AKADEMISCHES

Einblick in die Spenderseele

Spendenmauer der Grundschule Kamp-Bornhofen zu Gunsten eines Projektes in Ruanda
Spendenmauer der Grundschule Kamp-Bornhofen zu Gunsten eines Projektes in Ruanda

Was motiviert Menschen zum Spenden? Diese Frage stellen sich viele Fundraiser vor jedem Kontakt. Geht es um Hilfsbereitschaft, oder geht es „nur“ darum, ein schlechtes Gewissen auszugleichen? Christoph B. Melchers, Professor für Wirtschaftspsychologie an der Business School Berlin Potsdam, und Michaela Jacobsohn, Fundraiserin beim Caritasverband Frankfurt, sind diesen Fragen in einer tiefenpsychologischen Untersuchung nachgegangen.

Professor Melchers und sein Team befragten 34 Personen zu ihrem Erleben und Verhalten beim Spenden in anderthalb- bis zweistündigen freien Tiefeninterviews. In der anschließenden tiefenpsychologischen Analyse erstellte das Untersuchungsteam daraus ein psychologisches Profil des Spendens.

Hilfsbedürftigkeit

Die Studie ergab, dass dem Wunsch zu Spenden zu Grunde lag, in Not geratenen Menschen wirklich zu helfen. Trotz dieses starken Wunsches spüren die Spender aber Vorbehalte. Die tätige Hilfe würde den Ablauf des Alltags verändern. Würde man tatsächlich mit vollem persönlichen Einsatz helfen, käme man an den Rand seiner Möglichkeiten. Einen Wohnungslosen als Mitbewohner aufzunehmen, kann sich beispielsweise kaum jemand vorstellen und auch die Reise in ein fernes Land, um dort Brunnen zu bauen, wäre für die meisten untragbar. Hier kommen Hilfsorganisationen ins Spiel, die diese Hilfe übernehmen können. Die Spende wird delegiert. Psychologisch gesehen unterstützt ein Spender nicht die Arbeit einer Organisation, sondern erteilt einen Auftrag zur Hilfe.
Die Übertragung der Hilfeleistung stellt eine gewisse Zufriedenheit her, schließlich verfügen Organisationen meist über Expertenwissen, das dem Laien fehlt. Dennoch bleibt ein Rest an Selbstzweifeln bei den Spendern. Man wirft sich insgeheim vor, ausgewichen zu sein, die Verantwortung nicht angenommen zu haben. Diese Zweifel am eigenen Handeln übertragen Spender auf die Organisation: Erfüllt sie tatsächlich den Auftrag? Oder weicht sie ebenfalls aus und erfüllt den Hilfsauftrag nicht? Bestehen etwa – wie beim Spender selbst – Gründe im Eigenleben der Organisation, die tätige Hilfe verhindern? Die (Selbst-)Zweifel erwachen mit jedem Spendenakt von neuem. Sie gehören zum Spenden dazu wie die Zahlung selbst. Organisationen müssen deshalb immer wieder auf die Zweifel eingehen, Misstrauen beschwichtigen und Beweise ihres Handelns liefern.

Anerkennung

Die Forscher fanden auch heraus, dass die Spender für ihr Engagement Beachtung und Anerkennung finden möchten. Der Wunsch nach Bestätigung richtet sich nicht nur auf die Tatsache, dass eine bestimmte Summe bei der Organisation angekommen ist und nun Verwendung findet. Vielmehr wünscht man sich die persönliche Anerkennung als Spender von der Organisation und zieht daraus die Vergewisserung, dass man dem Hilfsappell der Bedürftigen nicht ausgewichen ist, sondern etwas Wichtiges vollbracht hat.
Dankbriefe und Einladungen zu Veranstaltungen eignen sich, um ein Gefühl der Bedeutsamkeit zu vermitteln. Glamouröse Events, die nur Spendern größerer Beträge offen stehen, bieten diesen Spendern eine Kulisse, um sich auch gegenüber anderen als bedeutend zu inszenieren. In höchstem Maße Bedeutsamkeit signalisiert aber die persönliche Zuwendung eines Mitarbeiters der Organisation. Hier können sich Spender in beinahe unmittelbarem Kontakt zu den Hilfsbedürftigen sehen und die Anerkennung derer genießen, die unmittelbar sehen, wie viel die Spende bewirkt.

Selbstverewigung

Der Wunsch nach „Selbstverewigung“ hat das Untersuchungsteam selbst überrascht. Unerwartet deutlich äußerten Spender den Wunsch, sich mit dem Spenden ein Denkmal zu setzen. Einige äußerten sogar die Vorstellung, Hilfsorganisationen hätten Spenderverzeichnisse in Form von dicken Büchern, die im Keller aufbewahrt werden. Dort stehen für alle Zeiten die Namen derer, die durch Spenden zur guten Sache beigetragen haben. Im Sinne der Selbstverewigung möchte man den eigenen Namen auf dem Stein eines geförderten Bauwerks oder auf einer Spendertafel eingraviert sehen. So soll für alle Zeit ein Teil der eigenen Person mit der guten Tat verbunden bleiben. Der Wunsch nach Selbstverewigung zeigt sich nicht notwendigerweise in Zusammenhang mit einer Namensnennung. Auch andere Formen kommen vor. Eine Spenderin hatte für die Errichtung eines Deichs gespendet und berichtet: „So lange dieser Deich steht, ist da auch ein Teil von mir drin“. In jedem Fall möchte man mit einem Zeichen der Selbstverewigung die Zweifel berseitigen, man hätte nicht geholfen.

Entbehrliche Mittel einsetzen

Spender wägen ab, welche Mittel sie für ihre Wünsche nach Selbstverewigung und Bedeutsamkeit einsetzen können und möchten. Dabei spielen subjektive Gewichtungen eine weit größere Rolle als rationale Einnahmen- und Ausgabenrechnungen. Die Frage lautet nicht nur „Wie viel kann ich mir leisten?“ sondern auch „Wie viel ist mir das Gefühl wert, dass ich geholfen habe?“ Man wägt ab, wie viel Bedeutsamkeit und wie viel an Selbstverewigung man braucht und was man im Gegenzug dafür aufwenden möchte. Maßgebend bleibt allerdings, dass große Einschränkungen nicht eintreten dürfen. Die Vereinbarkeit von Hilfe und Alltag war es ja gerade, die ursprünglich zur Spende motiviert hat.
Bei der Entscheidung, welche Mittel man einsetzt, bewertet man auch die Projekte der Organisation. Wie wertig, glaubwürdig und sinnvoll erscheinen diese Projekte? Für wie langlebig hält man sie? Auch hier drehen sich die Überlegungen weniger um rationale Aspekte. Vielmehr wägt man ab, ob die Projekte das Potenzial in sich tragen, psychologisch wirksame Motive zu bedienen und die emotionalen Bedürfnisse der Spender zu erfüllen.
Für Organisationen ergibt sich aus der Studie die Notwendigkeit, die psychischen Umstände des Spendens mehr zu beachten und zu bedienen. Etwa, dass die Hilfe selbst stärker im Vordergrund steht als ihre Wirkungen. Denn den Spender motiviert in erster Linie das Gefühl, ausgewichen zu sein, nicht geholfen zu haben und nur in zweiter Linie das Schicksal des Hilfsbedürftigen.

Professor Christoph B. Melchers und Michaela Jacobsohn stellen die Ergebnisse ihrer Studie ausführlich beim Deutschen Fundraisingkongress vom 19.–21. Mai 2015 vor.

 

(Bild: Grundschule Kamp-Bornhofen)

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Kommentar von Martin Fischer |

Liebe Leserinnen und Leser,

die Rubrik "Akademisches" macht immer neugierig. Die Frage "Was motiviert Menschen zum Spenden" kann nicht häufig genug gestellt und aus verschiedenen Perspektiven beantwortet werden. Dass man für Tiefeninterviews nicht tausende Spenderinnen und Spender befragen kann, ist sicherlich klar. Deshalb wäre interessant, welche soziodemografischen Merkmale die befragten 34 Personen aufweisen, um ggfs. Rückschlüsse auf die eigenen Spendergruppen ziehen zu können.

Der Hauptthese der Studie kann aus eigener Erfahrung und eigenen Studien nur zugestimmt werden. "In allen Spendergruppen dominiert das Motiv, helfen zu wollen - besonders stark ausgeprägt ist dies bei älteren Intensivspendern. Dieses Motiv steht auch bei Spendern mit geringer Bindung an die Kirche im Vordergrund. Andere altruistische Spendenmotive spielen ebenfalls eine wichtige Rolle als Spendenmotive. Eigene Anerkennung und Prestigegewinn, Geschenke und Gewinne sind für die Spender so gut wie unwichtig."( Spendenstudie 2010, Hg. Hochschule Niederrhein, Kompetenzzentrum für Angewandtes Marketing; im Auftrag von van Acken, Krefeld).

Viele Grüße
Martin Fischer