AKADEMISCHES

Briefe mit AHA-Effekt

Werbebriefe

654 Werbebriefe landen jedes Jahr im durchschnittlichen deutschen Briefkasten. Nicht einfach, sich da durchzusetzen und Aufmerksamkeit zu wecken. Hier kommt es auf die richtige Strategie an, denn der Briefumschlag ist die Eintrittskarte jedes Spendenbriefs, das legen zumindest verschiedene wissenschaftliche Studien nah.

Ob duftende Briefmarken, lackierte Oberflächen, ausgefallene Farben und Formen, oder individualisierte Aufdrucke. Nicht scheint im Zeitalter des Digitaldrucks unmöglich, um die Aufmerksamkeit des Konsumenten auf den Briefinhalt zu lenken. Um zu ergründen, was wirklich hilft untersuchte das Marktforschungsinistitut Nielsen in einem Real-Test einen Werbebrief in mehreren Varianten. Einmal als farbig bedruckten Brief, als Standardbrief und E-Mailing. Das Ergebnis: Der bedruckte Briefumschlag wirkt hochwertig, ein unbedruckter Brief polarisiert.

Die Marktforscher fanden heraus, dass im direkten Vergleich Briefe mit bedrucktem Umschlag am besten abschneiden. 28,4 Prozent der Befragten sahen den bedruckten Briefumschlag als die beste Variante. Haupttreiber für die positive Bewertung ist dabei die Hochwertigkeit, die dieser Direct Mail-Variante von den Befragten zugeschrieben wird. Im Gegensatz dazu wertet gerade einmal jeder zehnte Befragte einen Standard-Brief als beste Alternative, wobei auch hier die wahrgenommene geringere Wertigkeit einen der Hauptgründe darstellte. Der Grund für diese unterschiedliche Wahrnehmung liegt in der unterschiedlichen Präferenz der Altersgruppen: Während ältere Personen gerade die schlichte Variante eher bevorzugen, bewerten im Gegensatz dazu die jüngeren Zielgruppen von 16 bis 34 Jahren den Standardbrief als weniger hochwertig. Da Spender nun gerade in der Zielgruppe 60plus zu finden sind, könnte das eher ein Plus für den Standardbrief sein. Außerdem stellten die Forscher fest, dass Briefpost sechsmal wirksamer als Email ist. 60,3 Prozent erinnerten sich an den Erhalt postalischer Werbesendungen, bei der E-Mail waren es nur 11,4 Prozent. Allerdings schätzen gerade Ältere Emails wegen der geringeren Umweltbelastung. Bei Jüngeren dagegen war der Hauptgrund für das schlechte Ergebnis, das 63,2 Prozent der Jugendlichen angaben, dass die E-Mail neben den vielen anderen Nachrichten schlichtweg unterging.

Neurowissenschaftlichen Studien fanden dazu heraus, warum gedruckte Informationen offenbar besser erinnert werden als digitale. Millward Brown präsentierte dazu in seiner Studie „Using Neuroscience to Understand the Role of Direct Mail“ genauso wie Dr. Christian Holst vom Siegfried Vögele Institut in der Studie „Neuro Insights: Papier schlägt Bildschirm“ Probanden unbekannte Anzeigen, Werbebotschaften oder Logos sowohl auf dem Monitor als auch in Printform. Im MRT wurde von den Forschern überprüft, welche Hirnareale beim Lesen aktiviert wurden. Das Ergebnis zeigt, dass gedruckte Informationen tiefer im Gedächtnis verankert werden als virtuelle Informationen und einen emotionalen Prozess in Gang setzen. Bei der Erinnerung an gedruckte Informationen werden Gehirnareale aktiviert, die beim Ertasten und Anfassen eine Rolle spielen und dadurch die Gedächtnisleistung unterstützen. Auch die Haptik eines Briefes kann also wichtig sein.

Schaut man sich Spendenbriefe dieses Jahres an, so dominiert der bedruckte Brief. Nicht immer vollfarbig oder mit Fotos, aber zumindest mit Slogans, Logos der Organisation oder Hinweis auf ein inliegendes Incentive. Es wird also versucht, möglichst vielen Zielgruppen gerecht zu werden und sich trotzdem von allzu bunter Werbung abzugrenzen.
Eine Befragung der Pitney Bowes Deutschland GmbH unter mehr als 1000 Bundesbürgern ergab aber, dass Farbe ein enormer Aufmerksamkeitsverstärker ist. Ähnlich der Nielsenstudie öffneten farbig bedruckte Umschläge hier auch vor allem jungen Menschen, während die Altersgruppe der über 65-Jährigen schwarz-weiß bedruckte Kuverts bevorzugte. Die Studie „Physical mail preferred by many“ von Leflein Associates Research vom April 2010 geht sogar von einer Steigerung der Öffnungsrate von bis zu 70 Prozent aus, wenn der Brief farbig bedruckt ist. Noch stärker wird der Effekt, wenn es sich bei den grafischen Elementen um individualisierte Botschaften handelt. Auch beim Geschlecht gibt es Unterschiede: die in der Studie von Pitney Bowes befragten Männer bevorzugten farbig bedruckte Briefumschläge eher als Frauen. So gaben 48,3 Prozent der befragten Frauen an, sie würden am ehesten schwarz-weiße Umschläge öffnen, aber nur 31 Prozent der Männer. Bei ihnen liegen Umschläge mit Farbdruck klar vorne. Wenn es darum geht, welche Farbe zum Öffnen eines Briefes animieren würde, rangiert Grün mit 13,2 Prozent auf Platz 1, gefolgt von Blau mit 11,3 und Lila mit 10,2 Prozent. Platz 4 nimmt Orange mit 8,4 Prozent knapp vor Gelb mit acht Prozent ein. Der „Blaue Brief“ hat offenbar an Gefahr verloren.

Unschlagbar ist aber immer noch der Brief, der handschriftlich und mit Briefmarke adressiert ist. 2009 versandte Gothenburg Homeless Aid einen solchen Spendenbrief an 1500 Personen. Nur ließen sie die Briefe erstmal eine Nacht auf der Straße liegen, trockneten sie dann und gaben sie kurz vor und nach Weihnachten bei der Post auf. Hätten Sie einen beschmutzten Brief, der handschriftlich an Sie gerichtet ist, trotzdem geöffnet? Wahrscheinlich, denn der Brief hatte eine Responsequote von 22 Prozent und erzielte 163.000 Euro. Der Brief begann übrigens mit den Worten: „Bitte entschuldigen Sie das der Brief so aussieht, er hat eine Nacht auf der Straße verbracht.“ Da wird Obdachlosigkeit fühlbar. Kreativität ist also durchaus ein Mittel, um die Botschaft ins Gedächtnis zu bringen und die Geldbörse zu öffnen.
Zuviel Kreativität scheitert aber meist an den postalischen Vorschriften der deutschen Post. So gibt es klar definierte Bereiche, welche bedruckt werden dürfen.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die Farbe des Briefumschlags je nach Zielgruppe die Öffnungsrate des Spendenbriefs durchaus beeinflussen kann.

 

(Foto: Archiv)

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