AKADEMISCHES

Ist Deutschland unsolidarisch?

Für diese Zwecke spenden die Deutschen.
Für diese Zwecke spenden die Deutschen.

Zwei Studien beschäftigten sich kürzlich mit dem Thema Spenden für Entwicklungszusammenarbeit. Beide sehen großen Handlungsbedarf Entwicklungsländer auf verschiedenen Kontinenten mit den Auswirkungen globaler Probleme nicht allein zu lassen. Allein die Spender und Unternehmen helfen nicht in dem Maße mit.

von Kurt Manus

Nach einer repräsentativen Umfrage der Meinungsplattform YouGov im Auftrag der „SOS-Kinderdörfer weltweit“ schätzen zwei Drittel der Deutschen Entwicklungshilfe als sinnvoll ein, aber nur acht Prozent wollen dafür Geld ausgeben. Offenbar sind die Bundesbürger hier zwiegespalten. Dabei ist die Entwicklungszusammenarbeit vor Ort ausgesprochen wirksam. Der aktuelle Wirksamkeitsbericht der SOS-Kinderdörfer weist nach, dass jeder gespendete Euro 14 Euro an Ergebnis bringt. Woher also die Skepsis?


Zu optimistisch geworben

Alan Clayton, Fundraising-Profi aus Großbritannien, machte dafür 2018 im Rahmen des SwissFundraisingDay zuerst mal die Organisationen selbst verantwortlich. Sie hätten jahrelang versprochen die Probleme der Welt zu lösen. Nicht zuletzt in den Claims und Slogans ihrer Werbung. Doch offenbar sind die Probleme hartnäckig, und die Bilder aus Afrika scheinen sich für die Deutschen immer zu wiederholen. Dabei gibt es Erfolge: Durch den Einsatz von staatlicher und privater Entwicklungshilfe hat sich die Situation für Afrikas Kinder deutlich verbessert. So ist laut UN seit dem Jahr 2000 die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren südlich der Sahara um fast die Hälfte gesunken. Der Anteil der mangelernährten Kinder ist heute um ein ganzes Drittel niedriger. Nach der YouGov Umfrage sehen immerhin 69 Prozent der Deutschen, dass Entwicklungshilfe die Verhältnisse in armen Ländern verbessert.


Deutschland first

Alles gut also? Mitnichten. Eine aktuelle Umfrage des Weltwirtschaftsforum in Davos in 29 Ländern zeigte, dass Deutschland erschreckend unsolidarisch im internationalen Vergleich ist. Nur 52 Prozent der Deutschen waren der Meinung, dass ihr Land eine Verantwortung hat, anderen Ländern zu helfen. Ganz weit vorn landeten in dieser Umfrage Länder wie Indien, Indonesien und Pakistan mit 94 bis 95 Prozent Zustimmung zu Solidarität. Deutschland ist in der Studie auf dem letzten Platz. Beste Europäer sind die Spanier mit 74 Prozent Zustimmung auf Platz sieben und die Polen mit 72 Prozent auf Platz neun.

Nichtspender sind deutlich skeptischer gegenüber Entwicklungshilfe.
Nichtspender sind deutlich skeptischer gegenüber Entwicklungshilfe.

Wirksamkeit ist nicht alles

Hier haken die SOS-Kinderdörfer weltweit ein und fordern mehr Transparenz: „Menschen, die einen freiwilligen Beitrag leisten, sollten wissen, was ihre Spende bewirkt“, sagt der Vorstandsvorsitzende der SOS-Kinderdörfer weltweit, Wilfried Vyslozil, und erklärt: „Entwicklungszusammenarbeit ist – richtig eingesetzt – sehr wirksam.“ Dennoch spenden nur acht Prozent der Befragten für internationale Entwicklungshilfe und gerade die vielen Nicht-Spender stellen die kritische Frage nach der Wirksamkeit von Entwicklungshilfe (53 Prozent). Gut jeder Dritte (37 Prozent) spendet grundsätzlich nicht, mit zunehmender Tendenz. Als Gründe geben die Nicht-Spender an, Deutschland habe selbst genug Probleme, um die es sich kümmern müsse – dazu gehören nach Ansicht der Befragten in erster Linie die Themen Pflege, Rente, Gesundheitswesen, Bildung und Armut.

Interessanterweise ist der Paradigmenwechsel von der Entwicklungshilfe zur Entwicklungszusammenarbeit bei den Deutschen schon angekommen. „Laut unserer Umfrage wünschen sich 82 Prozent der Bundesbürger hier verstärkt Partnerschaft statt bloß Hilfe. Jeder Euro trägt zum Gelingen bei, wenn er für Hilfe zur Selbsthilfe eingesetzt wird“, bestätigt Vylozil.


Exportweltmeister hat Nachholbedarf

Und dann noch das: Ausgerechnet der Exportweltmeister Deutschland hat deutlichen Nachholbedarf, wenn es um die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und internationaler Zivilgesellschaft geht. Nicht einmal jedes zehnte Unternehmen in Deutschland kooperiert beim gesellschaftlichen Engagement mit international agierenden Nichtregierungsorganisationen. Das zeigt eine neue Studie von Stifterverband und der Kinderhilfsorganisation Plan International. Die beiden Organisationen warnen: Die noch geringe Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und internationaler Zivilgesellschaft könnte den Erfolg der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie gefährden, die vor zwei Jahren verabschiedet wurde. Mit dieser Leitlinie will Deutschland die von der Weltgemeinschaft definierten globalen Entwicklungsziele bis 2030 erreichen.


Engagiert, aber lieber vor der Haustür

Danach arbeiten fast alle Unternehmen in Deutschland (98 Prozent) im Rahmen ihres sozialen Engagements mit gesellschaftlichen Partnern zusammen. Die überwiegende Mehrheit der engagierten Unternehmen in Deutschland bringt sich jedoch vorwiegend auf lokaler (55 Prozent) und regionaler (28 Prozent) Ebene ein. Am häufigsten entscheiden sich die Firmen dabei für eine Kooperation mit lokalen Vereinen. Nur ein kleiner Anteil (9 Prozent) ist auch oder vorwiegend auf europäischer oder internationaler Ebene engagiert.

Generell betrachtet spielt bei einer Kooperation zwischen Unternehmen und internationalen Nichtregierungsorganisationen (NGO) die Größe des Unternehmens keine entscheidende Rolle. Überdurchschnittlich häufig arbeiten nur Großkonzerne mit Standorten in verschiedenen Ländern mit internationalen NGOs zusammen. Besonders bei globalen Themen wie Armut, Klimaschutz oder Menschenrechte.


Umdenken erforderlich

„Die von den Vereinten Nationalen formulierten 17 Ziele nachhaltiger Entwicklung können nur durch eine intensive Zusammenarbeit globaler Partnerschaften erreicht werden. Dafür wünschen wir uns ein Umdenken bei den Unternehmen“, sagt Maike Röttger, Geschäftsführerin von Plan International. „Gerade größere und international agierende Unternehmen sollten sich zielgerichtet mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung auseinandersetzen und ihr Engagement möglichst langfristig aufsetzen.“

(Bilder: SOS-Kinderdörfer-YouGov)

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Kommentar von Franziska |

Sehr geehrter Herr Manus,

vielen Dank für Ihren Artikel. Die Ergebnisse der SOS Kinderdorfstudie sind spannend und hilfreich für unsere Arbeit. Ich schreibe Ihnen, weil mir Ihre Einleitung sauer aufgestoßen ist:

Ich zitiere: "Beide sehen großen Handlungsbedarf um gerade Afrika aber auch andere Entwicklungsländer mit ihren Problemen nicht allein zu lassen."

Unsere Sprache hat Einfluss darauf wie wir denken und handeln. Sie kann uns zum umdenken anregen und unsere zukünftige Arbeit formen. Deswegen möchte ich Sie höflich darum bitten auch in Ihrem Artikel zu differenzieren. Afrika ist ein Kontinent mit 55 unterschiedlichen Ländern, von dem längst nicht alle als so genannte Entwicklungsländer gelten.

Es ist löblich und und edel, dass wir diese so genannten Entwicklungsländer nicht mit ihren Problemen alleine lassen sollen. Jedoch verdeckt diese recht, sie entschuldigen, flapsige Formulierung, dass viele der Probleme nicht "die Probleme der Entwicklungsländer, also Genetiv, sind; sondern dass vielmehr wir (i.d.F. der Globale Norden) diese Probleme verursachen, da wir unseren Lebenstil auf den Schultern "der Anderen" führen und aus der Geschichte heraus für viele der heutigen Krisen verantworlich zu machen sind.

Ein paar simple Anpassung könnten uns hier aus der Patsche helfen: "Beide sehen großen Handlungsbedarf um so genannten Entwicklungsländern mit den Auswirkungen globalen Problemen nicht alleine zu lassen."

Vielen Dank, dass Sie bis hier hin gelesen haben.

herzliche Grüße,
Franziska

Antwort von Matthias Daberstiel

Vielen Dank für diese wertvolle Anregung. In der Verkürzung liegt, wie in diesem Fall, manchmal auch eine Verallgemeinerung, die so nicht gedacht war. Kurt Manus hat das korrigiert.

Viele Grüße

Matthias Daberstiel