingeräumt worden wäre“, kritisiert er. Die vorhandenen Strukturen reichen einfach nicht. Selbst einen Cholera-Notfall wie Ende letzten Jahres kann das haitianische Gesundheitssystem momentan nicht ohne ausländische Hilfe bewältigen.

Die Diakonie Katastrophenhilfe hatte 19,4 Millionen Euro an Spenden erhalten und sich insbesondere auf die ländlichen, strukturschwachen Gebiete im Südosten Haitis konzentriert. Nach Ansicht von Martin Keßler, Leiter der Diakonie Katastrophenhilfe wird Haiti wohl noch eine lange Zeit auf der Agenda von Hilfsorganisationen bleiben, denn „Haiti bleibt risikoanfällig für Katastrophen und politisch instabil.“ Für „terre des hommes“, die mit Partnerorganisationen vor Ort arbeiten, steht deshalb fest, dass es beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Wahrheit nicht nur um die Neuerrichtung von Behausungen, Schulen, Krankenhäusern und Verwaltungsgebäuden ging, sondern um den Aufbau eines haitianischen Staates. Ein Anspruch der von Non-Profit-Organisationen und ihren Spendern nicht zu leisten, sondern eher kritisch und mit dem Blick für eine nachhaltige Entwicklung zu begleiten ist, wie medico international in einem Dossier schon 2014 feststellte. Nicht einfach, denn die Spender wünschen Ergebnisse.

(Bild: Chris Hartmann, terre des hommes)

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Kommentar von Henrik Wittenberg |

Eine langfristige und nachhaltige Hilfe für Haiti wäre die Einführung eines armutsfesten Grundeinkommens für jeden Bürger Haitis. Die positive Wirkung solcher unbürokratischen unconditional cash transfers auf die Situation der Einwohner (bessere Gesundheit, Rückgang der Kindersterblichkeit, Anstieg der Schulteilnehmer, Gründung lokaler Geschäfte etc.) sind mittlerweile durch die Erfolge in Namibia, Brasilien und Indien ausreichend belegt. Alles andere führt immer wieder trotz aller guten Vorsätzen zu Bürokratie, Verschwendung, Pfründeverteilung, Privilegienverteilung und Korruption (ein Blick auf die Entwicklungshilfe der letzten 50 Jahren macht dies deutlich).

http://bgekoeln.de/projekte/index.html

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