AKADEMISCHES

Fundraising – Eine Erscheinungsform des Marketings

Im Marketing geht es darum, in Austauschbeziehungen die Bedürfnisse des Austauschpartners dauerhaft möglichst gut zu befriedigen, und gleichzeitig die eigenen Ziele (des Unternehmens) zu erreichen – also eine Win-Win-Situation herbeizuführen. Das Fundraising stellt eine spezielle Erscheinungsform des Marketings dar. Auch Fundraising versucht, eine Win-Win-Situation herzustellen, in der die Bedürfnisse des Austauschpartners – des Ressourcenbereitstellers (Privatperson, Unternehmen, Stiftung oder öffentliche Institution) – dauerhaft möglichst gut zu befriedigen und gleichzeitig die eigenen (Fundraising-)Ziele zu erreichen.

Aus Marketing-Sicht stellt sich dabei die interessante Frage, ob das Fundraising dem Beschaffungs- oder dem Absatz-Marketing zuzurechnen ist? Auf den ersten Blick würde man das Fundraising wohl als eine Erscheinungsform des Beschaffungs-Marketings einer steuerbegünstigten Organisation betrachten. Schließlich geht es um die Beschaffung derjenigen Ressourcen, die eine steuerbegünstige Organisation benötigt, um ihre Absatzleistung (z. B. Hilfeleistung) erbringen zu können. An dieser Stelle ist jedoch ein wesentlicher Unterschied zwischen steuerbegünstigten und nicht begünstigten Organisationen zu beachten. Steuerlich nicht begünstigte Organisationen (kommerzielle Unternehmen des Ersten Sektors) finanzieren die Beschaffung der von ihnen benötigten Ressourcen aus den Umsatzerlösen des Absatzes ihrer Produkte oder Dienstleistungen. Sie beschaffen die von ihnen benötigten Ressourcen auf kommerziellen Waren- und Dienstleistungsmärkten (Arbeitsmarkt, Immobilienmarkt etc.). Dies ist steuerbegünstigten Organisationen (des Zweiten oder Dritten Sektors) oft dadurch nicht (vollständig) möglich, dass der Absatz ihrer (gemeinnützigen) Dienstleistung vom Leistungsempfänger nicht (vollständig) bezahlt werden kann. Damit können auch keine (ausreichenden) Umsatzerlöse erzielt werden, aus denen die Beschaffung der benötigten Ressourcen auf kommerziellen Märkten (vollständig) finanziert werden könnte. Die Ressourcen müssen dann anderweitig – durch Fundraising – beschafft werden. Zum einen gelingt dies, in dem Ressourcenbereitsteller (insbesondere Privatpersonen und Unternehmen, weniger Stiftungen und öffentliche Institutionen) benötigte Sach- und Dienstleistungen unmittelbar als Sach- und Zeitspenden und damit unter Verzicht auf eine (adäquate) Bezahlung zur Verfügung stellen.

Zum anderen können Ressourcenbereitsteller aber auch Geldleistungen in Form von Geldspenden zur Verfügung stellen, mit denen sich eine steuerbegünstigte Organisation ihre benötigten Ressourcen anschließend auf kommerziellen Beschaffungsmärkten besorgen kann. Bei dieser mittelbaren Form der Ressourcenbereitstellung stellt sich aus Marketing-Sicht die Frage nach den zugrundeliegenden Austauschprozessen anders dar. Streng genommen stellt das Einwerben von Geldspenden aus Sicht einer steuerbegünstigten Organisation noch nicht die eigentliche Beschaffung dar. Die erfolgt erst anschließend, wenn die Organisation mit Hilfe der eingeworbenen Geldspenden ihre benötigten Ressourcen auf (kommerziellen) Beschaffungsmärkten (Arbeitsmarkt, Immobilienmarkt etc.) beschafft. Somit stellt sich die Frage, welche Art Austauschbeziehung zwischen Geldspender und steuerbegünstigter Organisation vorliegt, wenn keine (unmittelbare) Beschaffungsbeziehung?

Hier soll das Einwerben von Geldspenden im Rahmen des Fundraising als eine Erscheinungsform des Absatzmarketing einer steuerbegünstigten Organisation betrachtet werden, bei der ein immaterielles (Spenden-) Produkt angeboten wird, aus dessen Verkaufserlösen anschließend die eigentlich benötigten Ressourcen auf (kommerziellen) Beschaffungsmärkten beschafft werden können. Neben ihrer originären Absatzleistung (dem Absatz ihrer steuerbegünstigten Dienstleistung an bedürftige Leistungsempfänger) erbringt eine Fundraising betreibende steuerbegünstigte Organisation demnach eine zweite, eine derivative Absatzleistung um die benötigten Ressourcen - trotz geringer oder fehlender Umsatzerlöse aus der originären Absatzleistung - finanzieren zu können.

Das Produkt „Spende“ und seine Vertriebs- und Kommunikationskanäle
Das Produkt „Spende“ und seine Vertriebs- und Kommunikationskanäle (Quelle: Urselmann, Michael: Fundraising, 6. Aufl., (Springer Gabler) Wiesbaden 2014, S. 229.)

Verstanden als das Marketing einer derivativen Absatzleistung, kann Fundraising als die Vermarktung eines (immateriellen) Produktes „Spende“ betrachtet werden. Dies ermöglicht dem Fundraising, sich in Aufbau, Systematik und Vorgehensweise am (Absatz-) Marketing zu orientieren und dessen Weiterentwicklungen für sich zu nutzen. Für jedes Spendenprodukt (Einzelspende, Mikrospende, Restgeldspende, Anlassspende, Dauerspende, Großspende, Testamentsspende etc.) sind im Rahmen des Marketing-Mixes produktpolitische Entscheidungen (zur Beschaffenheit des Spendenproduktes), preispolitische Entscheidungen (zum Preis des Spendenproduktes), vertriebspolitische Entscheidungen (zum Vertrieb des Produktes über den Postvertrieb, den persönlichen Vertrieb/Face-to-Face, den Telefonvertrieb oder den Online-Vertrieb) und kommunikationspolitische Entscheidungen (zur Kommunikation des Produktes, seines Preises und seines Vertriebsweges) zu fällen (siehe Abbildung 1).

 

Dr. Michael UrselmannProf. Dr. Michael Urselmann ist Professor für Sozialmanagement mit dem Forschungsschwerpunkt Fundraising an der Fachhochschule Köln. Daneben berät er freiberuflich gemeinnützige Organisationen in allen Fragen des Auf- und Ausbaus von Fundraising-, Sponsoring- und Stiftungsaktivitäten. Seit 2009 ist er gewähltes Mitglied im Deutschen Komitee für UNICEF und seit 2012 Mitglied im Beirat der Initiative Pro Dialog.
www.urselmann.de

 

(Foto: PR)

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