AKADEMISCHES

Zwanzig Jahre Qualifizierung im Fundraising

Fundraising-Forum Niedersachsen

Das Jubiläum des Deutschen Fundraising Verbandes war auch Gelegenheit für eine Rückschau auf 20 Jahre Professionalisierung der Aus- und Weiterbildung im Fundraising. Natürlich hat die Fundraising-Akademie darin einen würdigen Platz. Eine kleine Retrospektive und gleichzeitig ein Dank an die vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich seit Jahren für professionelle Standards im Fundraising stark machen.

Am Anfang war Müllerleile

Das ist im Fundraising in Deutschland eigentlich immer so. Der Alleswisser und Enzyklopäd‘ aus dem Vordertaunus, in dessen Kopf sich alles angereichert hat, was man im Fundraising wissen konnte und kann. Alles andere sind Ableitungen davon. Damit ist alles gesagt. Ende des Artikels. Fertig. Hört man aber den weisen Kollegen genauer zu, stellt man fest, dass es noch andere Orte gab, an denen die Fortbildung im Fundraising systematisch betrieben wurde. In Rothenburg ob der Tauber zum Beispiel, unter der Ägide Hans-Jürgen Holzhauers vom Diakonischen Werk Bayern, wurden seit Mitte der 1990er Jahre Fundraising-Fortbildungen angeboten, und diese Kurse können als erstes Fundraising-Curriculum gelten und auch als Vorläufer der Fundraising Akademie. Unter den Akteuren in Rothenburg fanden sich dann auch schon die Personen, die im folgenden Aufbau der Qualifizierungen eine tragende Rolle spielen sollten: Christoph Müllerleile (ach!), Marita Haibach, Lothar Schulz, Holger Tremel, Annette Urban-Engels und andere, die sich fortan die Systematisierung von Bildungsprozessen im Fundraising auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Im Deutschen Fundraising Verband gab es alsbald mit Mathias Krieger und Marita Haibach Zuständige für den Bereich Bildung, und Michael Urselmann richtete eine wissenschaftliche Kontaktstelle samt Bibliothek ein, um die wissenschaftliche Ausrichtung des Fundraisings voranzutreiben.

Die Gründerväter – und ihre eine Mutter

Na, das stimmt jetzt nicht ganz. Auch wenn Marita Haibach stets behauptet, die Fundraising Akademie habe viele Väter und eine Mutter, gab es Ende der neunziger Jahre und um die Jahrtausendwende schon viele Fortbildungen im Fundraising. An vielen Orten, durchgeführt von vielen Kolleginnen und Kollegen. Vor allem aber gab es schon den Deutschen Fundraising Kongress als Flaggschiff der gesamten Fundraising-Branche – und dies mit Strahlkraft über die Szene hinaus. Der Kongress war schon damals der zentrale Ort des Austausches und des gemeinsamen Lernens, und er hat die interne Kollegialität wie auch die internationale Ausrichtung des deutschen Fundraisings mit großer Dynamik vorangetrieben. Man kann aus heutiger Sicht die Leistung der Agentur „neues handeln“ aus Köln kaum hoch genug bewerten, mit Professionalität, Glanz und Internationalität ein Format auf- und ausgebaut zu haben, das rasch an die internationalen Angebote und Maßstäbe heranreichen konnte. Fundraising mit Glanz! Was Inhalte und Stil angeht. - Zugleich fungierte das jährliche internationale Treffen in Nordwijkerhout weiterhin als etabliertes Forum für die internationale Vernetzung.

Es war also schon einiges vorhanden, als es im November 1999 zur Gründung der Fundraising Akademie kam. Gesellschafter der Akademie sind das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (damals vertreten durch Hans-Norbert Janowski, heute durch Jörg Bollmann), der Deutsche Fundraising Verband (damals vertreten durch Patrick Tapp, heute durch Johannes Bausch) und der Deutsche Spendenrat (damals vertreten durch Bernd Beder, heute durch Willi Haas). Im Jahr 2000 starteten drei Kurse; heute und somit dreizehn Jahre später zählt die Akademie schon den Beginn ihres dreißigsten Studiengangs. Das Curriculum damals war sehr an der Öffentlichkeitsarbeit und am Sozialmarketing orientiert, weil Fundraising in dieser Zeit in Deutschland noch nicht als eigenständige Disziplin wahrnehmbar war. Dies jedoch änderte sich kontinuierlich. Indem die Organisationen investierten, Stellen einrichteten, Strukturen vorhielten – und so das Wachstum des Fundraisings an Fahrt aufnehmen konnte.

E Pluribus Unum

Neben der Akademie bildeten sich rasch viele weitere, branchenbezogene oder regionale Fortbildungsformate aus. Der Fundraiserinnen-Tag ist hier zu nennen, ebenso die zunehmende Zahl an Fundraising-Foren und –Tagen wie in Aachen, Bad Boll, Bad Herrenalb, Bad Honnef, Bremen, Dresden, Frankfurt, Düsseldorf, Gelsenkirchen, Goslar, Güstrow, Hamburg, Hannover, Jena, Kassel, Loccum, München, Münster, Nürnberg, Potsdam, Stuttgart und anderen Orten. Hinzu kamen sukzessive mit der Entstehung der Fachgruppen im Deutschen Fundraising Verband entsprechende Veranstaltungen wie der Bildungstag für Schulen und Hochschulen, die Kollekta für den kirchlichen Bereich, der Gesundheitstag in Frankfurt am Main und anderes mehr. Und bis heute sind die Regionalgruppentreffen des Verbandes wichtige Orte der selbstorganisierten Fundraising Aus- und Weiterbildung.

Immer mehr Organisationen qualifizierten ihre eigenen Mitarbeiter in spezifisch konzipierten Inhouse-Schulungen, was zu einer breiten Professionalisierung des Fundraisings führte. Die vermutlich umfangreichste Bildungsoffensive im Fundraising wurde von der Hannoverschen Landeskirche verantwortet; viele Organisationen, Verbände und Landeskirchen sind bis heute diesem Beispiel gefolgt. Aber nicht nur in interne Schulungen wurde investiert. Seit 2002 veranstaltete die Akademie, dann später im Wechsel mit dem Verband, USA-Reisen, um die professionellen Standards der US-amerikanischen Kollegen kennenzulernen und in den deutschen Markt zu importieren. In diesen Jahren von 2000 bis 2005 war der Aufbruch im Fundraising – getrieben durch Bildung und Qualifizierung – permanent und allerorten förmlich zu spüren: Ein Berufsfeld etabliert sich.

Von Ventilatoren und Durchlüftern

Das Fundraising brachte Frischluft in die Organisationen und führte häufig zu sichtbaren Veränderungen im Organigramm. Ein nächster Wachstumsschub im Bildungsbereich kann man auf das Jahr 2005 datieren. In dieser Zeit begann die Arbeit am europaweit anerkannten Siegel der European Fundraising Association (EFA), das heute Ausbildungsstätten im Fundraising zertifiziert. In diesem Jahr erschien auch die Neuauflage des Handbuches Fundraising der Fundraising Akademie, wo zum ersten Mal die Ausrichtung des Fundraisings als selbstbewusste und eigenständige Disziplin erkennbar wurde. Und in diese Zeit fallen auch die Anfänge der Erarbeitung von Ethik-Kodizes und Qualitätsstandards (TQE), womit die Fundraising-Branche systematisch an vergleichbare Berufsfelder anschließen konnte.

Einer der Höhepunkte dieses sich offensiv und selbstbewusst verstehenden Berufsfeldes war das Symposium anlässlich des 70. Geburtstages von Lothar Schulz im Hotel Gastwerk in Hamburg im Februar 2007, auf dem rund 150 Kolleginnen und Kollegen interdisziplinär eine Debatte über das Fundraising in Deutschland führten, das nicht nur die Selbstpositionierung der eigenen Profession, sondern vor allem ihre gesellschaftliche Ausrichtung in den Blick nahm. Dieses Debattenniveau wurde seitdem in dieser Breite nicht mehr oder nur noch kaum erreicht. Dennoch gilt für diese Phase: Ein selbstbewusstes Fundraising durchlüftet die Organisationen.

Die Gabe und die Gabel

Seit diesem Symposium war kontinuierlich eine interdisziplinäre und auch wissenschaftliche Fundierung des Fundraisings zu verzeichnen. Vor allem mit den Arbeiten von Michael Urselmann war eine akademische Anbindung des Fundraisings längst gegeben. Aber allmählich entstanden wissenschaftliche Studientage, Aufsätze und auch Dissertationen, die das Fundraising noch einmal aus einer komplett neuen Perspektive beleuchteten. Im Jahr 2009 gab es das erste Kolloquium zur Gabetheorie in Bochum, auf dem rund dreißig Wissenschaftler ihre Thesen vorstellten und diskutierten. In 2010 fand an der Evangelischen Akademie in Loccum die erste internationale Tagung zur Gabetheorie in Deutschland statt, und es entstand das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützte Netzwerk zur Theorie der Gabe an der Universität Erfurt. Für die Debattenkultur war der von Frank Adloff herausgegebene Sammelband „Vom Geben und Nehmen“ eine Wegmarke, der zum ersten Mal viele der Referenzartikel zur Gabetheorie übersetzt versammelt. Zudem wurde anhaltend aus Sicht der Kybernetik, Governance und Systemtheorie das Konzept der Institutional Readiness weitergedacht, ausgebaut und qualifiziert. Unter dem Titel „Die Gabe und die Gabel“ fand im Mai 2011 in Berlin ein Kolloquium zum Verhältnis von Gabe und Ästhetischer Theorie statt; auch dies – nicht nur unter kulinarischen Gesichtspunkten – ein bedenkenswerter Ansatz!

Seit 2007 ff. sind nun auch immer stärker spezifische Ansätze des Fundraisings in Deutschland sichtbar und profiliert: (1) die gesellschaftspolitische Perspektive, für die Marita Haibach steht; (2) der ökonomische Ansatz, der mit den Namen Arne Kasten und Michael Urselmann verbunden ist; (3) der spender- und beziehungsorientierte Ansatz von Lothar Schulz; (4) der sich dazu im Gegensatz befindliche Ansatz des Mission-based-Fundraisings, wie ihn Kai Fischer vertritt; (5) Fundraising von der Governance her zu verstehen, wie Gerhard Wallmeyer dies seit langem verfolgt; (6) die gabentheoretische Grundlegung des Fundraisings, wie sie sich in den Arbeiten von Thomas Kreuzer und Fritz Rüdiger Volz findet; (7) Fundraising als Organisationsentwicklung aufzufassen und diesen Prozess zu begleiten, wie Friedrich Haunert es unternimmt; (8) Fundraising durch Einsichten der Systemtheorie zu erschließen, wie es Susanne Reuter ausführt; (9) die Auffassung des Fundraisings als Soziales Investment zu rekonstruieren, vertreten durch Volker Then u. a.; (10) der CRM-Ansatz des Fundraisings, für den Hans Josef Hönig und Willibald Geueke mit ihren Ausführungen stehen; (11) der Ansatz, Fundraising als Ableitung des Sozialmarketings zu verstehen im Anschluss an Wolfgang Kroeber; (12) Fundraising im Sinne von Interaktion und Partizipation im Netz aufzufassen, wie wir es bei Jörg Eisfeld-Reschke und Maik Meid finden; (13) Fundraising als „Engagementberatung“ und „Vermögensberatung“ neu zu definieren, wie es im Anschluss an Michael Busch aufgefasst werden kann; und (14) und schließlich der markentheoretische Zugang, wie ihn gegenwärtig Mathias Kröselberg verfolgt.

Jede anspruchsvolle Disziplin zeichnet sich dadurch aus, dass in einem reiferen Stadium ihre Definitionen, Zugänge, Perspektiven und Deutungen vielfältig und heterogen sind. Das Fundraising in Deutschland hat diesen Status nun erreicht, von dem aus ein weiteres Weitergehen und Weiterdenken möglich ist. Das von Verband und Akademie erarbeitete Zertifizierungsmodell ist ein wichtiger, flankierender Schritt in diese Richtung.

Reisende, Flaneure & HändlerDie Zeit der Selbsterbauung im deutschen Fundraising ist vorbei; und das ist gut so. Viele der Akteure, ob NGO-Vertreter oder Agenturen, ob Theoretiker oder Praktiker, ob Operative oder Berater, vernetzen sich immer stärker mit anderen Theorie- und Praxismilieus, besuchen thematisch vielfältig ausgerichtete Tagungen und Kongresse, bilden sich, lesen über die eigene Fachdisziplin hinaus, brechen auf, um andere, verwandte oder benachbarte Arbeitszusammenhänge zu ergründen. Und dies ist genau das, was wir brauchen! Ein gelungenes Beispiel in diesem Zusammenhang ist das vom Alumni-Verein der Akademie und der Stiftung Fundraising ausgelobte Stipendium, das Kollegen einen Forschungsaufenthalt in den USA oder in Europa ermöglicht.

Es geht gegenwärtig darum, angrenzende und benachbarte Disziplinen von der Marktforschung über die Sozialen Medien bis hin zu Sozialunternehmertum und Social Business systematisch für das Fundraising zu erschließen. Die angrenzenden Themenfelder von Strategischer Unternehmensführung, Nonprofit-Management, Stiftungsmanagement, Controlling, Personalmanagement oder CSR sind vielfältig und liegen längst auf der Hand. Sie sind nun umfänglich ins Fundraising zu integrieren. Sich selbst bewusst ist die Branche inzwischen. Nun braucht es – erneut – Reisende, Flaneure, Händler, die andere Zusammenhänge aufsuchen, die polyglott andere Theorie - und Praxissprachen sprechen; wahrnehmen, zuhören, rezipieren – und dies importieren in die eigene Fundraising-Praxis. Eine Kultur der Gabe in Deutschland entsteht nicht durch Selbsterbauung und Abschottung, sondern nur in einer konzertierten Aktion: im Zusammenschluss aus der Praxis im Feld und ihrer Grundlegung, der Fundraising-Szene und der Stiftungslandschaft, des CSR – und vor allem der Geberinnen und Geber. Um dorthin zu gelangen aber braucht es den Ausbau neuer Netzwerke und neue Koalitionen. Die Fundraiserinnen und Fundraiser in Deutschland haben viel erreicht. Nun geht es als nächstes um einen qualitativen Sprung.

 

Dr. Thomas Kreuzer

(seit 1999 Direktor der Fundraising Akademie in Frankfurt am Main)

 

(Foto: Fundraising-Forum Niedersachsen)

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