AKADEMISCHES

Humanitäre Hilfe mit religiösem Hintergrund

In Pakistan befragte die Wissenschaftlerin Betroffene von Überschwemmungen.
In Pakistan befragte die Wissenschaftlerin Betroffene von Überschwemmungen.

Die Soziologin Zeynep Sezgin hat untersucht, wie humanitäre NGOs mit religiösem Hintergrund ihre Legitimität steigern wollen. Sie erforschte in Deutschland, Österreich und Pakistan wie muslimisch und christlich geprägte Hilfsorganisationen den Erwartungen ihrer Stakeholder begegnen.

Die Gretchenfrage „Wie hast du’s mit der Religion?“, spielt nicht nur in Goethes Faust, sondern auch in der humanitären Hilfe eine Rolle. Für die Wirkung, für das Spendenaufkommen und für das Ansehen der Arbeit weltweit kann es einen Unterschied machen, ob eine Hilfsorganisation einen religiösen Hintergrund hat oder säkular ist. Die Soziologin Zeynep Sezgin vom Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien wollte wissen, welche Strategien humanitäre NGOs mit religiösem Hintergrund haben, um Legitimität zu erlangen. Im Rahmen des Lise-Meitner-Programms des Wissenschaftsfonds FWF in Wien hat sie sich die Arbeit der Caritas, Islamische Gemeinschaft „Millî Görüş“ und „Muslime Helfen“ genauer angesehen.

„Alle drei Organisationen haben ihren Hauptsitz in Ländern des Globalen Nordens, konkret in Deutschland und Österreich, leisten ihre humanitäre Hilfe jedoch in verschiedenen Krisengebieten im Globalen Süden. In diesen unterschiedlichen Kontexten sind sie mit komplexen und bisweilen widersprüchlichen Erwartungen verschiedener Akteure konfrontiert. Ich habe untersucht, wie sie darauf reagieren“, erklärt die Soziologin. Es zeigt sich: Um professionelle humanitäre Arbeit sicherzustellen, Spenden zu erhalten, Zugang zu hilfsbedürftigen Menschen zu erlangen, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krisengebieten zu schützen und sich im kompetitiven Umfeld von Hilfsorganisationen zu behaupten, verfolgen die drei Organisationen oft ähnliche Strategien.


Humanitäre Prinzipien als Goldstandard

In anonymisierten Interviews sprach Zeynep Sezgin mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren der drei Organisationen, mit Behörden in Österreich, Deutschland und Pakistan sowie säkularen Hilfsorganisationen wie dem Roten Kreuz und Ärzte ohne Grenzen. Bei zwei Forschungsaufenthalten nach schweren Überflutungen in Pakistan (2010 und 2011) befragte die Wissenschaftlerin auch lokale humanitäre Organisationen, Führungsfiguren und die lokale Bevölkerung in der pakistanischen Provinz Khyber Pakhtunkhwa. „In meinen Interviews zeigte sich, dass säkulare Hilfsorganisationen sich für Bannerträger der humanitären Hilfe halten. Gegenüber humanitären Nichtregierungsorganisationen mit religiösem Hintergrund sind sie skeptisch, weil diese in vielen Fällen anders und nicht notwendigerweise gemäß den humanitären Leitprinzipien der Unparteilichkeit, Neutralität und Unabhängigkeit arbeiten. Seit „9/11“ und dem „War on Terror“ hat diese Skepsis auch bei Geldgebern und Behörden in den Ländern des Globalen Nordens zugenommen“, sagt Zeynep Sezgin.

Die Soziologin warnt jedoch vor Generalisierungen und sieht viele Gemeinsamkeiten in der humanitären Arbeit: „Die untersuchten Organisationen müssen eine Vielfalt von Erwartungen bewältigen, um einsatzfähig zu bleiben. Um die Interessen ihrer Organisation zu wahren, vereinen sie im Zuge ihrer humanitären Arbeit sowohl religiöse als auch säkulare Elemente.“ Alle Aktivitäten erfolgen unter Einhaltung nationaler und internationaler Gesetze. Alle drei NGOs handeln im Sinne ihrer Mission mit dem Ziel, durch Wissen, Fähigkeiten und Fachexpertise der Mitarbeitenden Zugang zu Menschen in Not zu erlangen. Als ergebnisorientierte Strategie bezeichnet die Forscherin die Fähigkeit, den Stakeholdern aufzuzeigen, dass die Mission der Organisation umgesetzt wurde, beispielsweise mittels erfolgreicher, transparenter Kommunikationsstrukturen.


Standardisierung am Hilfsmarkt

Jede Hilfsorganisation, ob neu oder traditionell, religiös oder säkular, buhlt um Aufmerksamkeit, Ressourcen und Glaubwürdigkeit. Die Soziologin beobachtet daher eine erwartungsgetriebene Standardisierung. „Die Organisations-Strategien vieler humanitärer NGOs gleichen sich immer mehr an. Wir beobachten keine wirklich neuen oder parallelen humanitären Systeme, sondern sich verschiebende Netzwerke diverser Akteure.“ Alle gemeinsam versuchten den Bedarf an Hilfe abzudecken, würden sich aber in der Konkurrenz um Ressourcen gegenseitig behindern, erklärt Zeynep Sezgin. Wie Schutz und Hilfe genau aussehen sollen, wird immer wieder diskutiert. Besonders, wenn Skandale rund um Hilfseinsätze öffentlich werden. „Den meisten Menschen, die ich in Pakistan interviewt habe, ist der konfessionelle Hintergrund der Organisation egal: Sie wollen, dass Hilfe nach Bedürftigkeit erfolgt und nicht aufgrund guter politischer Beziehungen“, betont die Soziologin. „Sie bevorzugen ein langfristiges Engagement sowie Respekt vor den lokalen Traditionen und ihrer Kultur.“ Und auch die Spenderinnen und Spender eint der Wunsch, dass Menschen in Not geholfen wird. NGOs mit religiösem Hintergrund könnten in diesem Kontext neue Blickwinkel einbringen, ist Sezgin überzeugt.

(Bild: FWF - Der Wissenschaftsfonds/shutterstock_scilog)

Zurück

Einen Kommentar schreiben